Kapitel 20

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Die nächsten Tage passierte nicht viel. Emilia hatte sich nicht mehr gemeldet und ich war sehr froh darüber. Aber auch von Mara hörte ich nichts. Es machte mich wahnsinnig. War alles vorbei? Bevor überhaupt irgendetwas angefangen hatte? Ich zerbrach mir den Kopf. Mittlerweile waren 2,5 Wochen meiner Ferien vorbei. Die Zeit flog an mir vorbei, aber trotzdem schien sie stehen zu bleiben. Ergab das Sinn? Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Natürlich hatte ich gesagt, dass sie sich melden sollte, aber auf der anderen Seite fragte ich mich, was ich tun sollte, wenn sie es nicht tat. Ich musste es akzeptieren, aber es fiel mir unglaublich schwer. Ich war träge und verbrachte die Zeit in meinem Zimmer. Immer mit ihrem Foto in der Hand. Alles in mir verkrampfte sich, weil jede Faser meines Körpers sie sehnlichst vermisste. Ich konnte es nicht ändern. Sie hatte eine so heftige Wirkung auf mich, sie musste dafür nicht mal in meiner Nähe sein.

Auch diesen Tag verbrachte ich im Bett. Draußen schien die Sonne, aber ich konnte mich zu nichts aufraffen. Plötzlich klopfte es an meiner Tür. Erschrocken sah ich auf, als meine Mama ihren Kopf durch die Tür steckte. »Darf ich reinkommen?« Geistesabwesend nickte ich nur. Sie trat ein und setzte sich auf die Bettkante. »Können wir kurz reden?«, fragte sie vorsichtig und sah mich an. Ich seufzte leise. »Klar.« Sie räusperte sich. »Ella, was ist los? Du kommst seit Tagen nicht aus deinem Zimmer und isst kaum etwas. Ich weiß, du bist alt genug, aber ich mache mir Sorgen.« Ich wollte nicht, dass sie sich in letzter Zeit ständig Sorgen machte. Ich sagte nichts. »Weißt du, du erinnerst mich an dein früheres Ich«, stellte sie fest und nun hörte ich ihr aufmerksam zu. »Wie meinst du das?«, hakte ich nach und sie legte ihre Hand auf mein Bein. »Denkst du, ich habe früher nicht mitbekommen, dass du Liebeskummer hattest? Du hast zwar nie mit uns geredet, aber wir sind nicht blind. Als du dein Abitur gemacht hast, sahst du so aus wie jetzt. Ich weiß, dass du dir momentan mit deinen Gefühlen unsicher bist, aber du solltest dich davon nicht so runterziehen lassen.«

War es wirklich so auffällig gewesen? Ich dachte immer, ich hätte es gut versteckt. Aber anscheinend nicht. Mütter sahen immer alles. Da war ich mir jetzt sicher. »Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher mit meinen Gefühlen«, gab ich offen zu. Kurz sah ich an die Decke, dann sprach ich weiter: »Ich habe mit Emilia endgültig Schluss gemacht. Sie ist toll. Aber mein Herz schlägt für eine andere Frau. Es war die ganze Zeit über so, ich habe es mir verdrängt. Und es ist ein merkwürdiges Gefühl, weil ich gerade wegen dieser Frau aus Stralsund geflohen bin und da komme ich nach über drei Jahren zu Besuch und treffe sie zufällig und die Gefühle holen mich wieder ein. Ich liebe sie einfach noch immer.« Erstaunt blickte sie mich an. »Du warst schon einmal in sie verliebt?« Aufrichtig nickte ich. »Ja, als ich mein Abitur gemacht habe.« Interessiert fragte sie: »Seid ihr zusammen zur Schule gegangen? Kenne ich sie?« Ich merkte, wie mein Kopf heiß wurde. Sollte ich es ihr sagen? »Du kennst sie. Ich kenne sie auch aus der Schule, aber nicht so, wie du denkst.« Ich konnte in ihrem Blick die Irritation sehen. »Es ist Frau Rosenthal.« Jetzt war es raus und ich musste zugeben, dass es sich gut anfühlte. Ich musste über sie reden, sonst würde ich noch durchdrehen.

»Frau Rosenthal?« In ihrem Kopf ratterte es. Dann sah ich die Erkenntnis in ihren Augen aufblitzen. »Du bist in deine alte Lehrerin verliebt?« Wenn sie es so sagte, hörte es sich schon etwas komisch an, aber so war es nun mal. Ich konnte nichts für meine Gefühle. Ob sie nun Lehrerin oder Verkäuferin war – völlig egal. »Ja.« Meine Stimme war nur noch ein zartes Flüstern. »Ich weiß, dass sie ein paar Jahre älter ist als ich. Aber was macht das schon?« Sie lächelte mir leicht zu. »Wie schon gesagt: Du bist alt genug. Nur ich hatte es nicht gewusst und hätte es auch niemals geahnt. Aber sie war immer sehr sympathisch.« Dankbar sah ich sie an und sagte mit einem Lächeln auf den Lippen: »Das ist sie auch immer noch, Mama.« Dann nahm sie mich unerwartet in den Arm und ich atmete ihren Duft ein. Sie war mein Anker. Meine Mama bedeutete mir alles. Ich liebte diese Frau so sehr. Als wir uns aus der Umarmung lösten, fragte sie: »Was sagt sie dazu?« Wie viel sollte ich ihr erzählen? Ich musste es einfach mal aussprechen. »Das weiß ich nicht. Vor ein paar Tagen haben wir uns getroffen. Und sie hat mich geküsst.« Sie riss die Augen auf. »Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?« Unschlüssig zuckte ich mit den Schultern.

»Ich weiß nicht. Sie hat mir danach auch noch eine süße Nachricht geschrieben. Aber es ist furchtbar kompliziert. Erst die Sache mit Emilia und dann ist sie auch vergeben. Noch dazu an einen tollen Mann, doch trotzdem hat sie mich geküsst. Ich weiß nicht, wie ihre Gefühle aussehen. Aber sie bedeutet mir wirklich viel. So etwas habe ich noch nie gefühlt.« Sie überlegte. »Vielleicht ist sie mit der Situation auch überfordert. Du bist schließlich einfach aufgetaucht und hast vielleicht auch ihre Gefühle durcheinandergebracht. Hast du denn seitdem nichts mehr von ihr gehört?« Ich erinnerte mich an ihre letzte Nachricht und erzählte meiner Mama davon. Wie Emilia mich geküsst und sie es gesehen hatte. »Für mich klingt es nach Eifersucht, wenn ich ehrlich bin. Ich denke, ihr liegt vielleicht doch etwas an dir. Gib ihr noch etwas Zeit.« Frustrierte nickte ich. »Ja, was soll ich sonst auch machen? Ich muss nur bald zurück nach Berlin, aber eigentlich will ich das gar nicht.« Einige Sekunden sagte sie nichts, dann holte sie Luft und meinte: »Du bist hier immer willkommen. Wenn du zurückkommen möchtest, kannst du hier wohnen. Bis du vielleicht eine eigene Wohnung gefunden hast.« Ihr Angebot war toll, aber ich wusste nicht, ob ich es annehmen konnte. Es war von Mara abhängig. Und natürlich von meinem Job, den hatte ich immerhin schon. »Ich überlege es mir.« Sanft streichelte sie mir über den Arm. »Mach das, ich bin da, wenn du reden willst. Ich gehe mal wieder nach unten.« Sie drückte mich noch einmal und als ich alleine war, stellte ich fest, wie gut mir das Gespräch getan hatte.

Doch trotzdem fühlte ich mich plötzlich total erschöpft. Das Gespräch hatte mich etwas ausgelaugt. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich Dinge intensiver wahrnahm als andere Menschen. Mir fielen kleine Details auf und ich empfand alles sehr stark. Dann vibrierte mein Handy und riss mich aus meinen Gedanken. Hoffnung türmte sich in mir auf, doch dann sah ich den Absender. Es war Emilia. Was wollte sie? »Hey Ella, ich weiß, du willst nichts von mir hören. Aber ich bin noch immer in der Stadt und werde auch noch bleiben. Ich konnte im Studentenwohnheim bei jemandem unterkommen. Wenn du mich sehen willst, melde dich.« Ach, Emilia. Merkte sie nicht, was sie tat? Aber war ich nicht auch wie sie? Sie sehnte sich auch nur nach dem Menschen, den sie liebte. Ich konnte es ja verstehen und wollte sie dafür nicht verurteilen, aber ich hatte es ihr klar und deutlich gesagt. Was wollte sie noch hier? Warum war sie nicht in Berlin? Ich ignorierte ihre Nachricht, auch wenn ich wusste, wie es sich anfühlte. Aber das war die beste Entscheidung.

Ich schlief noch einmal ein. Durch ein erneutes Vibrieren wurde ich wach. Genervt schnappte ich mir das Handy. Das durfte doch nicht wahr sein. Noch völlig verschlafen sah ich auf das Display und konnte im ersten Moment nicht realisieren, was ich sah. Aber ich träumte nicht. Sofort war ich hellwach. Da war sie endlich. Die Nachricht, auf die ich tagelang gewartet hatte. Hektisch öffnete ich sie und ließ vor Aufregung fast mein Handy fallen. »Hey Ella, können wir reden?« Mehr hatte Mara nicht geschrieben. Ich war etwas enttäuscht. Aber was hatte ich auch erwartet? Worüber wollte sie sprechen? Ich ahnte nichts Gutes. Ich schrieb zurück: »Klar, wann?« Es vergingen nur wenige Sekunden, dann kam ihre Antwort. »Jetzt?« Erschrocken hielt ich inne. Jetzt? Ich musste vorher unbedingt duschen und Haare waschen. »Gib mir eine Stunde, ok?« Sie antwortete: »In Ordnung. Ich hole dich ab.« Für einen Moment atmete ich durch und musste mich erst einmal sortieren. Ihre Nachricht konnte alles heißen. Sie konnte positiv und negativ sein. Etwas unsicher stand ich auf und machte mich fertig. Es war bereits kurz vor 21 Uhr, als ich aus dem Haus trat. Ich musste nicht lange warten, dann fuhr ihr Audi vor und ich bekam weiche Knie. Was würde dieses Gespräch bringen? Wie würde es ausgehen? Dann hielt sie an und ich stieg ein. Wieder umhüllte mich ihr Duft und ich fühlte mich angekommen.

Remember me || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt