Kapitel 18

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Und obwohl Emilia so aussah wie noch vor zwei Wochen und mir alles an ihr vertraut vorkam, war alles anders. Ich fühlte mich nicht mehr glücklich bei ihrem Anblick. Ich ertrug ihre Nähe gerade nicht. Ich wollte nicht mit ihr über Gefühle sprechen, die von meiner Seite nicht mehr da waren. Jedenfalls nicht mehr so wie früher. Ich wusste es doch auch nicht. »Emilia, du kannst nicht einfach herkommen. Ich habe dir gesagt, dass ich alleine fahren möchte.« Obwohl sie mir unfassbar leid tat, war ich trotzdem verdammt wütend auf sie. Was hatte sie sich dabei nur gedacht? »Es tut mir leid. Aber ich musste herkommen.« Ich wollte dieses Gespräch nicht führen. Mir fehlten die passenden Worte. Noch vor zwei Minuten war ich der glücklichste Mensch der Welt gewesen. Neben Mara. Und jetzt tauchte Emilia hier auf. »Liebst du mich denn gar nicht mehr?«, flüsterte sie mir zu und ihre Stimme klang fremd. Die immer gut gelaunte Emilia gab es gerade nicht. Ihr lag wirklich etwas an mir. Sie liebte mich und ich? Ich traf mich mit einer anderen Frau, weil ich mir nicht sicher war. Aber jetzt war ich es, oder?

In ihren Augen sah ich ihre Hoffnung sterben. »Es ist kein guter Zeitpunkt, um über so etwas zu reden«, erwiderte ich leise. »Doch. Es ist eine ganz einfache Frage. Liebst du mich noch?« Sie bettelte regelrecht um meine Liebe und ich fühlte mich schlecht. Ich wollte ihr diese Liebe geben, aber sie war verschwunden. Oder besser erloschen. Ich spürte bei ihr nicht diese Dinge, die ich bei Mara fühlte. Bei dem Gedanken an Mara musste ich schlucken. Wer wusste, wie es bei ihr und mir weiter ging. Sie war immerhin in einer Beziehung. »Ich denke, es ist besser, wenn wir getrennte Wege gehen, Emilia.« Erstarrt stand sie da. »Ich verstehe es nicht. Vor zwei Wochen war noch alles gut. Du hast gesagt, dass du mich liebst. Wir wollten zusammenziehen, haben nach Wohnungen geschaut. Wie kommt das? Wie kann das sein?« Sie raufte sich die Haare und ihr ganzer Körper bebte. »War das gerade diese Lehrerin im Auto?« Verächtlich schnaubte sie. Ich zuckte nur mit den Schultern. »Du hast sie die ganzen Jahre über nicht gesehen und jetzt liebst du sie plötzlich wieder? Du bildest dir das bestimmt nur ein.« Jetzt warf ich etwas energisch ein: »Nein, Emilia. Die Gefühle waren nie weg. Ich hatte sie nur verdrängt.«

Ich wollte mich für meine Gefühle nicht rechtfertigen, auch wenn sie eine Erklärung verdient hatte. Es war meine Sache. »Aber sie liebt dich nicht. Ich liebe dich.« Tränen liefen an ihrer Wange hinab. Ich fühlte mich unwohl. Wir standen hier mitten auf der Straße und wenn die Nachbarn ihre Fenster offen hatten, konnten sie jedes Wort verstehen. »Du weißt nicht, ob sie mich liebt. Du kennst sie nicht.« Ich wollte es ihr nicht so an den Kopf werfen. In was für ein Gefühlschaos war ich nur hineingeraten? Aber es war passiert. Ich konnte es nicht ändern und musste es akzeptieren. »Bedeutet sie dir wirklich mehr als ich?« Ihr Ton war verzweifelt. Sie wimmerte leise. Bedeutete Mara mir mehr als Emilia? Ich konnte doch nicht einfach das Jahr mit ihr wegwerfen. Oder? Was sollte ich nur tun? »Das kann ich dir nicht sagen. Ihr seid mir beide wichtig. Nur empfinde ich nichts mehr für dich. Jedenfalls nicht auf diese Art und Weise«, erklärte ich und merkte, wie blöd sich das anhörte. Aber es war die Wahrheit.

»Ich glaube, es ist für heute besser, wenn du gehst.« Ich wollte sie nicht gehen lassen, weil ich nicht wusste, wo sie bleiben würde. Verständlicherweise machte ich mir Sorgen, auch wenn wir ein einziger Trümmerhaufen waren. Am liebsten hätte ich sie in meine Arme geschlossen, um sie zu trösten. Aber ich wollte ihr keine falschen Hoffnungen machen. Natürlich ging es nicht spurlos an mir vorbei. »Hast du ein Zimmer für heute Nacht?« Mechanisch schüttelte sie den Kopf. Sie sah mich an, aber ich hatte das Gefühl, dass sie mich gar nicht wahrnahm, sondern durch meinen Körper durchschaute. »Aber mache dir keine Sorgen. Passt schon. Ich buche mir einfach ein Zimmer im Hostel. Ist dir ja sowieso egal.« In ihrer Stimme lag nun Enttäuschung und Wut. Beides zusammen war eine furchtbare Kombination. Mit den Worten drehte sie sich um und lief mit ihrem Rucksack davon. Reglos blieb ich stehen. Mir war es nicht egal. Aber es war die beste Entscheidung. Sie konnte nicht bei mir übernachten.

Ich schloss die Haustür auf und schlich mich direkt in mein Zimmer. Ich hatte viele Dinge zu verarbeiten. Es war wirklich passiert: Mara und ich hatten uns geküsst. Noch immer hatte ich das Gefühl, dass das ein schlechter Traum war. Gleich würde ich erwachen und alles war normal. Nur bei dem Gedanken an sie ging mein Herz auf. Würde sie sich melden? Wenn ja, wann würde sie sich melden? Bald musste ich zurück nach Berlin und meinen Job antreten. Nur wenn ich daran dachte, wurde mir übel. Wollte ich überhaupt zurück? Wie würde sich das alles entwickeln? Ich wusste es nicht. Ich musste abwarten. Ich griff unter die Matratze und zog Maras Bild hervor. Es hatte bereits einige Stellen, aber das war kein Wunder, denn immerhin hatte ich es mehrere Monate täglich angesehen. Zärtlich strich ich über das Bild. In mir entflammten sich Gefühle, die mich umhauten.

Dann ließ ich mich ins Bett fallen und seufzte. Emilia war in Stralsund. Würde sie wieder fahren? Ich kannte sie mittlerweile gut. Mir war klar, dass das nicht unser letztes Gespräch war. Sie würde nicht einfach so aufgeben. Sie war ein Mensch, der alles probierte, bevor er aufgab. Das hatte ich auch immer an ihr gemocht. Wie konnte ich ihr nur so das Herz brechen? Meine Gedanken wanderten wieder zurück zu Mara. Zu den Küssen. Konnte ich mir tatsächlich mehr mit ihr vorstellen? Mein Herz schrie: »Jaaa!« War es wirklich das, was ich wollte? Wonach ich mich sehnte? Die Antwort war klar. Ja, ich wollte es. Ich wollte sie. Schon seitdem wir uns kannten. Sie war immer die Frau gewesen, die ich liebte. Wie konnte ich das nur die ganze Zeit verdrängen? Wahrscheinlich wollte ich mich selbst damit schützen, damit ich wieder glücklich werden konnte, aber eigentlich wollte und konnte ich mir mein Leben ohne Mara nicht vorstellen.

Ich schnappte mir mein Handy und stellte die Vibration wieder an. Dabei sah ich, dass ich eine Nachricht erhalten hatte. Sie war von Emilia. Sie schrieb: »Hey Ella. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir beide das wieder hinbekommen. Wir hatten doch immer eine so wundervolle Zeit, die können wir nicht einfach so wegwerfen. Du hast dich da in etwas verrannt. Du liebst sie nicht. Es ist einfach nur die Erinnerung an sie. Denke daran: Du hast mein Herz. Es gehört dir. Bitte lass uns noch einmal reden, ja? Ich vermisse dich.« Mir kamen die Tränen. Nie hätte ich gedacht, dass unsere Beziehung so endete oder dass sie überhaupt endete. Ich schloss unseren Chat. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. Mir wurde das alles zu viel. Ich musste ihr noch einmal klarmachen, dass es vorbei war. Dass es ein »uns« nicht mehr gab. Dass jeder ab sofort seinen eigenen Weg ging. Vielleicht konnten wir Freunde bleiben? Sofort verwarf ich den Gedanken wieder. Das würde nicht gut ausgehen. Dafür waren ihre Gefühle zu stark. Aber vielleicht irgendwann? Ich drehte mich um, biss in mein Kissen und schrie. Warum war das alles nur so kompliziert?

Ich lag noch ewig wach im Bett. Plötzlich vibrierte mein Handy erneut. Erst wollte ich es ignorieren. Ich hatte keine Nerven mehr für noch mehr Nachrichten von Emilia. Doch die Nachricht war nicht von ihr. Sie war von einer unbekannten Nummer und ich wusste, dass sie nur einer Person gehören konnte: Mara. Ich setzte mich auf und mein Herz fing wieder an zu rasen. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Ich klickte die Nachricht an. »Hallo Ella! Ich kann dir erst jetzt schreiben, Max ist gerade eingeschlafen. Der Tag hat mich sehr aufgewühlt und ich weiß nicht, was ich denken oder fühlen soll. Hier hast du erst einmal meine Nummer. Ich hoffe, du bist in Ordnung. Hier ist übrigens Mara, aber das kannst du dir wahrscheinlich denken. Ich sitze gerade auf der Couch, weil ich noch nicht schlafen kann. Muss mir das alles durch den Kopf gehen lassen. Ich wollte dich nur wissen lassen: Ich küsse nie einen Menschen einfach so.« Immer wieder las ich ihren letzten Satz und fühlte mich benommen. Sie küsste einen Menschen nicht einfach so? Das war doch ein gutes Zeichen, oder? Ich antwortete: »Hallo Mara, das mache ich auch nicht. Also einen Menschen einfach so küssen. Ich bin hier, wenn du mich sehen willst. Würde mich freuen.« Dann schickte ich die Nachricht ab und ließ mich wieder zurück ins Bett fallen. Eine ganze Zeit wälzte ich mich noch umher, aber irgendwann schlief ich mit den Gedanken an Mara ein.

Remember me || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt