Meine Eltern wohnten in einer Spielstraße. Wir gingen die Straße entlang. Einige Häuser waren dazu gekommen, anderen hatten einen neuen Anstrich erhalten, doch trotzdem kannte ich mich hier so gut aus wie in meiner Westentasche. Das Gebiet war relativ klein, sodass wir die Sundpromenade (3) schnell erreichten. Emilia nahm meine Hand und drückte sie kurz. Ich lächelte sie an. Als wir auf dem Weg standen, ging es nach links in Richtung Badeanstalt. Es gab hier einen angelegten Strand. Wenn man nach rechts ging, kam man in der Altstadt an. Ich fragte Emilia, welche Richtung sie einschlagen wollte.
»Dann gehen wir nach links, würde ich sagen. Die Altstadt musst du mir in Ruhe zeigen.« Ich nickte. »Schau mal«, meinte ich und zeigte mit dem Finger über das Wasser. »Das Festland da. Das ist Altefähr.« (4) Fragend sah sie mich an. »Altefähr?«, fragte sie nach. »Ist ein kleiner Ort auf der Insel Rügen. Wenn du nach rechts schaust, dann siehst du diese große Brücke. Das ist die Rügenbrücke. Sie verbindet Stralsund mit der Insel. Da werden wir auf jeden Fall auch einmal rüberfahren.« Sie schüttelte den Kopf und fragte lachend: »Wie konntest du hier nur wegziehen? Es ist traumhaft schön und ich habe bisher noch nicht viel gesehen.« Ich schluckte, dann antwortete ich: »Mit dem Studieren ist es hier nicht so einfach und ich wollte mal eine andere Stadt sehen.« Sie schloss mich in die Arme. »Zum Glück. Sonst hätten wir uns nie kennengelernt«, hauchte sie mir zu und alles an meinem Körper prickelte.
Dann gingen wir die Promenade entlang. Händchenhaltend. Alles, was sich in Berlin mit Emilia ganz normal anfühlte, fühlte sich hier anders an. Fremder. Ich konnte es nicht beschreiben. Dabei hatte sich nichts geändert. Nur die Stadt. Wir waren auch schon in anderen Städten zusammen gewesen. Da war auch alles normal gewesen. »Könntest du dir vorstellen, irgendwann wieder hierher zu ziehen?«, fragte Emilia mich plötzlich. Die Frage überrumpelte mich. »Ich weiß nicht«, gab ich offen zu. »Ich habe noch nie darüber nachgedacht.« Wollte ich das? Ich wusste es nicht. Auf der einen Seite vermisste ich Stralsund sehr, aber auf der anderen Seite verband ich zu viel mit dieser Stadt. »Du bist auch manchmal komisch, aber ich liebe dich trotzdem«, schmunzelte sie.
Dann erreichten wir kurze Zeit später die Badeanstalt (5). »Da oben ist unser Krankenhaus«, erklärte ich ihr und zeigte auf einen Weg, der von der Sundpromenade nach oben abzweigte. Die Badeanstalt war voll. Wir betraten sie. Es gab eine Fläche, auf der man gehen konnte und das Wasser erreichte, ohne den Sand zu betreten. Es standen ebenfalls auch mehrere Bänke auf dieser Fläche und eine war gerade frei. »Wollen wir uns etwas setzen?«, fragte ich sie und sie zog sich mit sich mit. »Klar.« Ich setzte mich gerade auf die Bank, sie setzte sich seitlich rauf, um mich besser sehen zu können. Ihr eines Bein hing lässig an der Seite hinunter, das andere Bein sah aus wie ein halber Schneidersitz und lag auf der Bank. Sie legte den Kopf zurück. Ich betrachtete sie. Emilia bedeutete mir so viel. Unendlich viel.
Zwei junge Männer gingen an uns vorbei und gafften. Ich starrte zurück. Dann kamen sie beide zurück. »Na ihr Süßen, braucht ihr noch etwas Unterhaltung? Oder Spaß?« Es war klar, was er meinte. Emilia öffnete die Augen und zog die Augenbrauen nach oben. »Also erstens sind wir nicht eure Süßen. Zweitens haben wir beide unseren Spaß alleine, wenn du verstehst. Und drittens: Selbst wenn wir auf Männer stehen würden, wärt ihr die beiden letzten, mit denen wir Spaß haben wollen.« Sie starrten Emilia an und grinsten urplötzlich. »Rico, wir haben es hier mit zwei Lesben zu tun.« Dieser nickte wissend und meinte: »Vielleicht lassen sie uns ja mal zusehen.« Emilia sprang auf. »Ihr beide könnt euch gern mal alleine zusehen und jetzt verschwindet. Ihr seid echt widerlich.« Rico und sein Freund gingen und er sagte extra laut: »Die wissen ja gar nicht, was sie verpassen. Scheiß Lesben.« Emilia setzte sich wieder: »Männer«, schimpfte sie und schüttelte den Kopf. »Erst finden sie Lesben heiß und wenn diese ihnen aber die Grenzen aufzeigen, fangen sie an, homophobe Arschlöcher zu werden, weil sie mit sich selbst anscheinend so unzufrieden sind.«
Sie wurde fuchsteufelswild. »Hey«, sagte ich und legte ihr beruhigend meine Hand auf das Knie. »Das sind Idioten. Hast du doch schon gesehen.« Dann wurde sie ganz still. »Du hast recht. Warum rege ich mich darüber eigentlich auf? Eigentlich sind sie nur neidisch, weil ich so eine wunderschöne Freundin habe.« Dann lächelte sie wieder. Ich hatte so ein Glück. Diese Frau liebte mich wirklich. Sie gab mir einen Kuss. Wir saßen noch eine Weile dort und erzählten. Dann gingen wir langsam zurück. »Wie sieht denn unser Plan für morgen aus?«, fragte sie. Ich hatte mir darüber noch gar keine Gedanken gemacht. »Das darfst du dir aussuchen. Wollen wir in die Stadt fahren? Soll ich dir ein paar Orte zeigen? Willst du zum Strand?«, schlug ich ein paar Dinge vor. »Dann fangen wir doch mal mit der Stadt an, oder?« Ich nickte. »Sehr schön.«
Als wir wieder zurück waren, setzten wir uns mit einem kalten Orangensaft auf die Terrasse. Ich holte mein MacBook aus meinem Zimmer. Emilia wollte nach Wohnungen Ausschau halten. Ich würde im Jugendamt im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf arbeiten und die Mietpreise waren nicht gerade günstig. Außerdem gab es eine hohe Nachfrage. Ich würde ganz gutes Geld verdienen, aber wir konnten uns trotzdem keine große Wohnung leisten. Wir stöberten nach Angeboten und meine Eltern setzten sich zu uns. »Schau mal, die sieht doch ganz gut aus«, meinte Emilia und zeigte auf das Inserat. Ich öffnete es. »Schön teuer«, stellte ich leicht genervt fest. »Oh, vorn stand ein anderer Preis.« Ich klickte zurück und wir schauten weiter.
»Was schaut ihr denn da?«, fragte meine Mama interessiert nach. »Wir schauen nach Wohnungen«, erwiderte Emilia erfreut und strahlte sie an. »Es wird endlich Zeit für unsere eigenen vier Wände. Dieses WG-Leben hatten wir jetzt beide lange genug.« Sie lehnte sich zurück. »Das glaube ich euch gern. Für eine gewisse Zeit geht das, aber man hat halt wirklich nie Privatsphäre.« Emilia seufzte. »Ja, genau. Weißt du, ich habe überlegt, ob wir uns nicht vielleicht eine Katze zulegen sollten. Ich hatte immer eine und ich vermisse das total.« Meine Mama hatte schon den ganzen Tag ein Dauergrinsen im Gesicht und nun wurde es noch breiter. »Ella hatte auch mal zwei Katzen. Manchmal vermisse ich sie immer noch.« Ich nickte. »Ja, irgendwann können wir das auf jeden Fall machen. Erst einmal eine Wohnung finden.« Nach einer weiteren halben Stunde gaben wir es auf.
»Was liegt bei euch morgen so an?«, erkundigte mein Papa sich. »Ich zeige Emilia die Altstadt.« Wir blieben noch eine ganze Weile auf der Terrasse sitzen. Dann wurde es dunkel und ich war ziemlich geschafft. Ich hatte auch leichte Kopfschmerzen bekommen. Die Sonne machte mir manchmal mein Leben schwer. Ich war sehr anfällig und selbst mit dem besten Schutz bekam ich mindestens einmal im Jahr einen Sonnenstich. Spaßig war das nicht. Aber ich liebte den Sommer trotzdem. Und das Wasser. Das war eine Sache, dir mir am meisten fehlte. Die Ostsee. Und nun hatten wir vier Wochen Zeit, um unsere Tage dort zu verbringen.
Ich kippte das Fenster an und dann legten wir uns ins Bett. »Meine Eltern können dich übrigens gut leiden«, flüsterte ich ihr zu und sie kuschelte sich zufrieden an. »Danke, dass du das sagst. Ich kann sie auch gut leiden. Weißt du übrigens, was ich krass finde?« Ich horchte auf. »Das Fenster ist auf und es ist still. Keine lauten U-Bahnen oder Menschen, die vor deiner Tür pöbeln oder schreien. Daran könnte ich mich gewöhnen.« Dann schliefen wir ein.
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Remember me || gxg
RomanceAls Ella ihren Eltern ihre Freundin Emilia vorstellen möchte, ist ihre Welt noch völlig in Ordnung. Doch kaum ist sie zurück in der Heimatstadt, holen sie die Erinnerungen an ihre erste große Liebe wieder ein. Über drei Jahre lang hatte sie diesen O...