Kapitel 3

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Emilia sah mich verwirrt und erschrocken an. Meine Mama kam auf mich zu und schloss mich in die Arme. »Hey, was ist denn los?«, fragte sie besorgt. »Gar nichts. Ich freue mich nur, wieder zu Hause zu sein«, log ich und schluchzte. Ich wusste nicht, was los war. Natürlich war es schön hier. Gar keine Frage. Es war mir gerade alles zu viel, aber ich musste mich zusammenreißen. Ich gab meiner Mama einen Kuss auf die Wange, sie sollte nun erst einmal Emilia kennenlernen. Auch sie schloss sie direkt in die Arme. »Ella hat schon so viel von dir erzählt und ich freue mich so sehr, dass du nun hier bist. Ich bin Anke.« Emilia antwortete: »Ich freue mich auch. Wurde ja auch Zeit, dass wir uns kennenlernen.« Mein Papa holte unsere Koffer aus dem Auto und wir gingen erst einmal nach oben, um unsere Sachen einzuräumen. Auf der Treppe blieb sie stehen. »Die muss ich mir später alle noch in Ruhe ansehen«, meinte sie und zeigte auf die Fotos von mir, die überall im Flur hingen.

Dann ging sie weiter und blieb stehen. »Rechts rum, hier vorn links ist das Bad«, erklärte ich ihr und zeigte mit den Fingern auf die Türen. »Das da ist das Arbeitszimmer meiner Eltern.« Dann standen wir vor meiner alten Zimmertür. Ich atmete tief ein und aus. Seit über drei Jahren hatte ich diese Klinke nicht mehr berührt. Ich wusste noch, wie ich damals das letzte Mal im Zimmer gestanden und mich umgesehen hatte. Dann drückte ich die Klinke nach unten und die Tür ging auf. Ich hielt die Luft an. Es hatte sich nichts verändert. Meine Mama hatte das Zimmer natürlich immer sauber gehalten, gelüftet und uns Bettzeug hingelegt, damit wir es beziehen konnten. Emilia blieb hinter mir und sagte nichts. Sie spürte wahrscheinlich, dass das ein sehr emotionaler Moment war. Dann trat ich ein und blieb mitten im Raum stehen. Drehte mich im Kreis, betrachtete alles ganz genau.

Wenn man das Zimmer betrat, dann befand sich direkt gegenüber in der Wand das Fenster. Links hinter der Tür war mein Kleiderschrank und daneben das Bücherregal. Ich hatte schon immer viel gelesen, aber meine Bücher standen natürlich alle in Berlin. In meinem abgeschlossenen WG-Zimmer. Unter dem Fenster stand mein Schreibtisch. Es lagen noch einige Utensilien darauf. Auf der rechten Seite stand mein Bett und daneben stand eines dieser typischen Regale von Ikea, die man zum Teilen des Raumes nutzen konnte. »Hier hast du also früher viel Zeit verbracht«, brach sie die Stille und sah sich um. Ich nickte nur. Ja, hier hatte ich viel Zeit verbracht. Gute, aber auch schlechte. Früher hatte ich mich oft in den Schlaf geweint, weil ich meine Lehrerin so vermisst hatte. Ich stellte mir immer vor, wie sie neben einem Mann im Bett lag. Ich wusste nicht einmal, ob sie überhaupt einen hatte. Sie hat ihn nie erwähnt und im Internet konnte ich dazu auch nichts finden, aber ich konnte mir nicht vorstellen, dass sie alleine war. Ich hatte mir so sehr gewünscht, sie in meinen Armen zu halten in diesem Bett, das nun leer vor mir stand.

»Los, wir beziehen mal das Bett und räumen alles ein. Dann gibt es bestimmt auch bald Abendbrot. Ich verhungere fast«, meinte ich und sie nickte zustimmend. »Ja, danach machen wir auf jeden Fall noch einen Spaziergang, oder?« Für heute hatte ich eigentlich genug Eindrücke gesammelt, aber ich wollte nicht, dass sie noch mehr Fragen stellte, also meinte ich gleichgültig: »Von mir aus.« Wir legten unsere Klamotten in den Kleiderschrank. Es waren relativ viele, denn wir würden immerhin auch vier Wochen bleiben. Meine Bücher, die ich mitgebracht hatte, legte ich in das Bücherregal. Ich wollte die freie Zeit zum Lesen nutzen, denn in letzter Zeit hatte ich dafür nur wenig Zeit gefunden. Dann bezogen wir das Bett. Ich drehte mich um, dann packte Emilia mich plötzlich von hinten und zog mich auf das Bett. Sie küsste mich und sah absolut zufrieden aus. »Gott, deine Eltern benutzen tolles Waschmittel.« Sie nahm die Decke in die Hand und roch noch einmal daran. »Können wir nicht einfach hier bleiben?« Es war nur eine Scherzfrage von ihr, aber trotzdem machte ich mir darüber Gedanken. Wie so oft. Andere sagten etwas und ich grübelte noch den ganzen Tag darüber, obwohl die Person es nach zwei Minuten schon wieder vergessen hatte.

Plötzlich schob Emilia ihre Hand in meinen Slip. Ich war nicht in Stimmung, aber wollte es nicht an ihr auslassen. Sie konnte nichts dafür. Ich war einfach nur etwas überfordert mit der gesamten Situation. Sie verteilte Küsse in meinem Gesicht und biss sich auf die Lippe. »Kommen deine Eltern oft nach oben?«, raunte sie mir fragend zu. Ich schüttelte den Kopf. »Zum Glück«, antwortete sie und schob ihre andere Hand unter mein T-Shirt. »Ich mag jetzt nicht«, meinte ich. Verwirrt sah sie mich an. »Wir müssen erst einmal ankommen und ich würde gern duschen gehen. Ich bin total verschwitzt.« Nachdenklich nickte sie. »In Ordnung. Gehen wir zusammen duschen?« Ich wollte sie nicht schon wieder abweisen, deshalb stimmte ich zu. In Berlin gingen wir auch oft zusammen duschen.

Wir schlichen beide ins Bad und schlossen die Tür ab. Ich zog mich aus und sie umarmte mich von hinten. Auch sie war nun nackt. Ich spürte ihre Haut und in mir zog sich alles zusammen. Es war ein schönes Gefühl. Ich dachte: »Ach, warum nicht? Warum sollte ich nicht etwas Spaß haben?« Ich schubste sie sanft in die Dusche und schlang meine Arme um sie. Wir küssten uns. Ich konnte mich glücklich schätzen, was für eine tolle Frau ich an meiner Seite haben durfte und dass sie damals den ersten Schritt gemacht hatte. Als wir uns näher kennenlernten, sagte sie einmal: »Ich kann gar nicht glauben, dass du noch nie eine Beziehung hattest oder verliebt warst. Das ist ungewöhnlich, aber gut für mich.« Ich hatte es nie aufgeklärt. Es ging sie nichts an. Auch wenn es fies klang, aber das war mein gut behütetes Geheimnis, was ich mit keinem Menschen teilen wollte.

Sie küsste meinen Hals. Ich wollte mich voll und ganz auf sie konzentrieren, doch wir wurden unterbrochen. Es klopfte jemand an der Tür. »Ella?« Ich verdrehte die Augen. »Was für ein Timing«, flüsterte Emilia mir zu und kicherte. »Ja?«, rief ich zurück. »Braucht ihr noch lange? Wir wollen gleich mit dem Essen anfangen.« Sie wusste, dass wir beide im Bad waren. Was sie wohl dachte? »Nein, wir kommen sofort!« Dann ging sie wieder nach unten und wir schäumten uns ein. »Es soll wohl nicht so sein«, seufzte Emilia und ergänzte dann: »Vielleicht später.« Ja, vielleicht. Wir trockneten uns ab und zogen uns luftige Sachen an. Dann gingen wir nach unten.

Meine Mama stand in der Küche und holte gerade etwas aus dem Backofen. »Wir essen heute auf der Terrasse. Das Wetter muss man nutzen. Da es heute so heiß ist, dachte ich, ich mache uns einen schönen Gemüseauflauf. Ich hoffe, du magst das, Emilia. Ich hätte vielleicht vorher fragen sollen.« Nervös sah meine Mama Emilia an. Diese erwiderte: »Ich liebe Gemüseauflauf.« Das stimmte. Sie war völlig verrückt nach Gemüse. »Sie ist ein Gemüsejunkie«, erklärte ich meiner Mama, die daraufhin grinste. »Perfekt. Dann lasst und mal nach draußen gehen.«

Meine Eltern waren so offen gegenüber Emilia. Sie erzählten ihr direkt die peinlichsten Geschichten von mir und sie kam aus dem Lachen gar nicht mehr heraus. So waren Eltern. Ihre hatten es auch getan. »Weißt du noch, wie oft du mit Laura hier gezeltet hast?«, fragte mein Papa und zeigte auf den Rasen. Ich nickte. »Ja, klar. Das waren tolle Zeiten.« Er erkundigte sich: »Hast du eigentlich noch Kontakt zu ihr?« Ich antwortete: »Ja, meistens per Handy. Früher waren wir echt unzertrennlich. Aber nach der Schule haben wir uns nicht mehr so oft gesehen. Sie ist ja aktuell in Hamburg, ich in Berlin. Aber sie ist jetzt auch bald wieder in Stralsund, da wollen wir uns unbedingt mal wieder treffen.« Sie hatte uns schon in Berlin besucht und ich war auch schon in Hamburg bei ihr gewesen. Mehrere Male. Aber das konnte man eben nicht jeden Monat machen. Deshalb freute ich mich umso mehr, sie bald wieder zu sehen.

»Was habt ihr heute noch so vor?«, fragte meine Mama mit einer Herzlichkeit in der Stimme, die ich immer so an ihr mochte. Ich erwiderte: »Wir wollen gleich noch etwas spazieren gehen an der Sundpromenade.« Freudig nickte Emilia. Wir aßen und es schmeckte wirklich lecker. Mama war eben die beste Köchin der Welt. Nach Oma selbstverständlich. Dann halfen wir beim Abräumen. Für einen kurzen Moment war ich mit meiner Mama alleine in der Küche. »Sie scheint eine echt aufgeweckte, lebensfrohe und offene junge Dame zu sein.« Ich blickte sie an und lächelte. »Oh, ja. Das ist sie.« Sie erwiderte ebenfalls mit einem Lächeln: »Ihr passt gut zusammen. Ich habe sie jetzt schon gern.« Dann brachte Emilia das letzte Geschirr in die Küche und wir verließen das Haus, um uns auf den Weg zur Sundpromenade zu machen.

Remember me || gxgWo Geschichten leben. Entdecke jetzt