»Ich habe gleich einen Termin beim Arzt.« Fragend betrachtete ich sie. »Und?« wollte ich wissen und ahnte nichts Gutes. »Es ist eine Auswertung.« Ihre Stimme klang rau und ihr Gesicht hatte einen anderen Ausdruck angenommen, den ich nicht ganz deuten konnte. »Was für eine Auswertung?«, hakte ich nach und merkte, dass meine Stimme immer leiser wurde. Sie atmete tief durch. »Ich habe vor einiger Zeit etwas in meiner Brust gespürt. Erst dachte ich, dass es normal wäre, aber dann überkamen mich Zweifel und ich war beim Arzt, um das checken zu lassen.« Sie hatte etwas in der Brust? Geschockt sah ich sie an. »Was willst du mir damit sagen, Mama?« Sie presste die Lippen fest aufeinander. Dann sagte sie: »Auch der Arzt hat es gespürt. Es ist ein Knoten und es kann nicht ausgeschlossen werden, dass es Krebs ist. Sie haben eine Probe ins Labor geschickt und gleich bekomme ich das Ergebnis.« In der ganzen Küche war es still, aber in mir drin tobte ein Riesenkrach. Meine Mama hatte Krebs? Also vielleicht? Warum hatte ich nichts gemerkt?
Wahrscheinlich war sie deshalb in der letzten Nacht so abwesend gewesen. Und ich hatte sie noch mit meinen Problemen mit Emilia und Mara belastet, dabei ging es hier um ihre Gesundheit. Vielleicht auch um ihr Leben. Ich kannte mich damit nicht so gut aus. »Mama«, flüsterte ich und musste schlucken. Ich merkte, wie meine Augen anfingen zu brennen. Wie ich die Tränen nicht zurückhalten konnte. Ich spürte, wie sie heiß an meiner Wange hinab liefen. Dann stand ich auf und ging einmal um den Tisch herum und zog sie in meine Arme. »Warum hast du denn vorher nichts gesagt?«, fragte ich sie und meine Stimme zitterte. Ich machte mir fürchterliche Sorgen. »Ich wollte dich damit nicht belasten und erst einmal die Auswertung abwarten. Vielleicht ist auch alles gut.« Ich konnte ihre Angst spüren und biss mir auf die Lippe. Sie wollte mich damit nur schützen, aber es jetzt so zu erfahren, tat mir trotzdem weh. Wäre ich nicht gekommen, hätte ich es gar nicht erfahren.
Als wir uns aus der Umarmung lösten, sah ich ihr tief in die Augen. »Möchtest du, dass ich dich begleite?« Sie brachte ein leichtes Lächeln zustande, aber schüttelte bestimmt den Kopf. »Nein, alles gut. Danke. Papa begleitet mich und danach kommen wir direkt nach Hause.« Etwas benommen nickte ich nur und stützte mich am Tisch ab. Ich fühlte mich etwas wackelig auf den Beinen und schwitzte. Meine Augen brannten und ich ging zum Schrank, um mir ein Glas zu holen. Ich füllte es mit Wasser und trank es mit einem langen Zug aus. »Ich warte auf euch. Alles wird gut, Mama«, meinte ich und versuchte, ihr ein positives Gefühl mit auf den Weg zu schicken. Wir drückten uns noch einmal, dann mussten sie aber wirklich los. Sie verließen das Haus und ich blieb erstarrt im Flur stehen. Ich betete zu Gott, dass der Knoten gutartig war. Meine Mama hatte das nicht verdient. Niemand hatte verdient, von dieser Krankheit heimgesucht zu werden. Krebs war ein Arschloch. Ein verdammt großes.
Ich ging zurück in die Küche und setzte mich. Dann fing ich hemmungslos an zu weinen. Wie sagte man immer? Krebs sollte ein verdammtes Sternzeichen bleiben. Wie ging man mit so einer Diagnose um? Ich trommelte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte umher und sah auf die Uhr. Sie waren gerade mal fünf Minuten weg und ich drehte innerlich durch. Was sollte ich tun? Es würde bestimmt noch eine ganze Weile dauern, bis sie zurück waren. Ich beschloss, Mara anzurufen. Ich wählte ihren Kontakt aus und es klingelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Dann nahm sie ab. »Ja?«, fragte sie etwas außer Atem. »Habe ich dich geweckt?« Sie lachte auf. »Nein, ich kann nicht schlafen. Ich räume gerade die Wohnung auf und nehme die Bilder von Max und mir von der Wand. Nebenbei trinke ich einen Tee und verdaue das alles. Es wird wohl noch etwas dauern. Warum rufst du an?« Ich fing an zu schluchzen. Eigentlich müsste ich der glücklichste Mensch der Welt sein, weil Mara sich für mich entschieden hatte. Für mich. Ella Degermann. Doch das Gespräch mit meiner Mama machte in diesem Moment alles nebensächlich. Geschockt fragte sie am anderen Ende der Leitung: »Ella? Was ist los?«
Ich konnte nur weinen und brachte kein Wort mehr heraus. »Kannst du.. Ich meine, kannst du... Bitte einfach herkommen?«, stotterte ich und konnte mich nicht beruhigen. Ich brauchte Mara jetzt. Ihre Schulter, ihre Worte, ihre Nähe. »Natürlich, bin gleich da«, antwortete sie prompt. »Du kannst klingeln, meine Eltern sind nicht da«, schniefte ich ins Handy und dann legten wir auf. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Deshalb lief ich im Raum auf und ab, aber das machte die Sache nicht besser. Ganz im Gegenteil. Die Minuten zogen sich endlos lang hin. Dann endlich klingelte es an der Tür. Ich stürmte los und riss sie auf. Sofort fiel ich Mara um den Hals und etwas verwirrt erwiderte sie meine Umarmung. Dann gingen wir rein. »Möchtest du etwas trinken?«, fragte ich und sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich möchte wissen, was los ist.«
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Remember me || gxg
RomanceAls Ella ihren Eltern ihre Freundin Emilia vorstellen möchte, ist ihre Welt noch völlig in Ordnung. Doch kaum ist sie zurück in der Heimatstadt, holen sie die Erinnerungen an ihre erste große Liebe wieder ein. Über drei Jahre lang hatte sie diesen O...