Kapitel 10 - ... kommt vor dem Fall

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(Charlet's Sicht)

Wincent wandte sich von mir ab und ging zurück zu seiner Band. Das was ich gesagt hatte schien ihn wenig zu beeindrucken. Sie probten noch ein paar Songs ehe ich mich nochmal beweisen sollte. Mitten in meinem Song 'Durchsichtig' unterbrach Wincent mich. ,,Warte mal kurz Charlet, mir ist da was aufgefallen.'', sagte er während er auf mich zu kam. Ich schaltete die Musik aus und schaute ihn skeptisch an. ,,Deine Atemtechnik ist total falsch. Am Ende des Refrains klingt das wirklich ganz komisch. Es kommt einem so vor als würdest du das Lied schnell hinter dich bringen wollen und allgemein ist da zu viel Druck in deiner Stimme.''

Mit hochgezogenen Augenbrauen stand ich nun vor ihm und konnte kaum glauben was er da gerade gesagt hatte. War das sein Ernst? Was fällt dem bitte ein mich bei einem meiner Songs so korrigieren zu wollen? Glaubt der etwa ich wüsste nicht wie ich meine Songs zu singen habe? ,,So, du meinst also ich habe mein eigenes Lied falsch gesungen, ja?'', hakte ich nochmal nach. ,,Nein, nicht falsch, das habe ich so nicht gesagt. Ich gebe dir nur einen Tipp worauf du achten solltest damit es besser klingt.'', erwiderte er und hielt dabei meinen kühlen Blick stand. ,,Meine Lieder sind perfekt und klingen gut so wie ich sie singe.'', entgegnete ich und wollte mich gerade wieder abwenden, als er eine Ton anschlug mit dem ich so nicht gerechnet hätte. ,,Ganz ehrlich Charlet, deine Lieder sind nicht perfekt! Und dein Gesang ist es auch noch lange nicht. Komm mal runter von deinem hohen Ross und erarbeite dir erstmal das was ich in den letzten Jahren geschafft habe! Du bist vielleicht gut, ja. Aber hast du auch einmal darüber nachgedacht das es nicht so leicht ist wie du dir das im Moment vorstellst? Bist du überhaupt dankbar für diese Chance die du hier bekommst? Ich will ja echt nicht prahlen oder angeben, aber es sollte dich freuen für mich als Support Act auftreten zu dürfen! Da hättest du es bei weitem schlechter treffen können. Du hast noch nichtmal eine Band zusammen und glaubst schon das du hier der Star bist. Ich sehe mich selbst nichtmal in dieser Position also erklär mir mal bitte wie du darauf kommst dich so zu fühlen!''

Seine Worte trafen mich auf eine Art und Weise wie ich es nicht für möglich gehalten hatte. Einen Augenblick lang war ich so sprachlos, dass ich ihn einfach nur stur anstarrte. Solange bis ich merkte, dass ich diese Fassade nicht mehr lange aufrecht erhalten konnte. ,,Du hast doch gar keine Ahnung was ich alles getan habe oder was ich durch gemacht habe!'', brachte ich lediglich hervor ehe ich mich abwandte um meine aufkommenden Tränen zu verbergen. Ich atmete ein paar Mal tief durch und wischte mir einmal mit meiner Handfläche durchs Gesicht.

Als ich mich wieder umdrehte stand Wincent immer noch an der selben Stelle, jedoch wirkte sein Blick nicht mehr so kühl wie zuvor. ,,Du kennst mich nicht! Also hör auf mich zu kritisieren, akzeptier mein Können und sei froh das ich dich supporte.'', fügte ich noch hinzu. ,,Ich glaube so jemanden wie dich möchte ich gar nicht kennen. Aber da wir jetzt zusammen arbeiten und im Tourbus zusammen unterwegs sein werden wird dir nichts anderes übrig bleiben, als meine Meinung zu akzeptieren.'', antwortete er und wandte sich wieder seiner Band zu. ,,Für heute machen wir Schluss. Ich hab noch was vor! Morgen treffen wir uns hier wieder zur selben Zeit, ok?'' Alle aus seiner Band stimmten zu, weswegen er nun mich wieder ansah. ,,Das gilt auch für dich! Wir fangen pünktlich um 14 Uhr an.'' ,,Na klar, diese Chance lasse ich mir doch nicht entgehen.'', erwiderte ich schnippisch während ich mir meine Tasche schnappte um zu gehen.

(Wincent's Sicht)

Ich wurde aus ihr einfach nicht schlau. Mir war ganz genau aufgefallen, dass meine Worte sie nicht kalt gelassen hatten und trotzdem zog sie weiter diese Nummer ab. Ich verstand einfach nicht was das überhaupt sollte. Was brachte es ihr sich so zu verhalten? Sie könnte es sich so einfach machen, aber stattdessen schlug sie lieber den komplizierten Weg ein. Mir fällt es normalerweise nicht sehr schwer jemanden zu mögen, aber sie machte es mir nicht leicht. Und so langsam wusste ich auch nicht mehr ob sie es überhaupt wert war. Vielleicht sollte ich die Festival Saison lieber hinter mich bringen und sie weitestgehend ignorieren. Das wäre für alle Beteiligten mit Sicherheit das Einfachste.

,,Ey Wince warte mal kurz.'', hielt Manu mich auf als ich gerade das Gebäude verlassen wollte. Ich blieb stehen und sah kurz auf meine Uhr, da ich eigentlich noch mit Marco, meinem besten Freund, verabredet war. ,,Was gibt's?'', fragte ich. ,,Also ganz ehrlich, diese Charlet ist echt komisch ... warum lässt du dich so von ihr behandeln?'' Ich verdrehte kaum sichtbar die Augen, denn eigentlich hatte ich auf diese Unterhaltung jetzt keine Lust. ,,Wie lasse ich mich denn von ihr behandeln?'', stellte ich als Gegenfrage zurück. ,,Na ja du lässt dich voll fertig machen. Das was sie vorhin gesagt hat war schon irgendwie fies. Ich hätte sie spätestens da rausgeschmissen.'', erwiderte Manu und sein Blick verriet mir dabei, dass er absolut nichts von ihr hielt. ,,Es gibt immer einen Grund warum sich jemand so verhält wie sie es tut. Ich gebe zu das ich mir das nicht mehr lange anschauen werde, aber lass uns ihr morgen noch eine Chance geben, ok?'' Manu nickte und so verabschiedeten wir uns für heute. Ich verließ das Gebäude und machte mich auf den Weg in eine kleine abgelegene Bar wo ich mich mit Marco treffen wollte. Er war dieses Wochenende zu Besuch in Berlin und da wir uns eh schon so selten sahen, wollten wir es uns nicht nehmen lassen am Abend das ein oder andere Bier zusammen zu trinken.

10 Minuten später betrat ich die Bar und sah Marco schon an der Theke sitzen. ,,Hey Kumpel!'', begrüßte ich ihn mit einem leichten Klopfen auf die Schulter. ,,Sorry das ich zu spät bin, die Probe ging etwas länger.'' ,,Hey, kein Problem. Ich warte auch noch nicht so lange.'', erwiderte er und lächelte mich verständnisvoll an. Ich war wirklich mehr als dankbar so einen guten besten Freund zu haben. Abgesehen davon, dass ich ihn schon seit meiner Kindheit kannte akzeptiert er meine Berufswahl und die damit verbundenen Zeitprobleme vollkommen. Kein Anderer, bis auf meine Familie, hatte jemals so viel Verständnis dafür wenn ich mal eine Woche nicht auf eine Nachricht antwortete. Ich kann gar nicht in Worte fassen wie dankbar ich ihm für alles war. Er war mehr als nur mein bester Freund, er war wie ein Bruder! Ich beschloss den heutigen Abend in vollen Zügen zu genießen, weswegen ich mich neben ihn auf einen Barhocker setzte und mir ein Bier bestellte.

,,Was gibt's Neues?'', fragte er nach ein paar Minuten der Stille. ,,Ach nicht viel. Wir proben gerade für die Festival Saison und haben seit heute nen Support Act.'', erzählte ich ihm während ich ein Schluck von meinem Bier trank. ,,Du klingst ja nicht sonderlich begeistert.'', stellte Marco fest. Ach wie gut er mich doch kannte. Ich stellte mein Bierglas ab und fixierte meinen Blick auf die Holzmaserung des Thresens. ,,Ich weiß nicht so recht ... sie ist irgendwie komisch ...'', setzte ich an. ,,Sie? Es ist also eine Frau? Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du dich schon in sie verguckt hast, oder?'', unterbrach er mich. ,,Was? Nein! Auf keinen Fall! Ich meine nicht die Art von komisch ...'', wehrte ich schnell ab. Alles, nur das nicht! ,,Sondern?'' ,,Sie ist total eingebildet und hält voll viel von sich. Das kann ihr am Anfang dieser Karriere so schnell das Genick brechen, aber das scheint sie nicht zu kapieren. An Talent mangelt es ihr nicht, aber sie ist ja nichtmal in der Lage gut gemeinte Kritik anzunehmen.'', teilte ich Marco meine Gedanken mit. ,,Ich verstehe ... aber du kannst doch bestimmt ein guter Einfluss für sie sein, oder etwa nicht?'' Er stellte definitiv die richtigen Fragen, aber so sicher war ich mir da nicht. Ich hatte einfach nicht den Nerv dazu mich ihr dadurch aufzuzwängen. Es würde vermutlich eh nichts bringen. Vielleicht musste ich sie auch einfach ihr Ding durchziehen lassen, sodass sie am Ende mit ihrem Verhalten richtig auf die Schnauze fällt. ,,Da bin ich mir nicht so sicher ... vielleicht tut ihr der tiefe Fall, der definitiv kommen wird, ja ganz gut. Besser kann man gar nicht auf den Boden der Tatsachen zurück kommen ...'', erwiderte ich. ,,Ach komm Wincent, das meinst du nicht Ernst ...'', entgegnete Marco fassungslos. ,,Alter so kenne ich dich ja gar nicht!'', fügte er noch hinzu.

Er hatte ja recht, sowas passte nicht zu mir. Aber mein Entschluss stand fest. ,,Können wir bitte über was anderes reden?'', versuchte ich vom Thema abzulenken. Marco stimmte mir zwar nur widerwillig zu, aber ich wollte einfach den Abend mit ihm nicht mit einem Gespräch über Charlet verschwenden.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt