Kapitel 37 - Das Holzkästchen

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(Charlet’s Sicht)

Nachdem der Nachmittag nur so an uns vorbei gezogen war, zeigte die Uhr mittlerweile 8 Uhr Abends an. Nach dem Mittagessen hatte ich schnell das Gästezimmer für Wincent hergerichtet und nun saßen wir in eben diesem und unterhielten uns zunächst nur über belanglose Dinge. 

,,Du hast vorhin noch etwas gesagt, was mir nicht mehr aus dem Kopf geht.‘‘, unterbrach Wincent die Stille, die gerade herrschte, da wir beide dabei waren unsere Social-Media Kanäle abzuchecken. 
,,Was denn?‘‘, hakte ich nach, während ich weiterhin auf mein Handy schaute. 
,,Die Sache mit deinem Freund … oder Exfreund? Was ist letzte Nacht passiert?‘‘

Diese Frage von ihm zu hören überraschte mich und direkt ging mir alles was passiert war wieder durch den Kopf. Der Sex, dieses Gefühl wie ich mich neben meinem eigenen Freund nicht mehr wohl gefühlt hatte und der Song, der aus dieser Situation heraus entstanden ist. Ach ja, den Song wollte ich Wincent ja eigentlich noch zeigen. 

,,Kurz gesagt habe ich mich in seiner Nähe nicht mehr wohl gefühlt, wegen allem was vorgefallen ist … wenn ich ehrlich bin ist es schon lange nicht mehr so wie es mal war und eigentlich ist eine Trennung auf Dauer unvermeidlich. Eigentlich habe ich auch gar nicht Schluss gemacht, sondern bin einfach nur abgehauen … und bis jetzt hat er sich nichtmal gemeldet … was soll ich davon denn halten?‘‘, endete ich und schaute leicht verzweifelt zu Wincent, welcher sein Handy beiseite gelegt hatte und mir aufmerksam zuhörte. 

,,Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht … aber unter dem Aspekt das ich ihn nicht kenne und meine 1. Begegnung mit ihm sowieso eher unschön verlief kann ich deine Gedanken gut verstehen. Vielleicht solltest du aber nochmal mit ihm reden.‘‘, erwiderte er und sah mich dabei aufmunternd an. 

Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Zu lange trug ich diese Gedanken nun schon mit mir rum und endlich darüber reden zu können tat gerade mehr als gut. Seine Worte gaben mir Mut und ich beschloss Henry später noch eine Nachricht zu schreiben um ein letztes Treffen zu vereinbaren.

,,Wincent?‘‘, sprach ich ihn erneut an. 
,,Ja?‘‘ 
,,Ich würde dir gerne noch einen neuen Song zeigen … er ist heute morgen entstanden während ich an der Spree saß und nicht wusste wohin mit mir und er beschreibt meine momentane Gefühlslage bezüglich Henry ziemlich gut.‘‘ 

,,Ja klar, zeig her.‘‘, erwiderte Wincent und sah mich so erwartungsvoll an wie ein Kind, was an Weihnachten auf seine Geschenke wartet. 
Ich überlegte kurz ob sich in diesem Haus irgendein Instrument befand, welches ich begleitend dazu spielen konnte, denn einfach nur singen empfand ich als zu langweilig. Tante Sophia’s alte Gitarre kam mir in den Sinn und vermutlich befand sie sich auf dem Dachboden über uns, da ich mich nicht daran erinnern konnte sie sonst irgendwo gesehen zu haben. Sophia hat früher sehr viel Gitarre gespielt und mir zudem alle Akorde beigebracht. Als kleines Mädchen habe ich ihr stundenlang beim spielen zugeschaut und wenn ich das Lied kannte sogar mitgesungen. Sie war eine tolle Ersatzmama für mich gewesen und bei dem Gedanken an diese Zeit musste ich augenblicklich lächeln. 

,,Oke warte einen Moment, ich muss eben noch was holen.‘‘, bat ich Wincent, während ich aufstand und den Raum verließ. Vorsichtig ging ich zur Luke, welche auf den Dachboden führte und öffnete diese mit einem Stab der als verlängerter Arm diente. Anschließend ließ ich die kleine Leiter herrunter und kletterte an ihr hinauf. 
Das Erste was ich sah waren etliche Kisten und Kartons.

Hier oben herrschte das blanke Chaos und weit und breit war keine Gitarre zu sehen. Ich betrat den Dachboden komplett und schaltete das Licht an, da es hier oben sonst stockduster war. 
Eine kleine Lampe welche von der Decke baumelte spendete ein wenig Licht, doch viel sehen konnte ich immer noch nicht. Ich nahm meine Handytaschenlampe zur Hilfe und leuchtete damit ein paar Kartons an. 
Als ich realisierte wessen Kartons es waren blieb mir kurz die Luft weg. 

Auf jedem dieser Kartons stand ihr Name. 

Helena. 

Meine Mutter. 

In den Kartons befanden sich alle Sachen meiner Mutter. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, denn darauf war ich nun überhaupt nicht vorbereitet gewesen. Ich wusste zwar, dass Tante Sophia die letzten Habseligkeiten meiner Mutter besaß, aber auf Grund meiner Schuldgefühle wegen ihrem Tod hatte ich nie nachgefragt, wo diese verstaut waren. Nun hatte ich sie gefunden … nach all den Jahren. Und das obwohl ich nur nach dieser verflixten Gitarre gesucht hatte. 

Mir wurde schlecht und schwindelig zugleich, sodass ich mich an einem Karton, welcher neben mir stand, abstützen musste. Dieser hielt meinem Gewicht allerdings nicht stand und kippte mit einem lauten Knall um. Da der Karton nicht richtig verschlossen war, ging dieser nun auf und einige Sachen vielen heraus. Hauptsächlich Kleider und ein Decke. Ich ließ mich zu Boden sinken und zog die Decke zu mir. 

Auch wenn meine Mutter bereits 23 Jahre tot war hatte ich direkt das Gefühl mich ihr dadurch näher zu fühlen. Ich bildete mir ein ihren Duft riechen zu können, obwohl ich diesen nie gerochen hatte. Augenblicklich kullerten leise Tränen über meine Wangen und landeten anschließen auf der Decke. Ich zog sie näher an mich ran um mein Gesicht darin vergraben zu können, als ich merkte, dass etwas in die Decke eingewickelt worden war. 

Vorsichtig schaute ich nach und zum Vorschein kam ein Holzkästchen, welches so groß war wie ein Schuhkarton. Das Kästchen war aus einem dunklen Holz und in dem schwachen Licht konnte ich wunderschöne Rankenverziehrungen erkennen. In der Mitte war ‘‘Keep the Memories‘‘ eingraviert. Sanft strich ich mit meiner Handfläche über die Oberfläche des Kästchens. 

Sollte ich es öffnen? Oder würde ich dann etwas sehen was vielleicht gar nicht für mich bestimmt war? Aber wer sollte da schon etwas gegen haben? Meine Mutter gab es ja nicht mehr … und wer weiß, vielleicht würde ich etwas finden, was sie mir ein Stückchen näher bringt.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt