Kapitel 42 - Die richtige Art zu kommunizieren

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(Wincent’s Sicht)

Am nächsten Morgen wurde ich durch die Sonnenstrahlen die durchs Fenster fielen geweckt. Immer noch müde schlug ich meine Augen auf. Sobald sie  sich an das doch sehr helle Tageslicht gewöhnt hatten hörten meine Lider auf zu flattern, sodass ich es schaffte die Augen offen zu halten. Ein wenig verwirrt war ich, als ich bemerkte, dass ich nicht in meinem Gästebett lag. Wenige Sekunden später fiel mir auch wieder ein wieso. 

‘Kannst du noch ein bisschen bleiben?‘, hallten Charlet’s Worte in meinen Gedanken nach. Sie brauchte mich gar nicht groß überreden, denn nachdem was sie gestern Abend durchgemacht hatte, wollte ich sie sowieso ungerne alleine lassen.

Jedoch wollte ich mich ihr auch nicht aufdrängen und ihr den Freiraum lassen, wenn sie diesen brauchte. Ich kannte sie mittlweile ja schon ziemlich gut und wusste, dass es nicht unüblich für sie war sich zurückzuziehen. 
Umso mehr hatte mich ihre Frage zwar überrascht, aber ausschlagen konnte ich es ihr so oder so nicht. 

,,Klar, ich bleibe.‘‘, hatte ich nur geantwortet und sie zurück in meine Arme gezogen. So nah hatte sie mich noch nie an sich ran gelassen und ich hatte das Gefühl, dass ich endlich zu ihr durchgedrungen war. Vielleicht lag das aber auch daran, dass ich diese wirklich privaten Eindrücke von ihrer Mutter mitbekommen hatte und sie deswegen eigentlich gar nichts mehr zu verlieren hatte.

Vorsichtig streckte ich mich in dem gemütlichen Bett, bedacht darauf mich nicht zu viel zu bewegen um sie nicht zu wecken. Doch als ich zur Seite sah, wo sie gestern noch gelegen hatte, musste ich feststellen, dass ich alleine war. Charlet war scheinbar schon aufgestanden und hatte mich einfach weiter schlafen lassen. Zugegeben, die letzten Tage hatte mich auch echt angestrengt, sodass ich über den Schlaf nun doch sehr dankbar war. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal so gut und vorallem tief und fest geschlafen hatte. 

Prüfenden warf ich einen Blick auf mein Handy, welches ich gestern auf dem kleinen Nachtschränkchen abgelegt hatte, um sicher zu gehen, dass ich nicht den ganzen Tag verschlafen hatte. Es war erst kurz nach 10 Uhr und für einen kurzen Moment überlegte ich, wann genau ich letzte Nacht eingeschlafen war. Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, aber Charlet und ich hatten auf jeden Fall noch eine zeitlang über belanglose Dinge geredet um der Sache mit ihrer Mutter ein bisschen die Schwere zu nehmen. Es hatte sie förmlich beruhigt über andere Dinge zu reden. Das hatte ich daran gemerkt, dass ihre Atmung bei jedem Atemzug ruhiger geworden war, sodass sie irgendwann nicht mehr geantwortet hatte, weil sie eingeschlafen war. 

Jedenfalls fühlte ich mich wirklich mehr als erholt, weswegen ich beschloss aufzustehen und mich auf die Suche nach Charlet zu machen. Ich brauchte nicht lange zu suchen, denn von unten drangen ruhige Gitarrenklänge zu mir hoch. Leise schlich ich die Treppe hinunter und folgte der Musik. Die Spur endete im Wohnzimmer, wo Charlet auf dem Sofa mit dem Rücken zur Tür saß, auf der Gitarre rumklimperte und leise vor sich hinsummte. Ab und zu unterbrach sie ihr Spiel um irgendwas aufzuschreiben. Ich konnte einfach nicht anders, als stehen zu bleiben und sie beim komponieren neuer Musik zu beobachten. 

Sie wirkte dabei so unfassbar friedlich und überhaupt nicht so arrogant wie es manchmal bei den Proben schien. Wobei ich diese Seite von ihr jetzt schon länger nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte. Bei dem Gedanken daran musste ich lächeln und mir entfuhr ein leiser Seufzer. Allerdings laut genug um damit auf mich aufmerksam zu machen, denn im nächsten Augenblick drehte sie sich geschockt zu mir um und klappte gleichzeitig das Notizbuch zu, in das sie gerade noch etwas reingeschrieben hatte. 

,,Man Wincent, wie lange stehst du schon da? Ich hab mich voll erschrocken.‘‘, tadelte sie mich und tatsächlich wirkte sie anders als gestern Abend … irgendwie ein wenig genervt. In ihrer Stimme schwang ein leiser Unterton mit, sodass ich direkt aufhörte zu lächeln. 

,,Tut mir leid, ich wollte dich nicht stören.‘‘, erwiderte ich und wandte mich ab um wieder zu gehen. 
,,Nein … nein so war das nicht gemeint.‘‘, ruderte Charlet zurück und ihr Ton wurde um einige Lagen sanfter. 
,,Ich kann es nur nicht haben, wenn man sich so anschleicht und etwas hört, was man eigentlich noch gar nicht hören sollte … also wie viel hast du mitbekommen?‘‘, fügte sie noch hinzu und legte derweil die Gitarre aus der Hand. 

,,Wirklich nicht viel, nur ein paar Akkorde und wie du leise gesummt hast. Ich habe nicht länger als ne Minute hier gestanden ehe du mich bemerkt hast.‘‘, versprach ich ihr und hielt dabei meine Hände in die Luft um ihr zu zeigen, dass ich nicht vor hatte meine Finger zu kreuzen. Meine Geste stimmte sie versöhnlicher und ein unscheinbares Lächeln erschien auf ihren Lippen. Ich sah es dennoch und fasste daher den Entschluss mich zu ihr auf das Sofa zu setzen.

,,Hast du gut geschlafen?‘‘, fragte ich sie um die Stille zu durchbrechen. Wenn ich eins nicht haben konnte, dann wenn eine unangenehme Stille herrschte und ich konnte gerade überhaupt nicht einschätzen, wo dieser Tag noch enden würde. Charlet schien wieder so undurchdringlich, das merkte ich schon an ihrer ganzen Haltung, denn sie hatte sich seitdem ich mich zu ihr gesetzt hatte noch nicht zu mir gewandt. 

,,Ja hab ich … und du?‘‘, erwiderte sie und zu meiner Verwunderung entsprach ihre Antwort nicht ihrem Verhalten. Ihre Stimme wirkte auf einmal wieder so zerbrechlich und schwach, so als würde sie nicht an heute Nacht erinnert werden wollen. 

,,Ja, ich habe gut geschlafen … was hast du da denn gerade gespielt?‘‘, versuchte ich das Thema zu wechseln, woraufhin sie wieder ihre Mauer aufbaute. 
,,Ich hab doch schon deutlich gemacht, dass du das noch nicht hören sollst.'', erwiderte sie und stand auf um die Gitarre zurück in ihre Halterung in der Ecke zu stellen. 

,,Okay … kein Problem, dann frage ich eben nicht weiter nach.‘‘
Ein wenig ratlos saß ich nun auf dem Sofa, während sie stand und in ihrer Bewegung inne gehalten hatte. 
,,Tut mir leid … ich wollte dich nicht so angehen … es ist nur …‘‘, begann sie und sofort bekam ich den Drang sie zu unterbrechen. ,,Ist schon okay, ich verstehe das, …‘‘

,,Nein, eben nicht, lass mich bitte ausreden.‘‘, unterbrach sie mich direkt wieder, weswegen ich verstummte und sie reden ließ. 
,,Es ist so, dass mich die letzten Tage irgendwie ziemlich aus der Bahn geworfen haben … das war einfach alles ein bisschen viel und ich erkenne mich kaum wieder. Ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du hier bist und auch, dass du gestern für mich da warst. Ich weiß das wirklich zu schätzen, Wincent und deswegen würde ich dir gerne etwas zurück geben, aber noch nicht jetzt.‘‘, endete sie, während sie noch immer vor mir stand, die Gitarre in der Hand hielt und ein leicht verzweifelter Ausdruck auf ihrem Gesicht erschienen war. 

Ich hingegen verstand jetzt nur noch Bahnhof, denn ihre Worte passten nicht zu ihrem vorherigen Handeln. Wollte sie mich jetzt bei sich haben oder nicht?
,,Jetzt verstehe ich gar nichts mehr.‘‘, gab ich ehrlich zu. 
,,Willst du jetzt das ich dich in Ruhe lasse oder nicht?‘‘

,,Das habe ich so doch gar nicht gesagt.‘‘, erwiderte sie und da hatte sie tatsächlich recht. Sie hatte nicht explizit gesagt, dass sie in Ruhe gelassen werden wollte. Ich hatte es lediglich aus ihrem Verhalten heraus interpretiert. 

,,Ich wollte nur nicht, dass du dieses Lied jetzt schon hörst, da es noch nicht fertig ist und ich es in gewisser Weise für dich schreibe.‘‘
,,Oh … damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.‘‘ Ich war regelrecht sprachlos und konnte erstmal nichts anderes erwidern. 
Noch nie hatte jemand ein Lied für mich geschrieben, bis jetzt war das irgendwie immer mein Part gewesen und dieses Gefühl war mir vollkommen fremd. Eine angenehme Wärme breitete sich in mir aus und mit einem Mal fühlte ich mich total wertgeschätzt. Dies war jedoch nicht der Tatsache geschuldet, dass sie einen Song für mich schrieb, sondern das sie so ehrlich zu mir war und unsere Kommunikation mittlweile unter einem guten Stern zu stehen schien.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt