Kapitel 11 - Alles nur Fassade?

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(Charlet's Sicht)

Nach der Bandprobe machte ich mich auf direktem Wege zu meiner Tante Sophia. Sie wohnte ein wenig außerhalb von Berlin in Heiligensee. Von meinem Standort aus waren es bis zu ihr knapp 40 km die ich noch fahren musste. Sophia war von Beruf Maklerin und besaß ein wunderschönes Haus direkt an einem See, der den selben Namen trug wie der Ort selbst. Sie hatte mir schon damals, als sie von Magdeburg wegen ihrer neuen Arbeit nach Berlin gezogen war, angeboten das ich jederzeit zu ihr kommen könnte. Von daher bot es sich jetzt natürlich an übers Wochenende bei ihr zu schlafen.

Meine Tante war neben meinem Vater meine einzige Vertrauensperson, was nebenbei bemerkt ziemlich traurig ist, wenn man bedenkt das ich einen Freund und eine beste Freundin habe. Aber die beiden hörten mir einfach nicht so zu wie Sophia es tat. Von daher freute ich mich umso mehr darauf das Wochenende bzw. die Abende bei ihr zu verbringen.

So sehr ich mich auch auf unser abendliches Gespräch freute, es musste warten, denn kaum war ich los gefahren kam ich auch schon in den ersten Stau. ,,So ne Scheiße!'', gab ich genervt von mir und drehte dabei das Radio lauter um meine aufkommende schlechte Laune zu übertönen. Es wurde gerade ein Hit-Mix von deutschen Interpreten gespielt wo unter anderem auch Wincent dabei war. Kurzerhand drehte ich das Radio also wieder leiser, da er nun wirklich nicht zur Besserung meiner Laune bei trug. Ich hatte jetzt schon das Gefühl das dieser Kerl mich noch mein ganzes Leben lang verfolgen würde und dabei konnte ich überhaupt nicht nachvollziehen, weshalb er so erfolgreich mit seiner Musik war. Für mich klangen die Lieder absolut nicht besonders. Irgendwie eintönig und monoton. Klar hatten sie einen Ohrwurm-Faktor, aber gerade das machte sie ja so nervig. Meine Laune ging immer weiter in den Keller und als ich endlich nach einer Stunde Fahrt bei meiner Tante ankam erreichte sie ihren Tiefpunkt. Ein kurzer Blick auf mein Handy reichte dafür aus. Ich hatte mehrere Nachrichten von Henry und 5 Anrufe in Abwesenheit die ebenfalls alle von ihm waren.

Seinen Nachrichten nach zu urteilen hatte er was getrunken, denn keiner seiner Texte ergab einen Sinn. Sie waren vollgepackt mit anzüglichen Sätzen und dadurch das ich nicht geantwortet hatte gingen diese irgendwann in Beleidigungen über. Keine Ahnung was sein verdammtes Problem war, aber ich beschloss heute darauf nicht mehr zu antworten. Im gleichen Moment vibrierte mein Handy, es war Henry der es nun ein 6. Mal versuchte. Für ein Gespräch mit meinem scheinbar betrunkenen Freund war ich definitiv nicht in Stimmung, weswegen ich ihn einfach wegdrückte und mein Handy ausschaltete. Vorher schrieb ich meinem Vater noch eine kurze Whats App, dass ich heile und unversehrt bei Sophia angekommen war. Er war zwar kein überführsorglicher Vater, aber ich hatte mir über die Jahre angewöhnt ihm immer mitzuteilen wo ich war, damit er sich keine Sorgen machte.

Mit meiner Reisetasche ging ich anschließend durch den kleinen Vorgarten zu Sophias Haus. Ich hatte kaum auf die Klingel gedrückt, da wurde die Tür auch schon geöffnet sodass ich direkt in Sophias strahlendes Gesicht schaute. Meine schlechte Laune war von jetzt auf gleich komplett verflogen, denn wir fielen uns überglücklich in die Arme. ,,Charly! Meine Süße, komm her! Ich freu mich so, das du endlich da bist. Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen.'', sagte sie euphorisch während sie mich an sich drückte. Sie war nebenbei bemerkt die Einzige die mich Charly nannte, aber irgendwie mochte ich diesen Spitznamen wenn sie ihn benutzte. ,,Wir haben uns letzten Monat an deinem Geburtstag gesehen.'', erwiderte ich lachend. ,,Oh Gott erinner mich bloß nicht daran, ich werde immer älter!'', entgegnete sie gespielt empört. Wir lachten beide während wir ihr Haus betraten und allgemein war meine Laune schon wieder sehr viel besser. Sobald ich bei ihr war vergaß ich alle meine Sorgen und Probleme und war einfach nur glücklich. ,,Erzähl, wie liefs heute?'', fragte sie nach ehe ich überhaupt meine Jacke ausgezogen hatte. ,,Ganz gut.'', antwortete ich bloß, da mir Wincents Worte immer noch im Gedächtnis geblieben waren. Sie hallten schon seit Stunden nach und mit der Zeit gab ich ihnen immer mehr Bedeutung. Etwas was ich sonst nie tat und was mich verunsicherte. Ich hatte für diesen Kerl nichts übrig und trotzdem schafft er es mich zum nachdenken zu bringen.

Viel Zeit zum drüber nachdenken hatte ich allerdings nicht, denn kurz darauf rief Sophia mich zu sich ins Wohnzimmer wo sie uns beiden eine heiße Schokolade gemacht hatte. Die hatte ich als kleines Mädchen immer total geliebt und selbst heute schaffte sie es mir damit alles zu entlocken was sie wissen wollte. Widerwillig gab ich mich also geschlagen, setzte mich zu ihr und erzählte ihr von der heutigen Bandprobe.

,,Ach Charly, ich versteh dich manchmal nicht ... dieser Wincent scheint doch nett zu sein, wieso machst du es ihm und vorallem dir nur so schwer?'', fragte sie nachdem ich fertig war mit erzählen. Sie hatte eine ganze Zeit lang nichts gesagt, vermutlich da sie nach den richtigen Worten gesucht hatte. ,,Weil es so leichter ist ...'', erwiderte ich während ich meinen Blick starr auf die halbvolle Tasse richtete. ,,Wieso leichter?'', hakte sie natürlich nach. ,,Ich kanns nicht erklären, aber es ist besser wenn er mich nicht leiden kann und unser Kontakt rein auf beruflicher Ebene bestehen bleibt.'', antwortete ich in der Hoffnung sie würde endlich locker lassen. ,,Charly ich weiß was dir fehlt, aber du kannst deswegen nicht alle Menschen wie den letzten Dreck behandeln ...'' ,,Ach aber wie ich behandelt werde interessiert mal wieder niemanden oder?!?'', unterbrach ich sie. Mittlerweile waren mir vereinzelte Tränen in die Augen geschossen welche sich nun eine Weg über meine Wangen bahnten. Wie konnte sie sagen das sie mich versteht, wenn sie verdammt nochmal nicht in meiner Haut steckte? Durch meine glasigen Augen sah ich, dass meine Tante mich total schockiert anschaute. So ein Verhalten kannte sie nicht von mir. ,,Was meinst du damit?'', fragte sie schließlich mit ruhiger Stimme, doch ich war definitiv nicht bereit ihr davon zu erzählen. ,,Ist egal ... ich werde jetzt schlafen gehen.'', sagte ich noch und stand auf um in das Gästezimmer zu gehen. ,,Charly warte ...'', versuchte sie mich aufzuhalten. ,,Ich bin müde Sophia ... gute Nacht.'', wehrte ich sie ab und verschwand nach oben.

In diesem Augenblick hatte ich überhaupt keine Ahnung wie ich den morgigen Tag überstehen sollte. Mir war nur klar, dass ich meine Fassade weiter aufrecht halten werde.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt