Kapitel 15 - Der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte

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(Wincent's Sicht)

Um 15 Uhr betrat ich das Gebäude und hörte schon von weitem Musik, die eindeutig aus unserem Proberaum kam. Vermutlich war Charlet mit ihrer neuen Band schon da um sich ein bisschen einzuspielen. Ihrem Ergeiz sprach ich fast ein wenig Bewunderung zu, doch als ich den Raum betrat wurde ich eines besseren belehrt. ,,Man Jungs! Das klingt komplett Scheiße! Das ist überhaupt nicht meine Tonlage, ihr müsst das ganz anders spielen!'', schrie Charlet durch den ganzen Raum. ,,Das sind aber genau die Noten die du uns gegeben hast.'', verteidigte sich eine männliche Stimme. ,,Ja, aber scheinbar kann keiner von euch sie richtig spielen. Ich kann so nicht arbeiten!'', meckerte sie weiter und ich hörte wie irgendwas mit einem lauten Knall zu Boden fiel. 'Hoffentlich nicht das Mikrofon!', dachte ich mir und hastete um die Ecke. Dort sah ich direkt die verzweifelten Gesichter von 4 Männern die ungefähr in meinem Alter sein mussten.

Ich hatte direkt Mitleid mit ihnen, denn ich wusste ja wie Charlet sein konnte. Bis jetzt hatte sie sich mir gegenüber ja auch so beschissen verhalten, bis auf gestern. Vermutlich war ihr Stimmungsumschwung jedoch nur ihrem Plattenvertrag zu verdanken, denn kurz darauf fiel ihr Blick auf mich woraufhin sie genervt die Augen verdrehte. ,,Wincent, was machst du denn schon hier?'', fragte sie mich dann. ,,Schon mal auf die Uhr geschaut? Es ist 15 Uhr, was heißt das meine Band und ich gleich auch proben werden.'', konterte ich und versuchte durch meine Körperhaltung eine gewisse Strenge auszustrahlen. Sie schien nicht sonderlich beeindruckt. Ganz im Gegenteil, sie ging ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen an mir vorbei um ein Schluck Wasser zu trinken. ,,Oke, nochmal von vorne!'', rief sie und ging zurück auf die Bühne wo die Band schon anfing zu spielen.

Kurz darauf fing Charlet an zu singen und ich konnte wieder einmal nicht verstehen, wie sie solche Texte schreiben und singen konnte, aber sich dann doch so gegensätzlich verhielt.

( Halt mich fest von Madeline Juno )

,,Gefühle lauwarm,
Kein Ja, kein Nein und sowieso,
Ganz allgemein kann,
Ich nicht erkennen was ich tun soll.

Dreh die Zeit,
Nur ein Stück zurück,
Wir driften zu weit,
Voneinander fort.

So bitte weck mich nicht,
Wenn unser Kartenhaus zerbricht,
Lieber versteck ich mich,
Als dazustehen und zuzusehen,
Wie alles was wir waren.
Zugrunde geht in dem Orkan,
Den wir beschworen haben,

Halt mich fest bis es nachlässt.''

Sie legte ziemlich viel Gefühl in ihre Stimme und auf eine gewissen Art und Weise berührten mich ihre Worte sogar. Der Unterschied bestand allerdings darin, dass ich wusste wie sie war, weswegen ich es ihr trotz der guten gesanglichen Leistung nicht abkaufen konnte. Alles in allem war das Zusammenspiel mit ihrer Band definitiv noch ausbaufähig. Da harmonierte einfach gar nichts. Jeder schien sein eigenes Ding durchziehen zu wollen, was den Song weiter abwertete. Ich war so mit analysieren beschäftigt, das ich gar nicht merkte wie Charlet aufgehört hatte zu singen und sich krampfhaft am Mikrofonständer festhielt. Ich gab der Band daraufhin ein Zeichen weswegen sie aufhörten zu spielen und mich fragend ansahen. Ich hatte allerdings nur Augen für Charlet, weswegen ich langsam auf sie zu ging um ihre Aufmerksamkeit dann auf mich zu lenken. ,,Charlet? Du hast deinen Einsatz verpasst ... ist alles in Ordnung bei dir?'', sprach ich sie vorsichtig an. Als ich fast vor ihr stand bemerkte ich, dass sie leicht am zittern war. ,,Charlet ...'', wiederholte ich mich woraufhin sie erschrocken auf sah. ,,Was?'', erwiderte sie während sie mich ansah.

Ihre braunen Augen waren von einem glasigen Schleier überzogen. Irgendetwas schien sie so sehr zu bedrücken, dass es ihr die Tränen in die Augen getrieben hatte. ,,Was ist los?'', hakte ich daher nochmal nach. ,,Nichts ... alles gut. Ich werde die Probe für heute beenden ... mit dieser Band ist eh nichts anzufangen.'', antwortete sie, wobei sie abwesend an mir vorbei schaute. Danach ging sie von der Bühne, schnappte sich ihre Tasche und war kurz darauf verschwunden. Ich schaute ihr nach, doch sobald sie aus der Tür war wendete ich mich ihrer Band zu. ,,Hey Jungs, ich bin Wincent.'', stellte ich mich erstmal vor. Da meine Band heute scheinbar Verspätung hatte unterhielt ich mich derweil mit den Vieren und musste feststellen, dass Charlet sich auch ihnen gegenüber von Anfang an einfach nur hochnäsig verhalten hatte. Langsam glaubte ich wirklich, dass das ihr wahrer Charakter war, doch ich war auch ein Mensch der immer an das Gute in einem Menschen glaubte. Nur war ich mir langsam nicht mehr sicher ob sie es wert war meine Energie mit ihr zu verschwenden. Da hatte ich definitiv besseres zutun.

Charlet ließ sich für den Rest des Tages nicht mehr blicken, weswegen wir ihre Band einfach in unsere Proben mit einbezogen. Meine Jungs halfen ihnen dabei als vollständige Band zusammen spielen zu können und gaben ihnen noch viele weitere hilfreiche Tipps. Am Ende des Tages waren sie so gut, dass ich fast ein bisschen neidisch war, doch im Endeffekt hatte ich ja meine Band die ich auch über alles liebte und niemals eintauschen wollen würde. Ich konnte nur hoffen, dass sich der Aufwand gelohnt hatte und Charlet sich ihnen ein wenig anpassen würde.

Sie lies sich allerdings auch den Rest der Woche nicht bei den Proben blicken, weswegen ich Tim Renner benachrichtigte. Es war mittlerweile Freitag und sie und ihre Band hatten bis auf das eine Mal nicht vernünftig miteinander geprobt. Morgen schon würde die kleine Session im Tonstudio stattfinden und ich war fest entschlossen meinen Plan in die Tat umzusetzten. Langsam hatte ich von ihrem Verhalten nämlich die Schnauze voll. Ich wählte seine Nummer und musste gar nicht lange warten bis Tim abnahm. ,,Hey Wincent, was gibt's?'', fragte er mit seiner bekannten euphorischen Stimme. ,,Hallo Tim, ich wollte nur einmal nachfragen ob du was von Charlet gehört hast.'' ,,Nein, wieso sollte ich, ist sie nicht bei euch?'', erwiderte er sichtlich verwirrt. ,,Nein, schon die ganze Woche lang nicht.'', antwortete ich ihm. ,,Puhh, das klingt aber gar nicht zuverlässig, ich werde mich drum kümmern.'' ,,Oke, aber tu mir einen Gefallen. Kündige ihr nicht. Ich hab eine Idee wie ich sie zur Vernunft bringen kann, dafür muss sie morgen allerdings zu der Akustik Session ins Tonstudio kommen.'' ,,Okay, ich hab zwar keine Ahnung was du vor hast, aber da ich selbst nicht so scharf darauf bin einen neuen Künstler direkt wieder zu kündigen lasse ich dich mal machen. Ich sorge dafür das sie morgen da sein wird.'' Damit war das Gespräch beendet.

Am nächsten Tag war ich schon ein kleines bisschen aufgeregt, nicht weil ich vor einer handvoll Fans ein paar Lieder spielen würde, sondern weil ich Charlet endlich klar machen wollte, dass sie mit ihrem Verhalten, wenn sie so weiter macht, nicht weit kommen wird. Ich fühlte mich zwar ein bisschen schlecht, aber wenn ich ihr dadurch eine Lektion erteilen könnte würde das mein schlechtes Gewissen schon rechtfertigen.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt