(Wincent's Sicht)
Zwei Wochen später stand, nach erfolgreichen Proben, der Wochenendausflug mit Charlet in meine Heimat an. Es war Freitag, der 10. Mai und ich war mitunter ziemlich aufgeregt da ich ihr nicht nur meine Heimat, sondern auch meine Familie zeigen würde. Ich hatte seit meiner letzten Beziehung keine Frau mehr mit nach Hause gebracht und Charlet war noch nichtmal eine potentielle Freundin. Hinzu kam, das ich es auch nicht geschafft hatte meiner Mum davon zu erzählen. Nicht weil ich ihr gerne was verheimliche, sondern weil ich ihren Fragen am Telefon entgehen wollte.
Nun stand jedoch erstmal die Autofahrt nach Eutin an, auf die ich wirklich mehr als gespannt war. In der letzten Woche liefen die Proben wirklich gut. Charlet war wie ausgewechselt. Sie lachte viel mehr, alberte mit der gesamten Gruppe rum und generell hatte sich ihre Art zu singen dadurch ebenfalls ins positive verändert. Sie versuchte nicht mehr die Perfektionistin zu sein, sondern hatte Spaß auf der Bühne. Man könnte jetzt meinen, das es den Ausflug dann ja gar nicht mehr brauche, doch ihr unbeschwertes Verhalten kam nur daher, das wir bei den Proben quasi eine Social Media Pause eingeführt hatten. Nichts was dort passierte wurde nach außen getragen, weswegen sie mit der Zeit immer lockerer wurde. Sobald die Öffentlichkeit jedoch im Spiel war baute sie ihre Schutzmauer wieder auf und zeigte ledigliche ihre arrogante, coole Seite, die nicht bei jedem gut ankam. Sie konnte es sich auch selbst nicht erklären. Zumindest war das ihre Ausrede, wenn ich sie danach fragte. Ich war daher wirklich fest entschlossen, ihr mit diesem Wochenende klar zu machen, das sie eigentlich einfach nur sie selbst sein muss.
Wie vereinbart wartete ich um Punkt 12 Uhr, in meinem schwarzen Mercedes, vor der Einfahrt des Hauses ihrer Tante. Sie ließ lediglich 2 Minuten auf sich warten, ehe sich die Haustür öffnete und Charlet mit ihrem Koffer auf mich zu kam. Ich stieg aus, um ihr mit dem Koffer zu helfen und ließ es mir ebenfalls nicht nehmen, ihr Gentleman-Like die Tür aufzuhalten. ,,Sehr freundlich, Herr Weiss.'', kommentierte sie verschmitzt und stieg mit einem Lächeln ein.
Das Verhältnis zwischen uns war mittlerweile wirklich so angenehm, das ich mich in ihrer Gegenwart richtig wohl fühlte. Die Autofahrt dauerte aufgrund einiger kleiner Staus fast 4 ½ Stunden. Dennoch fühlte es sich so an, als würde die Zeit wie im Fluge vergehen und nebenbei bemerkt störten uns die wenigen Stop&Go Minuten auch überhaupt nicht, da wir uns entweder über die verschiedensten Themen unterhielten oder laut irgendwelche Heavy Metal Lieder mitgröhlten.
Ein wenig heiser vom lauten mitsingen, wobei ich es viel mehr als schreien bezeichen würde, kamen wir schließlich in Eutin an. Ich parkte meinen Wagen vor der Garage und bemerkte dadurch direkt, das meine Mum schonmal nicht zuhause war. Gut so, denn so würde ich ihren Fragen noch für eine Weile entgehen können. Wir beschlossen erstmal unsere Sachen reinzubringen.
Als ich die Haustür zu meinem Zuhause aufschloss und mich anschließend zu Charlet umdrehte, konnte ich ihr ihre Faszination direkt ansehen. ,,Wow, das Haus ist ja mal mega schön.'', sprach sie ihre Gedanken laut aus und bestätigte damit meine Vermutung. ,,Ja, ich weiß. Von all den Häusern in denen ich schon gelebt habe ist dieses hier auch mein Liebstes.'', teilte ich ihr voller stolz mit, da ich damals der ausschlaggebende Punkt war, dass wir dieses Haus gekauft hatten. Meine Mutter war sogar ernsthaft beleidigt gewesen als ich anschließend ein halbes Jahr später nach München gegangen bin. ,,Was meinst du mit all den Häusern?'', fragte Charlet amüsiert und holte mich somit aus meinen Gedanken. ,,Ach wir sind früher oft umgezogen. Aber frag nicht wie oft, ich hab irgendwann aufgehört mitzuzählen.'', erwiderte ich, während ich die Tür hinter uns schloss.
Ich zeigte ihr schnell mein altes Zimmer in dem sie schlafen würde und brachte meine Sachen derweil in das Zimmer meiner Schwester.
,,So und was hat der Herr für heute noch so geplant?'', wollte Charlet wissen, als wir kurze Zeit später zusammen in der hellen Küche standen und uns jeweils ein Glas kühle Limonade gönnten. ,,Ich dachte mir ich zeige dir einfach mal die Gegend.'', antwortete ich und nahm noch einen weiteren großen Schluck. Die selbstgemachte Limo meiner Mum hatte ich total vermisst. Alleine deswegen lohnte es sich schon nach Hause zu kommen.
,,Ich hab für heute aber echt genug im Auto gesessen.'', jammerte Charlet direkt und schaute mich wehmütig an. ,,Wer hat denn gesagt, das wir mit dem Auto fahren?''
Ich verließ die Küche, woraufhin sie mir neugierig folgte. In der Garage angekommen musste ich feststellen das meine Schwester scheinbar mit ihrem Rad unterwegs war, weswegen ich nun auf das Rad meiner Mum deutete. ,,Wir machen eine kleine Fahrrad Tour.'', verkündete ich so euphorisch wie möglich. Die ganzen letzten Tage schon hatte ich mir ausgemalt was ich ihr alles zeigen wollte und am besten konnte man diese Orte eben mit dem Fahrrad erreichen. ,,Wow, das ist nicht dein Ernst.'', erwiderte sie trocken, konnte sich das Lachen aber nicht ganz verkneifen. ,,Das ist mein voller Ernst.'', entgegnete ich lachend und machte mich daran zu schaffen mein Rad zu befreien.
Eine halbe Stunde später fuhren wir los und ich fühlte mich ein bisschen in meine Jugend zurück versetzt. Wie oft war ich damals diese Straßen lang gefahren. Ich verband so viel mit diesem Ort und doch war ich nur so selten hier. Wieder einmal nahm ich mir vor öfter hier herzukommen, doch wie schon die Male davor wurde mir direkt bewusst, dass dies wohl wieder eher ein leeres Versprechen meiner Gedanken bleiben würde.
Als Erstes schlug ich den Weg zu meiner alten Schule, der KBS Eutin, ein. ,,Das ist meine alte Schule.'', teilte ich Charlet mit, die hinter mir her fuhr. ,,Oh man bitte erinner mich nicht an die alten Schulzeiten. Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe.'', erwiderte sie bloß, weswegen wir direkt weiter fuhren. Unser nächstes Ziel war der Skaterpark. ,,Das war früher mein zweites Zuhause. Hier habe ich quasi meine ganze Jugend verbracht. Sowohl manchmal vor, aber auch immer nach der Schule. Dafür das ich früher so viel gefahren bin ist leider nicht sehr viel hängen geblieben, aber ein paar Tricks bekomme ich noch hin.'' ,,Würde ich ja zu gerne mal sehen.'' ,,Wir können gerne morgen nochmal hier her kommen, mein Board hab ich ja zuhause.'', schlug ich, erfreut darüber das sie sich dafür interessierte, vor.
Ein paar Straßen weiter kamen wir zu dem alten Spielplatz auf dem ich mit meiner Schwester immer gespielt hatte. Direkt spielte sich ein Film in meinem Kopf ab, wie ich mit Shayenne fangen gespielt hatte, wie wir zusammen gerutscht sind, aber auch wie ich sie mit Sand beworfen hatte und dafür Ärger von meiner Mum bekommen habe. Das war ziemlich unfair gewesen, denn sie hatte schließlich angefangen. Das hatte meine Mum nur nicht interessiert und so war ich derjenige der an dem Tag ohne Essen ins Bett ging, da ich auch überhaupt nicht einsichtig war. Ein Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab, welches auch Charlet nicht entging. ,,Was ist?'', fragte sie neugierig.
,,Ach nichts, ich habe ich mich lediglich an ein paar schöne Momente erinnert. Meine Schwester ist so schnell groß geworden ... da wird man fast ein bisschen wehmütig. Ich sehe uns noch da vorne im Sandkasten sitzen und frage mich echt wo die Zeit nur hin ist.'' ,,Das klingt schön, aber irgendwie auch schade das du jetzt nicht mehr so oft hier bist. Du scheinst deine Schwester echt gern zu haben.'', bemerkte sie und da konnte ich ihr natürlich nur recht geben. ,,Ja total! Ich liebe meine Schwester und meine Mutter über alles. Ich wüsste echt nicht was ich ohne die Beiden machen würde. Man sagt es den Menschen die man liebt ja leider viel zu selten, aber sie haben echt für alles Verständnis. Ich kann mich echt richtig glücklich schätzen so eine tolle Familie zu haben. Meine Mutter würde echt alles für mich tun, wahrscheinlich würde sie sogar Berge versetzten wenn sie könnte.'', sagte ich und musste lachen, bis ich merkte, dass ich das Thema wohl in die falsche Richtung gelenkt hatte. Charlet sah total nachdenklich und sogar ein bisschen traurig aus. ,,Was ist los? Hab ich was falsches gesagt?''
,,Nein ... es ist nur so, das ich es ein bisschen Schade finde, das ich meine Mutter nichteinmal kennenlernen durfte ... du kannst dir nicht vorstellen wie sehr ich mir damals eine Mutter gewünscht habe. Mein Papa ist wirklich der Beste, aber eine Mutter kann eben keiner ersetzen. Ich vermisse sie ... ich vermisse sie so sehr und das obwohl ich sie nie gekannt habe.'', erwiderte Charlet niedergeschlagen und in dem Moment erkannte ich, wie falsch ich mit meinen Worten damals gelegen hatte. Natürlich kann man jemanden vermissen den man nicht kennt, zumindest wenn man einen Bezug zu dieser Person hat. In Charlet's Fall war es eben ihre Mutter die ihr fehlte. In ihrem Leben hatte scheinbar keiner diese Rolle übernommen. Kein Wunder also, das sie versucht sich mit allen Mitteln selbst zu schützen.
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- BETWEEN THE LINES - (pausiert)
FanficDie 23 Jährige Charlet singt für ihr Leben gern und das auch noch ziemlich gut. Sie lebt außerdem in einer ziemlich ungewöhnlichen Wg mit ihrem Vater zusammen. Die Beiden haben einen ziemlich guten Draht zueinander, weswegen er sie unterstützt wo er...