Kapitel 16 - Die Lektion

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(Charlet's Sicht)

Es war Samstag, der 16.03.2019 um genau zu sein. Für Mitte März war eigentlich relativ schönes Wetter, aber trotzdem war es eisig kalt. Herr Renner hatte mich gestern Abend angerufen und nachgefragt warum ich die ganze Woche bei den Proben gefehlt habe. Da hatte dieser Vollidiot mich doch tatsächlich verpetzt, weswegen ich nun gezwungen war mir seine Tonstudio Session anzuhören, da ich sonst laut Herrn Renner abgemahnt werden würde. Es ärgerte mich total wie viel Einfluss Wincent zu haben schien. Theoretischer Weise könnte er meine Karriere dadurch zerstören und anscheinend war das seine Art mir das zu zeigen.

Da ich das auf keinen Fall wollte stand ich nun also in Berlin vor dem Hintereingang eines Tonstudios und wartete auf die restliche Truppe. Herr Renner hatte mir gesagt das ich um 9 Uhr da sein sollte und nun war es gleich schon 10 Uhr. Wo blieben die denn alle? Die Minuten verstrichen. Mir war mittlerweile nicht mehr nur kalt, sondern ich musste auch mal ganz nötig für kleine Nachwuchstalente. Um mich von meiner fast platzenden Blase abzulenken begann ich einen inneren Monolog mit mir zu führen. Ich legte mir Sätze zurecht die ich Wincent gleich unbedingt an den Kopf knallen wollte. Er hatte doch gar keine Ahnung warum ich nicht mehr zu den Proben erschienen bin. Was fiel ihm also ein einfach so dreist zu handeln und das Herrn Renner mitzuteilen. Wusste er denn gar nicht, dass mich das meinen Vertrag kosten könnte? Meine Wut auf ihn stieg ins Unermessliche. Um kurz nach 10 Uhr trudelte Wincent mit Benni und Manu ein. Im Schlepptau hatten sie Tobi, meinen Gitarristen, und Niklas, meinen Keyboarder, dabei. Ich war so verwirrt darüber, dass mir prompt die Worte fehlten als die 5 wie selbstverständlich an mir vorbei spazierten. Endlich im Warmen angekommen suchte ich als erstes eine Toilette auf. Meine angestaute Wut musste noch ein bisschen warten.

Doch auch nach meinem Toilettengang hatte ich keine Möglichkeit Wincent mit meinen zurecht gelegten Sätzen zu konfrontieren. Er wurde immer wieder von irgendwelchen Mitarbeitern in Beschlag genommen und gab einige Interviews, da diese ganze Aktion von einem Radiosender organisiert worden war. Alles in allem ging es generell ziemlich hektisch zu und ehe ich mich versah betraten auch schon um die 20 Mädchen das kleine Studio. Man konnte das Adrenalin in dem Raum förmlich riechen. Eines der Mädchen bekam sogar Schnappatmungen als sie Wincent sah. Grundsätzlich zeigte jede von ihnen eine Reaktion die ich absolut lächerlich und übertrieben fand. Was war nur mit den Allen falsch? So toll war er ja nun auch wieder nicht. Trotzdem war es interessant zu sehen was ein Vollidiot bei so ein paar Teenieherzen auslösen konnte. Ich betrachtete das Schauspiel eine Weile während ich dennoch gelangweilt an der Studiowand lehnte. Wincent spielte eine kleine Akustik Session seiner älteren Lieder und auch ein paar Neue waren dabei. Ich fragte mich immer noch was ich hier überhaupt zu suchen hatte, bis Wincent nach 'Musik sein' das Wort ergriff und eine Ankündigung machte die mir im ersten Moment den Boden unter den Füßen wegriss.

,,So als nächstes werde ich eine kurze Pause einlegen, aber keine Sorge, in der Zwischenzeit werdet ihr ganz exklusiv meinen neuen Support Act für die kommende Festival Saison zu hören bekommen. Charlet Fleur, kommst du bitte mal zu mir?'', sprach Wincent, wobei er den letzten Satz weniger wie eine Frage und vielmehr als Aufforderung betonte. Im ersten Moment glaubte ich mich verhört zu haben, doch als er mich auch nach wenigen Minuten, in denen ich nicht reagiert hatte, immer noch auffordernd ansah begriff ich was das werden sollte. Er wusste ganz genau wie katastrophal die Proben gelaufen waren und natürlich war ihm bewusst, dass ich mit den Jungs einfach noch nicht funktionierte. Seinem aufgesetzten Lächeln nach zu urteilen wollte er mich einfach nur bloß stellen, doch jetzt einen Rückzieher zu machen würde definitiv nicht gut ankommen. Ohne ein Wort zu sagen stand ich letztendlich auf und lief durch den schmalen Gang zu Wincent. Tobi und Niklas hatten schon mit Benni und Manu getauscht, sodass es eigentlich direkt hätte losgehen können. Ich fühlte mich komplett überrumpelt als Wincent mir mit einem triumphierenden Lächeln das Mikrofon in die Hand drückte.

,,Wärst du mal zu den Proben erschienen.'', flüsterte er mir noch ins Ohr ehe er sich zu den Fans ins Publikum setzte. Eine leichte Gänsehaut überkam mich und gleichzeitig spürte ich einen unangenehmen Kloß im Hals. Unsicher drehte ich mich zu Tobi und Niklas um kurz Rücksprache mit ihnen zu halten. ,,Wir haben die letzten Tage 'Schatten ohne Licht' geprobt.'', teilten sie mir mit. Ich schaute verzweifelt zur Decke und betete zu meiner Mutter, dass das ein schlechter Scherz sein sollte. Schatten ohne Licht war mit Abstand mein schwierigstes Lied, da ich zwischen mehreren Tonlagen wechseln musste und es zudem nicht funktionierte dieses Lied, ohne gewisse Emotionen zu zeigen, rüberzubringen. Ich war weder eingesungen, noch in der emotionalen Verfassung dazu dieses Lied jetzt zu singen. Und doch stand ich nun hier, mit den Rücken zu all den Leuten die jetzt von mir erwarteten das ich singen würde. Inklusive Wincent, dessen Blicke ich immer noch auf mir spürte. Er schien relativ siegessicher, doch ich wäre nicht ich wenn ich mich von so einer hinterhältigen Aktion unterkriegen lassen würde. ,,Okay, dann fangt an zu spielen ...'', sagte ich zu den Beiden woraufhin Niklas am Klavier begann.

Er spielte die Anfangsmelodie zwei Mal hintereinander ehe ich es schaffte einzusteigen. Es klang für mich im Grunde genommen wie ein komplett anderes Lied, da wir es a) nie geübt hatten und b) er eine Eigeninterpretation zu spielen schien. Das hatte Wincent wirklich ganz toll eingefädelt. Andererseits war es zum Teil auch meine eigene Schuld, da ich ja nicht bei den Proben war. Aus gutem Grund, möchte ich dem hinzufügen. Aber das konnte ja keiner von ihnen wissen, da ich solche privaten Dinge lieber für mich behielt. Es ging sie schlichtweg nichts an, Wincent am aller wenigsten. Niklas hörte auf zu spielen, da ich durch meine Gedankengänge aufgehört hatte zu singen. ,,Charlet ... ist alles in Ordnung bei dir?'', sprach Tobi mich von der Seite an. ,,Das geht dich gar nichts an.'', zischte ich wütend und lief kurzerhand aus dem Raum.

Im Flur blieb ich an eine Säule gelehnt stehen um erstmal tief durchzuatmen. Meine Augen hielt ich geschlossen und doch bemerkte ich nach kurzer Zeit das ich nicht mehr alleine war. Ich spürte seine Anwesenheit direkt, da mich ein unangenehmes Gefühl überkam. Jedoch rechnete ich nicht damit das er so nah vor mir stehen würde und erschrak daher leicht als ich meine Augen schließlich öffnete. Ich hatte mich allerdings schnell wieder im Griff weswegen sich meine Fassungslosigkeit direkt in Wut umwandelte. Dabei kamen die ganzen angestauten Emotionen von heute morgen wieder hoch was mich dann letztendlich dazu brachte ihm meine Meinung um die Ohren zu knallen.

,,Du bist das aller Letzte Wincent Weiss! Was fällt dir eigentlich ein mich so bloß zu stellen?!? Du hast verdammt nochmal keine Ahnung wieso ich nicht bei den Proben war und dann rufst du auch noch Herrn Renner an? Du spinnst doch komplett! Was soll der Scheiß?!?''

Meine Wut kannte kein Halten mehr, doch die Tatsache das Wincent meine Standpauke einfach über sich ergehen ließ nahm mir gleichzeitig die Motivation weiter zu machen.

,,Bist du fertig?'', fragte er nachdem ich nichts weiter sagte. ,,Noch lange nicht! Du wirst schon sehen was du von dieser Aktion hast!'', erwiderte ich und wollte eigentlich dieses verdammte Gebäude endlich verlassen. ,,Es bringt dir rein gar nichts mir jetzt zu drohen, Charlet. Ich wollte dir lediglich eine Lektion erteilen.'', sagte Wincent ruhig und hielt mich damit auf. Eine Lektion? Wofür?

,,Warum?'', fragte ich etwas ruhiger, jedoch ohne ihn anzusehen. Mein Puls war immer noch auf 180, doch ich sah ein, dass mein Tonfall mich nicht wirklich weiter brachte. ,,Weil du mit deinem arroganten Verhalten was du, seitdem ich dich ''kenne'', an den Tag legst nicht weit kommen wirst. Ich wollte dir lediglich zeigen was passieren kann wenn du mit deiner Einstellung so weiter machst. Vielleicht solltest du aber auch allgemein nochmal darüber nachdenken ob das wirklich das Richtige für dich ist, weil ganz ehrlich ... momentan stellst du dich nicht sonderlich gut dabei an.''

Die folgenden Worte flüsterte er mir förmlich zu, da wir mittlerweile mit unserem Streit für ein wenig Aufsehen gesorgt hatten. ,,Und pass in Zukunft besser auf was du zu mir sagst. Ich habe bereits so viel erreicht wovon du gerade nur träumen kannst und habe außerdem mehr Einfluss als du dir vorstellen kannst. Ich rate dir also mich nicht weiter zu verärgern.''

Mit diesen Worten lies er mich wieder einmal stehen und langsam begriff ich, dass ich wohl zu weit gegangen war.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt