Kapitel 27 - Eutin und seine geheimen Ecken

187 6 0
                                    

(Charlet's Sicht)

Nach dem Frühstsück machten wir uns fertig um uns anschließend auf den Weg in die Stadt zu machen. Laut Wincent's Aussage war es wohl nicht so weit, weswegen wir zu Fuß gingen. Wir liefen ungefähr 10 Minuten an wunderschönen Häuserfassaden entlang. Es waren alles alte Backsteinhäuser die alle ein wenig krumm und schief waren, doch genau das verleihte der ganzen Gegend ihren Charme. Die Straßen waren zum Teil noch von früher erhalten geblieben und rundeten das Gesamtbild, mit den Kopfsteinpflastern, perfekt ab. Alles in allem war diese Gegend hier so schön, dass ich direkt nachvollziehen konnte, wieso Wincent so gerne hier war und auch warum es ihm nicht sonderlich schwer fiel, auf dem Boden zu bleiben. Ich fand es interessant zu sehen, was für einen Einfluss die Heimatstadt auf einen Menschen haben konnte. Wincent fühlte sich hier sichtlich wohl, weswegen ich ihn auch das ein oder andere Mal dabei beobachtete wie er sich zufrieden umschaute und einfach nur absolut entspannt wirkte. Von seiner morgentlichen Verwirrtheit war nun fast gar nichts mehr zu sehen. Die Tatsache, dass wir, seitdem wir das Haus verlassen hatten, noch kein Wort miteinander gewechselt hatten, zeigte aber, dass er doch relativ in sich gekehrt war und scheinbar nachdachte.

Ich beschloss jedoch ihn erstmal in Ruhe zu lassen und genoss derweil die Sonnenstrahlen, die mir mittlerweile ins Gesicht fielen. Wenige Minuten und eine kleine Gasse später standen wir auf dem großen Marktplatz. Direkt vor mir stand ein Obelisk, eine Steinpfeiler in seiner Funktion als Ehrenmal. Rund um das Denkmal war die Fläche bepflanzt und Bänke an allen 4 Seiten luden zum ausruhen ein. Wenn ich alleine unterwegs gewesen wäre, hätte ich mich sicherlich dazu hinreißen lassen, auf einer der Bänke zu verweilen, um das schöne Wetter zu genießen. Allerdings war Wincent mittlerweile weiter gelaufen, sodass ich ihn mit schnellen Schritten folgte. In meiner Eile ließ ich mich jedoch nicht davon abbringen weiterhin den schönen Marktplatz zu betrachten. Gegenüber von einem alten Fachwerkhaus war ein Brunnen in den Boden eingelassen. Ein weißes Geländer umrandete ihn und obwohl heute ein sonniger und relativ warmer Tag war, schien der Brunnen außer Betrieb zu sein. Im Hintergrund konnte man ganz deutlich das spitze Dach einer Kirche erkennen. Ich war überhaupt nicht religiös, aber alles in allem ergaben die Häuser im Vordergrund, mit der Kirche im Hintergrund, ein perfektes Gesamtbild. Neben dem Fachwerkhaus lag ein Brauhaus, dessen Schild in Form einer Bierflasche, mit dem Slogan ''Brauhaus Eutin – Das Bier der Region'', warb.

Wincent steuerte zu meinem Erstaunen jedoch das Haus neben dem Brauhaus an. Es war ein kleines, relativ unscheinbares Cafè, mit dem ebenso einfachen Namen 'Stadt Cafè'. Wenn Wincent nicht so akribisch darauf zugegangen wäre, hätte ich diesem Cafè wohl niemals Beachtung geschenkt. ,,Ich hätte jetzt ja nicht gedacht, dass du in ein Cafè gehst, wenn direkt nebenan ein Brauhaus ist wo es das Bier der Region gibt.'', sprach ich meine Gedanken aus, woraufhin er schmunzelte. ,,Ich bin eben doch noch für eine Überraschung gut.'', erwiderte er und hielt mir ganz Gentlemanlike die Tür des Cafès auf. Zugegeben, ich hätte wahrscheinlich nichtmal den Eingang gefunden, denn dieser war genauso unscheinbar wie das Cafè selbst. Innen drin wurde ich dann allerdings doch ziemlich überrascht. Direkt am Eingang befand sich eine Theke mit Kuchen und Eis. Dahinter lag der Interne Bereich des Cafès. Links führte eine kleine Treppe hoch zu einem sehr altmodisch eingerichteten Raum. Der Raum wirkte sehr hell, aber alles in allem war es tatsächlich weniger mein Stil, da alles sehr auf alt gemacht war. Nichts desto trotz kam eine gewisse melancholische Atmosphäre auf. Direkt neben der Treppe ging es ein paar Stufen runter in eine Art Keller. Doch auch in diesem Raum standen ein paar Tische und altmodische Sessel. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass Wincent sich in solchen Räumlichkeiten aufhalten würde. Vermutlich würde das niemand erwarten, denn laut meinen Beobachtungen saß hier eher älteres Klientel.

Immer noch komplett überrascht von der gesamten Situation bemerkte ich erst gar nicht, dass eine Kellnerin an uns heran getreten war und sich mit Wincent unterhielt. ,,Charlet, das ist Anna. Eine alte Schulfreundin von früher.'', erklärte er mir als er meinen fragenden Blick bemerkte. Ich nickte bloß und folgte ihm kurz darauf in einen abgelegenen Raum nach rechts. Wincent setzte sich in die hinterste Ecke, weswegen ich auf dem Stuhl gegenüber von ihm Platz nahm. Wir bestellten bei seiner ehemaligen Schulfreundin jeweils einen Kaffee und stellten dabei fest, dass wir ihn beide am liebsten schwarz tranken. Es dauerte nicht lange und Anna stellte zwei dampfende Tassen mit Kaffee vor uns ab.

Vollkommen in seinen Gedanken verloren starrte Wincent ins Leere, während er vorsichtig an seinem Kaffee nippte. ,,Was ist los? Du bist schon den ganzen Morgen so still.'', holte ich ihn aus seinen Gedanken, da ich das betretene Schweigen zwischen uns nicht mehr ertrug. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, während er meinen Blicken jedoch weiterhin auswich. ,,Wincent! Hey, rede mit mir.'', forderte ich ernergisch und schnippte einmal mit meinen Fingern vor seinem Gesicht herum. Endlich sah er mich an, doch nach wie vor konnte ich nicht ergründen, was sein Problem war. Sein Blick schweifte wieder ab, entlang an der Wand die als ein Bücherregal genutzt wurde. Wincent in so eine Umgebung zu sehen war definitv mehr als ungewohnt.

Letztendlich nahm er nochmal einen großen Schluck seines Kaffees, ehe er zu sprechen begann. ,,Ich mache mir schon seit gestern Gedanken darüber, warum meine Mutter sich dir gegenüber so merkwürdig verhalten hat. Ehrlich gesagt habe ich heute Nacht sogar kaum geschlafen deswegen. Dann habe ich meine Mutter heute Nacht in der Küche entdeckt wie sie in alten Fotoalben herumgeblättert hat.'', er machte eine kurze Pause, als würde er überlegen, was er als nächstes sagen wollte. In seinen Augen konnte ich genau erkennen, wie er einen Gedanken verwarf und stattdessen fortfuhr. ,,Und heute morgen komme ich in die Küche und ihr beide sitzt am Küchentisch als wäre nie etwas gewesen ... als wäre die 1. Begegnung zwischen euch nicht so komisch verlaufen ... also ganz ehrlich ... ich bin verwirrt.''

Ich konnte mir ein leises Kichern nicht verkneifen. Es war irgendwie amüsant zu sehen, wie er an der gesamten Situation fast verzweifelte und allgemein sich so viele Gedanken darüber machte. ,,Das ist nicht lustig ...'', brummelte er in sich hinein und wandte seinen Blick zum Fenster auf der anderen Seite. ,,Oke, sorry ... du hast recht. Aber ich glaube das kann ich dir so halbwegs erklären. Mir ist das gestern mit deiner Mutter auch aufgefallen, doch heute morgen wo ich in die Küche kam, hatte sie total gute Laune und hat mich total herzlich empfangen. Mir war es dann irgendwie auch zu blöd sie darauf anzusprechen und wegen gestern nachzufragen ... vielleicht hatte sie ja einfach nur einen schlechten Tag?'', versuchte ich ihn aufzumuntern. ,,Ja ... vielleicht.'', lautete seine Antwort, klang dabei aber nicht wirklich überzeugt. ,,Na ja egal, lass uns nicht weiter über meine Mutter reden. Was war denn gestern bei dir los?'', lenkte er ab und ich musste einen kurzen Augenblick überlegen. Was meinte er damit?

,,Was soll bei mir los gewesen sein?'', fragte ich nach. ,,Na der Anruf ... oh fuck ...'', unterbrach er sich direkt und strich sich mit einer Hand verlegen durch seine zerzausten Haare. Ein weiterer Augenblick verging ehe ich verstand welchen Anruf er meinte. Meine Augen weiteten sich und im ersten Moment wusste ich nicht, ob ich nun erleichtert sein sollte, weil ich nun jemanden hatte mit dem ich darüber reden konnte, oder ob ich sauer sein sollte, das er mich scheinbar belauscht hatte.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt