Kapitel 17 - Prägende Vergangenheit

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(Charlet's Sicht)

Immer wieder gingen mir seine Worte durch den Kopf. Ich war immer noch ziemlich wütend auf ihn, aber gleichzeitig hatte er auch Recht. Warum verhielt ich mich allen gegenüber bloß so scheiße? Früher war ich doch auch nicht so. Im Grunde genommen hat das alles angefangen als ich Cailee, meine beste Freundin, kennengelernt habe.

Hastig verließ ich das Tonstudio und trat hinaus in den Nieselregen. Dieses Wetter machte es mir leicht in meiner aktuellen Stimmung zu bleiben. Während ich zurück zu meinem Auto lief dachte ich an jene Party zurück als ich Cailee zum ersten Mal gesehen hatte.

Sie war diese blonde Schönheit um die sich alle Jungs der Oberstufe scharrten. In ihrem schwarzen Minikleid, was nebenbei bemerkt ihre Figur perfekt betonte, sah sie aus wie eines dieser Victoria Secret Models, die gerade frisch vom Laufsteg kam. An ihr stimmte einfach alles – bis auf ihr Charakter. Das merkte ich relativ schnell als ich versuchte mit ihr Kontakt aufzunehmen. Sie schenkte mir keinerlei Beachtung, aber ganz ehrlich das hätte ich an ihrer Stelle vermutlich auch nicht getan. Ich war damals in der 8. Klasse nämlich dieses kleine unscheinbare Mädchen was ihre Mutter nicht kannte und deswegen von ihrem Vater groß gezogen worden war. Keiner meiner Mitschüler wusste jedoch das meine Mutter bei meiner Geburt verstorben war. Sie zerissen sich lediglich das Maul über irgendwelche Gerüchte die sie gehört hatten. ,,Die hat keine Mutter, wie soll sie da lernen sich wie eine Frau zu kleiden und sich vorallem wie eine zu verhalten.'', spottete Cailee, weswegen die komplette Klasse angefangen hatte zu lachen. Nach dieser Aktion hatte ich mir geschworen niemals mit irgendjemanden über meine Mutter zu sprechen. Aus Angst zum Gespött der Leute zu werden. Ich verschloss mich komplett und fing an die ersten Songs zu schreiben.

Zwei Jahre später gab Cailee Bell, wie sie mit kompletten Namen hieß, bei sich zuhause eine Schulabschlussparty. Jeder war eingeladen und da sie mich nicht explizit ausgeladen hatte beschloss ich ebenfalls hinzugehen. Grund dafür war ein Typ aus meiner Parallelklasse den ich unbedingt näher kennenlernen wollte. Ich hatte mittlerweile eine hohe Mauer um mich herum aufgebaut, weswegen ich nun auch nicht mehr so schüchtern war. Trotz allem musste ich mich erst überwinden mich für die Party fertig zu machen.

Ich erinnere mich noch daran als wäre es gestern gewesen als ich in meinem Zimmer saß und mich schminkte, damit ich halbwegs gut aussah. ,,Meine Tochter wird soo schnell erwachsen.'', hatte mein Vater voller Stolz gesagt und dabei sogar das ein oder andere Tränchen verdrückt. Am Ende stand ich perfekt gestylt in meinem dunkelroten Vokuhila-Kleid vor dem Spiegel und betrachtete mich skeptisch. Mein Vater war von hinten an mich heran getreten und hatte seine beiden kräftigen Hände auf meiner Schulter abgelegt. ,,Du siehst wunderschön aus. Eigentlich dürfte ich dich so gar nicht aus dem Haus gehen lassen, nacher wirst du mir noch geklaut.'', hatte er leicht wehmütig bemängelt. ,,Ach Quatsch, red keinen Schwachsinn.'', hatte ich ihn lediglich abgewehrt. Eine halbe Stunde später hatte er mich dann bei Cailee abgesetzt und ich kann mich noch gut daran erinnern wie sehr mein Herz geklopft hatte. Ich war so aufgeregt gewesen Finn zu treffen, dass ich gar nicht damit gerechnet hatte zuerst Cailee über den Weg zu laufen. ,,Holla! Charlet Fleur, bist du das etwa?'' Sie klang echt erstaunt aber gleichzeitig auch so als hätte sie schon den ein oder anderen Sekt zu viel gehabt. Jedenfalls hatte ich den Abend letztendlich mit ihr zusammen verbracht. Wir haben uns hemmungslos volllaufen lassen und uns im Suff die schlimmsten Geheimnisse anvertraut. Seitdem oder vielmehr genau deswegen fühlten wir uns verbunden. Sie kannte einfach meine privatesten Geheimnisse und ich ihre. Wahrscheinlich hatten wir beide viel zu viel Angst davor das einer von uns über den jeweils anderen etwas ausplaudern würde.

Irgendwann war es dann normal geworden mit ihr befreundet zu sein und es gefiel mir sogar. Mir wurde ziemlich viel Aufmerksamkeit geschenkt was dazu führte mir ihr komplettes Verhalten anzueignen. Und siehe da, ich kam gleich viel leichter durchs Leben.

Nur im Moment schien das alles gerade eher nach hinten loszugehen.

Wincent hatte mir seine Grenzen mehr als deutlich gezeigt und trotzdem sah ich es nicht ein jetzt einfach so klein bei zu geben. Er hatte mich trotzallem einfach bloß gestellt und selbst wenn es für ihn als eine Lektion gedacht war, so war es für mich ein Schritt zurück in meine Vergangenheit. Eine Vergangenheit in die ich nie mehr zurück wollte.

Endlich war ich wieder bei meinem Auto angekommen. Meine Gedanken kreisten immer noch um Wincents Worte, welche sich immer und immer wieder wiederholten. Es war fast unerträglich, weswegen ich sobald ich im Auto saß mit voller Wucht auf mein Lenkrad schlug. Ich war einerseits wütend aber zugleich auch einfach nur unfassbar traurig. Während mir einzelne stumme Tränen über die Wangen liefen startete ich den Motor und fuhr zum Haus meiner Tante. Mit jedem Meter den ich mich von dem Studio entfernte fühlte ich mich besser. Ich wischte mit meiner Handfläche die restlichen Tränen weg, drehte die Musik laut auf und versuchte meine ganze Wut und Trauer damit zu kompensieren. Aus den Boxen ertönte wieder einmal mein Lieblingslied 'Youth' von Shawn Mendes. Dieses Lied löste in mir direkt so ein Glücksgefühl aus, sodass ich mich zugleich auch wieder stärker fühlte. Der kurze Moment meiner Zerbrechlichkeit war vorbei. Wincents Worte hatte ich mittlerweile erfolgreich in die letzte Ecke meines Gehirns verdrängt, sodass ich meinen Blick wieder auf das Wesentliche lenken konnte. Irgendwie die nächste Woche überstehen und vorallem: Weitermachen und niemals aufgeben!

Mit einem Mal überkam mich der Gedanke, das Wincent versuchte mir Steine in den Weg zu legen. Meine Wut auf ihn wuchs wieder und ich hatte soeben entschieden noch eine weitere Woche in Berlin zu bleiben um mit meiner Band proben zu können. Sowas wie heute, das schwor ich mir, würde nie wieder vorkommen.

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt