Kapitel 39 - Die Wahrheit über Charlet's Vergangenheit

171 5 0
                                    

(Wincent's Sicht)

Verwirrt schaute ich Charlet hinterher die fast schon wütend in ihr Zimmer verschwand. Was machte ich heute bloß falsch? Ein wenig hilflos schaute ich zu ihrer Tante, welche immer noch zur bereits verschlossenen Zimmertür von Charlet sah.
,,Komm mal mit.'', sagte sie dann an mich gewandt, woraufhin ich ihr nach unten ins Wohnzimmer folgte.

Sie setzte sich aufs Sofa und bat mich neben ihr Platz zu nehmen.
,,Ich werde dir jetzt etwas erzählen, von dem ich weiß, dass es Charlet gewaltig gegen den Strich gehen würde, aber ich bin der Meinung du solltest es wissen. Sie redet darüber nicht gerne, aber ich merke, dass sie dir eigentlich vertraut nur weiß ich auch das es ein schwieriges Thema für sie ist, über das sie selbst mit mir kaum sprechen kann.'', begann sie und machte mich damit ziemlich neugierig.
Auf der einen Seite wollte ich unbedingt wissen, was mit Charlet los war. Auf der anderen Seite fühlte ich mich aber auch schlecht dabei, jetzt mit ihrer Tante hinter ihrem Rücken über etwas zu reden, was sie vermutlich gar nicht wollte.

,,Bist du dir sicher, dass du mir das erzählen willst? Ich meine, wenn sie das nicht möchte, dann ist das vollkommen oke für mich.'', entgegnete ich meine Bedenken.
,,Nein, ich finde du solltest es wissen. Es gehört zu ihr und erklärt viele ihrer Verhaltensweisen. Ich weiß, dass Charlet nicht immer einfach ist und auch, dass ihr anfangs einige Probleme miteinander hattet. Sie hat mir flüchtig davon erzählt, aber so wie ich meine Nichte kenne hat sie untertrieben. Sie kann unausstehlich sein und das hat natürlich auch seine Gründe.'', erwiderte Sophia und sah mich ernst an.

Oke, worauf genau wollte sie jetzt hinaus? Mir wurde ein wenig unwohl bei dem Gedanken daran, was sie mir gleich erzählen würde, weswegen ich mich augenblicklich gerader hinsetzte.

,,Seitdem Charlet denken kann verschließt sie sich erstmal vor alles und jedem. Als kleines Mädchen war sie immer total lebensfroh. Sie war offen für Alles und Jeden. Eine absolute Frohnatur.'', setzte sie fort und bei dem Gedanken an die kleine Charlet lächelte Sophia in sich hinein.

,,Charlet ist bei ihrem Vater aufgewachsen und damals habe ich noch in Frankfurt gelebt, weswegen ich auch fast täglich bei ihr war. Ich bin sogar mit nach Magdeburg gezogen, als ihr Vater aus beruflichen Gründen mit ihr weggezogen ist. Einfach, damit sie trotz allem zwei Bezugspersonen hatte.'' Sophia legte eine kurze Pause ein, weswegen ich mich traute eine Frage zu stellen, die mir schon seit Beginn des Gespräches auf der Zunge lag.
,,Was ist mit ihrer Mutter?''

Sophia holte kurz tief Luft ehe sie mich ansah und weiter sprach: ,,Genau darum geht es. Sie hat keine Mutter mehr. Im Grunde genommen hatte sie auch nie eine, da sie bei ihrer Geburt beziehungsweise kurz danach gestorben ist.''

Meine Augen weiteten sich und im ersten Moment konnte ich gar nichts sagen. Das erklärte wirklich so einiges, aber warum konnte sie darüber nicht reden? Ich meine klar ist es nicht schön, ohne Mutter aufzuwachsen, aber sie hatte doch ihre Tante, quasi als Ersatz. Ich bin immerhin auch ohne Vater aufgewachsen und hatte trotzdem nie das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlt.
,,Und warum genau spricht sie nicht darüber?''

,,Sie gibt sich die Schuld am Tod ihrer Mutter, welche übrigens meine Schwester war. Als sie 5 Jahre alt war, hat ihr Vater ihr erzählt, was bei ihrer Geburt passiert ist, da sie immer wieder gefragt hat wo denn ihre Mutter sei. Alle anderen Kinder im Kindergarten kamen immer mit beiden Elternteilen und immerhin war ich ja nur die Tante, das wusste sie. Sie sollte niemals denken, dass ich ihre Mutter bin. Auch wenn ich in all den Jahren immer so eine Art Mutterersatz für sie war.''

Was Sophia mir da gerade erzählte schockierte mich zu tiefst. Nach und nach ergab alles einen Sinn. Die ganze Art und Weise wie sie sich mir gegenüber verhalten hatte, die Ausflüchte wenn es um ihre Vergangenheit ging und vorallem ihre aktuelle Reaktion.
Doch warum gab sie sich die Schuld?

,,Aber sie trifft doch keine Schuld, oder?'', hakte ich nach.
,,Nein, natürlich nicht, aber das denkt sie, da die Geburt kompliziert war und meine Schwetser dabei sehr viel Blut verloren hat. An den Folgen der Blutarmut ist sie dann leider über Nacht verstorben.''
Ich konnte nicht erahnen wie sich Charlet damals gefühlt haben muss. Dieser Verlust überstieg meinen Horizont komplett. Und wie musste es ihr bloß jetzt damit gehen, wo sie auch noch das Kästchen gefunden hatte?

,,Das in dem Kästchen ...'', setzte ich an, doch hielt dann inne. Sollte ich diese Frage wirklich stellen? Doch noch bevor ich zuende gedacht hatte beantwortete Sophia meine halb ausgesprochene Frage.
,,Das sind Kassetten auf denen meine Schwester ihre Schwangerschaft mit Charly dokumentiert hat. Sie hat sich damals so gefreut, als sie erfahren hat, dass sie ein Kind bekommt, dass sie es um alles in der Welt festhalten wollte. Sie hat sich sogar extra eine Videokamera gekauft und sich regelmäßig gefilmt. Es war fast schon nervig, da sie wirklich alles festhalten wollte.'', antwortete Sophia, welche nun wieder ein Lächeln auf den Lippen hatte. Der Gedanke an ihre Schwester, Charlets Mutter, schien sie glücklich zu machen.
Doch ich konnte auch verstehen, dass es Charlet eher weh tat darüber zu reden.

,,Ich muss zu ihr ... ich muss mit ihr reden ...'', stammelte ich vor mich hin.
Ruckartig stand ich auf um zu ihr zu gehen, doch Sophia hielt mich noch auf.
,,Wincent warte. Ich weiß nicht wie sie darauf reagieren wird, wenn sie erfährt, dass ich es dir erzählt habe ...''
,,Du kannst aber doch nicht verlangen, dass ich so tue als wüsste ich von nichts.'', entgegnete ich fassungslos.
Wollte sie jetzt das ich sie anlog?
,,Nein, das sollst du auch nicht. Nur solltest du bei diesem Thema wirklich behutsam vorgehen. Ich habe dir das nicht ohne Grund erzählt. Früher oder später hätte sie sich dir bestimmt geöffnet, nur bis dahin hättest du wahrscheinlich die Nerven bei ihr verloren. Da wärst du zumindest nicht der Erste. Ich merke allerdings, dass du ihr gut tust, weswegen ich ihr diesen Schritt erleichtern wollte.''

Ich verstand zwar, was Sophia mir damit sagen wollte, doch trotzdem fand ich ihre Vorgehensweise nicht richtig. Charlet sollte selbst entscheiden können, wann sie mir was erzählt und auch wenn ich froh war, dass ich nun Bescheid wusste, so blieb doch ein bitterer Beigeschmack.

,,Ich weiß ja, dass du es nur gut meinst, Sophia, aber wenn ich Charlet von mir wegstoßen wollen würde, dann hätte ich das schon längst tun können. Sie hat mir immer wieder genug Gründe dafür gegeben, doch selbst wenn ich die Sache mit ihrer Mutter jetzt nicht wüsste, weiß ich trotzdem, dass sie auch anders sein kann. Und genau aus diesem Grund würde ich sie nicht einfach fallen lassen.''

Sophia lächelte mich an.
,,Das glaube ich dir sofort. Und nun geh zu ihr, aber denk an meine Worte.''
Ich nickte nur, stand dann auf und machte mich auf den Weg zu Charlets Zimmer.
Leise klopfte ich an die Tür und sagte ihren Namen: ,,Charly?''

- BETWEEN THE LINES - (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt