3

1K 13 3
                                    

Kriminalhauptkommissar Tillmann Treibel war vor allem bekannt für sein stets korrektes Auftreten, das unabhängig von der Situation war, in der er sich gerade befand.
Immer geschniegelt und gebügelt mit exakt sitzendem Seitenscheitel war die äußere Erscheinung des Kommissars vorbildlich und geradezu ein Muster eines honorigen Menschen.
Schlüssig und folgerichtig bei allem, was er sprach und tat, vorzugehen, das lag diesem Kriminologen.
Die meisten, die mit ihm zu tun hatten, dachten, dass diese Person funktioniere wie ein mathematisches Uhrwerk: exakt und präzise.
Treibel besaß die Gabe, alle Tatbestände mit höchster Bravour zu verknüpfen, was die Ermittlungsarbeit in der Regel schnell vorantrieb und zu einem raschen Fahndungserfolg führte.
Die außergewöhnliche Fähigkeit zum logischen Denken hatten bereits die Eltern des kleinen Tillmann bemerkt und sich gewundert, dass sich ihr Sohn statt eines Stofftiers den Rechenschieber mit ins Bett nahm und mit ihm im Arm selig einschlief.
Auf dem humanistischen Gymnasium verehrte der junge Treibel den großen Philosophen Aristoteles, während seine Mitschüler mehr an Rock 'n' Roll und Beatmusik Interesse zeigten. Auch Descartes spielte eine wichtige Rolle im Leben des Kommissars, weil das Prinzip, an allem zu zweifeln, auch zur Maxime seines Denkens wurde.
Treibel hatte das dreibändige Werk „Die kriminalistische Ermittlung" auf 1267 Seiten verfasst. Dieses Kompendium für die erfolgreiche Fahndungstätigkeit, das in der Fachpresse als ingeniös bezeichnet wurde, stellte die Pflichtlektüre, ja das Brevier eines jeden angehenden Kriminalisten dar.
Zudem war Treibel ein beliebter Referent auf internationalen Tagungen und Konferenzen. Selbst an der Akademie des FBI in Quantico, Virginia, hatte er auf besondere Einladung - womit nur herausragende Kapazitäten geehrt wurden - ein Seminar zum Thema: „Das Psychoprofil von Serienmördern" gehalten.
Diese unterschieden sich, was der Kommissar stets zu betonen pflegte, vom normalen Mörder dadurch, dass sie die Opfer willkürlich, ohne sie zu kennen, auswählten. Das war der Grund, dass die Aufklärungsquote in solchen Fällen erheblich schlechter lag.
Bei der Jagd auf Serienmörder galt Treibel als führender Experte und agierte hierbei mit dem Status eines Sonderermittlers im ganzen Bundesgebiet, wobei sich sein Büro, Dreh- und Angelpunkt seiner Tätigkeit, in einem Landeskriminalamt befand.
Zur Aufgabe des Hauptkommissars gehörte auch, einem Serienkiller - falls notwendig - ins Ausland zu folgen, um ihn dort mit Hilfe nationaler Polizeibehörden zu stellen.
So hatte Treibel vor einigen Jahren einen siebenfachen Kindermörder um die halbe Welt, bis nach Wellington, Neuseeland, gehetzt und ihn dort mit Hilfe eines Spezialkommandos festnehmen lassen.
Außer auf Treibels Fachgebiet, der Verfolgung von Serienmördern, war sein erstaunliches Wissen auch bei der Aufklärung mysteriöser Mordfälle, in denen es für die Sonderkommissionen kein Weiterkommen mehr gab, gefragt.
Bei der Fahndungsarbeit war der Hauptkommissar mit umfangreichen Sondervollmachten und Freiheiten ausgestattet, von denen seine Kollegen nur zu träumen wagten.
Jetzt war Treibel gebeten worden, die „Soko Koloss" bei ihren Ermittlungen in einem Mordfall zu unterstützen, der sich in einer Kreisstadt, 80 Kilometer entfernt, auf der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik ereignet hatte.
Ein 45-jähriger Pfleger war von einem Insassen offenbar in einem Anfall des Wahnsinns mit einem Stich in die Aorta getötet worden. Als Tatwerkzeug diente eine 20-Milliliter-Injektionsspritze.
Einen anderen Pfleger hatte der Flüchtende als Geisel genommen und mit eben dieser Spritze bedroht.
Da der Täter nun bereits den zweiten Mord verübt hatte und ein dritter nach einem psychiatrischen Gutachten nicht auszuschließen war, wurde Treibel auf diesen Fall angesetzt.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now