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Der Hippie war gerade in unserem Zimmer und hat uns mitgeteilt, dass zwei Bekloppte dagewesen seien, die sich nach uns erkundigt hätten. Wahrscheinlich seien sie von der Polente gewesen, doch habe er ihnen geantwortet, dass er uns nicht kenne.

Schlechte Nachrichten. Ich denke, wir sollten möglichst bald - am besten gleich heute noch - von hier verschwinden. Offensichtlich wissen die Bullen, dass wir in dieser Stadt sind.
Ich mache Sally den Vorschlag, uns nach Norden an die Küste durchzuschlagen, um dort ein Schiff, am besten Richtung Südamerika, zu nehmen. Zum Meer seien es acht- bis neunhundert Kilometer. Wenn wir die ganze Nacht durchführen, wären wir morgen früh am Ziel. Und wir kämen sogar noch einmal an unserer Heimatstadt vorbei und könnten ihr ein letztes Lebewohl sagen.
Sally ist einverstanden und meint, sie wolle sich noch ein bisschen zurechtmachen, ehe sie am Galgen lande. Wenn sie schon draufgehe, wolle sie wenigstens hübsch dabei aussehen. Sie werde der Drogerie vorn am Bahnhof einen Besuch abstatten.

Nach einer Stunde kommt Sally mit allerlei Krimskrams zurück. Mir hat sie ein paar billige Klamotten besorgt. Die kann ich brauchen. Auch an Proviant hat sie gedacht.
Im Bad trägt sie etwas Lipgloss auf, nebelt sich mit einem fruchtigen Duft ein und tuscht die Wimpern.
Von Sallys geschminkten Gesicht mit den großen Strahleaugen kann ich den Blick nicht mehr lassen.

Der Hippie ist gerade dabei, für die Außentür ein neues Schloss einzubauen, was nicht so recht gelingen mag.
Ich helfe unserem Freund.
Er hält sich seit damals vor zwei Jahren, als er einen Nagel in die Wand geschlagen habe und plötzlich alle Lichter im Viertel ausgegangen seien, für einen miserablen Handwerker.

Im Hinterzimmer bezahle ich.
Sally kramt unser Abschiedsgeschenk aus einer Tüte: eine Sonnenbrille mit einem rosa Gestell in Sternchenform. Sallys Idee, damit der Hippie alles durch eine rosa Brille sehe, am besten an seinem neuen Auswanderer-Ort.
Der Hippie ist gerührt.

In der Tiefgarage hilft er uns beim Beladen des Wagens.
Wir sagen Dank für alles und wagen uns hinaus in das Chaos der Großstadt.

Zunächst geht alles gut. Wir haben die letzten Häuser hinter uns gelassen und sind auf einer wenig befahrenen Landstraße unterwegs.
Immer wieder wende ich meinen Blick zu Sally. Ich bin es nicht gewohnt, sie geschminkt zu sehen.
So ähnelt sie noch mehr ihrer Mutter.
Zu der hatte ich anfangs ein schlechtes Verhältnis, doch es besserte sich im Lauf der Zeit. Der Traumschwiegersohn wurde ich jedoch nie.
Sally hat auf ihre Mama, auch wenn der Schnaps ihr treuester Gefährte war, nie etwas kommen lassen. Auf dem Sterbebett gab sie ihrer Tocher ein Amulett mit einem Engel drauf. Das trägt Sally seitdem um den Hals und hat das Gefühl, dass dieser Talisman sie beschützt.

Bereits von Weitem erblicken wir das Objekt, das unsere gute Laune schlagartig auf den Nullpunkt katapultiert: ein Bullenauto, vermutlich eine Kontrolle.
Ich bremse ab und biege in einen Feldweg, versuche, mich auf diese Weise aus dem Staub zu machen.
Doch verflucht! Das scheinen die Bullen geschnallt zu haben, denn im Rückspiegel erkenne ich durchs Laub der Bäume, dass sich das Polentenauto in Bewegung setzt. Mist! Es wird uns in den Waldweg folgen.
Trotz des bedrohlichen Knisterns unter unserem Wagen hole ich alles aus ihm heraus.
Natürlich setze ich eine deutliche Spur und werde meine Verfolger nicht abschütteln können.
So langsam wird die Strecke kritisch: kein Schotter mehr, nur noch Waldboden mit Wurzelwerk. Der Weg wird immer enger. Die Äste schlagen dem Japaner bereits kräftig um die Ohren.
Wenig später ist Endstation. Ein Baumstamm liegt quer über dem Weg.
Schnell springen wir aus dem Wagen. Weiter geht's zu Fuß.
Die meisten unserer Sachen müssen wir im Fahrzeug lassen. Eine Tasche mit dem Allernötigsten haben wir für einen Ernstfall wie diesen separat gepackt. Diese Tasche zerre ich vom Rücksitz vor. Sie lässt sich umhängen, was bei unserer Flucht von Vorteil ist.
Wir hören den Bullenwagen näher kommen und hauen ab - hinein ins Dickicht.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now