Auf einem breiten Pfad marschieren wir bergauf.
Wie uns der Schlossherr verrät, haben die Eichen, die den Weg säumen, schon 500 Jahre auf dem Buckel.
Oben treten wir durch das Haupttor in einen von hohen Fassaden umschlossenen Hof.
Überwältigt schauen wir uns um. Die Akustik ist grandios.
Der Schlossherr erklärt, dass dieses Palais nun schon in neunzehnter Generation in Besitz der Hohenfelser sei, und führt uns dann ins Hauptgebäude.Wir befinden uns in einem weiträumigen Vorraum.
Der Mann, bei dem es sich - wie wir erfahren - um einen Baron handelt, schlägt uns vor, wegen des Unwetters die Nacht hier im Schloss zu verbringen. Selbst auf Komfort brauchten wir nicht zu verzichten, denn die Kemenaten seien modern ausgebaut, sogar eine Zentralheizung gebe es dort.
Dieses Angebot nehmen wir gerne an, denn das Schloss soll ja das einzige Anwesen in weitem Umkreis sein.
Jetzt hören wir das Hallen einer knarrenden Tür und gleichmäßige Schritte, die auf uns zukommen.
Eine schwarz gekleidete Dame schreitet erhaben den Gang entlang, der zu diesem Vorraum führt.
Wie wir vom Schlossherrn erfahren, handelt es sich um seine Gattin. Eine Aura von Würde umgibt diese Dame mit ihrem hübschen Gesicht.
Bei so viel Hoheit kommen wir uns ein bisschen schäbig vor.
Ich bedaure, dass ich gerade jetzt zu einer Notlüge gezwungen bin und stelle uns als Fernwanderer vor, die auf dem Weg von der Nordsee zum Mittelmeer seien. Unterwegs sei uns jedoch die komplette Ausrüstung geraubt worden. Nur diese Tasche mit wenig Habseligkeiten und die Klamotten am Leib seien uns geblieben.
Das adlige Paar bedauert den dreisten Diebstahl und die Baronin schlägt vor, dass wir ein heißes Bad nehmen sollten, weil wir durch den Regen patschnass geworden seien. Die Kleider müssten zum Trocknen aufgehängt werden und die Baronin werde sich persönlich um Ersatzkleidung bemühen.
Dann folgen wir dem blaublütigen Paar den Gang entlang, dessen Wände mit Porträts der Ahnen geschmückt sind. Die Personen auf den Bildern haben tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit zueinander und sehen uns streng mit den gleich dunklen Augen an.
Am Ende des Gangs stehen auf beiden Seiten einer Tür marmorne Engelfiguren, die mit drohend erhobenem Schwert den Eingang in die Gemächer bewachen. Das Licht- und Schattenspiel in diesem durch wenige Kandelaber erleuchteten Gang verleiht den Skulpturen etwas erschreckend Lebendiges.
Nun geht's drei Treppenstufen hoch und durch die schwere Holztür hinein in den Hauptsaal, wie ihn der Schlossherr nennt.
Dieser große Raum erinnert mit seinen Säulen an einen griechischen Tempel. Die Längswand fällt durch die kunstvolle Bemalung sofort ins Auge. An der Querwand imponiert ein überdimensionaler Kaminofen.
Eine kaffeebraune Schönheit betritt den Saal und wird uns als das Dienstmädchen vorgestellt.Das heiße sprudelnde Wasser im versenkten Whirlpool ist herrlich entspannend und weckt unsere Lebensgeister.
Ein herrlicher Duft nach Jasmin liegt in der dampfigen Luft.
Zärtlich seife ich Sally von Kopf bis Fuß ein.
Das Dienstmädchen, das vorhin unsere Sachen zum Trocknen mitgenommen hat, bringt uns die versprochene Ersatzkleidung. Hochwertige Stoffe; alles passt zu meiner Verwunderung genau.Als wir zum Hauptsaal hinuntergehen, strömt uns ein verführerischer Duft entgegen. Der kommt aus dem Nebenraum, offenbar der Küche.
Der Tisch ist mit feinem Porzellan gedeckt, im Tafelsilber spiegelt sich der Kerzenschein.
Die Schlossherrin begrüßt uns freundlich. Mit ihrem fersenlangen Kleid und dem kunstvoll aufgestecktem Haar ist sie in meinen Augen keine Baronin mehr, sondern eine Königin.
Dann kommt der Schlossherr in legerer Abendkleidung die Treppe herunter.
Wir setzen uns.
Das Dienstmädchen schiebt einen Servierwagen in den Saal und stellt Teller mit einer cremigen Suppe auf den Tisch.
Der Schlossherr wünscht einen guten Appetit.Das Mahl nimmt seinen herrlichen Lauf. Ein Gang folgt dem andern.
Das Hauptgericht besteht aus köstlichem Wildschweinbraten mit Klößen.
Selten im Leben wurden wir kulinarisch so verwöhnt.
Das Festmahl wird durch das Klingeln des Telefons im Nebenraum gestört.
Das Dienstmädchen bringt auf silbernem Tablett ein schnurloses Telefon in den Saal.
Missmutig greift der Baron zum Hörer.
Wie wir von diesem Gespräch mitbekommen, gibt unser Gastgeber einem Kommissar zu verstehen, dass der Zeitpunkt des Anrufes ungünstig sei, da der Baron momentan Gäste bewirte. Aber solche Banausen, wie der Kommissar sie suche, seien dem Schlossherrn in letzter Zeit nicht untergekommen. Er bedaure, aber leider könne er Herrn Kommissar Treibel in dieser Sache nicht weiterhelfen.
Der Baron beendet das Gespräch. Man sieht ihm an, wie lästig er den Anruf gerade zur Essenszeit empfunden hat.
Doch sofort wendet sich der Schlossherr wieder uns, seinen lieben Gästen, zu.
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Der Entflohene
Mystery / ThrillerDie Geschichte eines Entflohenen. Er wird gejagt. Doch die Häscher kommen immer näher. Gibt es ein Entrinnen?