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So gingen die friedlichen Tage in dieser ländlichen Idylle dahin. Trotz der Arbeit, die nicht immer die leichteste war, schöpften wir neue Kraft und Mut.
Die Bäuerin hatte versprochen, uns für unsere Hilfe einen VW Käfer zu überlassen, das letzte Gefährt ihres Mannes, das seit vielen Jahren unbenutzt in der Scheune neben einem alten Traktor stand.
Jeden Tag bastelte ich an dem Käfer herum und versuchte, ihn wieder auf Vordermann zu bringen. Werkzeug hatte die Bäuerin genug. Ersatzteile für so ein altes Modell waren jedoch nicht aufzutreiben. Ich musste mich mit ähnlich geformten Teilen behelfen, die ich von einem Autofriedhof, einen halben Tagesmarsch entfernt, beschaffte. Die versuchte ich so zurechtzustutzen, dass sie passten.

Der beige Lack des Käfers ist zum Teil abgeblättert, auch findet sich überall Rost am Wagen. Doch der robuste Heckmotor hat die Zeit gut überstanden, ließ sich mit wenigen Handgriffen wieder in Schuss setzen. Das markante Dröhnen des Motors macht das Auto unverwechselbar. Genauso wie die orangefarbenen Blinker auf den Kotflügeln.
Sally und ich sind vernarrt in dieses Auto.

In einer sternenklaren Nacht sitzen wir im Gras unter den Obstbäumen. Die Bäuerin ist bereits zu Bett gegangen, der Hund schnarcht in seiner Hütte.
Sally fragt, ob wir nicht für immer auf dem Hof bleiben könnten, weit weg von allem Lärm und Trubel. So wie wir es früher einmal mit Kanada vorgehabt hätten.
Ich schaue in den Sternenhimmel, runzle die Stirn und gebe Sally zu verstehen, dass wir hier eines Tages mit Sicherheit aufflögen. Das Ganze sei nur eine Frage der Zeit. An sich sei die Lage des Hofs - außen herum nur dichter Wald - schon gefährlich genug. In Windeseile könne das Gelände umstellt werden, ohne dass wir es merkten. Uns bliebe keine Chance zur Flucht.
Und was geschehe, wenn die alte Bäuerin einmal sterbe? Wir könnten sie doch nicht einfach hinterm Hof verbuddeln. Auch ich würde das friedliche Landleben vermissen, doch sei das Risiko, wenn wir hier blieben, viel zu hoch.
Sally seufzt, sieht es aber ein.
Sternschnuppen fallen und ich denke, dass wir uns nach diesem klärenden Gespräch das Gleiche wünschen.
Wir kuscheln noch ein wenig in der lauen Sommernacht.
Dann machen wir uns auf ins Haus.

Es ging nicht anders. Eines Morgens, nach 23 Tagen Aufenthalt, war es soweit.
Die Arbeit auf dem Hof war getan, der VW Käfer funktionierte tadellos.
Wir sitzen stillschweigend am Frühstückstisch.
Für uns alle ist der Abschied schwer.
Mit Tränen in den Augen wünscht uns die Bäuerin, dass unser Plan, wie auch immer er aussehe, zu einem guten Ende komme. Dafür bete sie.
Ich nehme ihre vom Rheuma gezeichneten Hände, danke ihr für alles und gebe ihr einen dicken Kuss auf Stirn und Wange. Auch Sallys Augen sind mit Tränen benetzt.
Die Bäuerin schenkt uns Socken, die sie nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, für uns gestrickt hat. Auch hat sie ein Übermaß an Proviant für die Reise zusammengestellt. Darunter auch ein Fläschchen mit einem Kräuterelixier , dass unsere Kräfte steigern soll. Das ist wertvoll und wandert in die Sporttausche, unser Gepäckstück für den Notfall.
Die Bäuerin erzählt von einem Traum, den sie letzte Nacht gehabt habe, und bittet uns, wir sollten auf der Stelle fliehen, wenn wir auf unserer Reise ein Kreuz aus Eisen sähen.
Wir bedanken uns für diesen seltsamen Rat.
Die Bäuerin gibt uns eine Plakette, auf dem der Heilige Christopherus zu sehen ist. Er schütze die Fahrenden und Reisenden, erklärt die Bäuerin, daher sollten wir die Plakette immer bei uns tragen.
Ein letztes Mal umarmen wir die Frau, die wir mitsamt ihrer Schrulligkeit sehr lieb gewonnen haben.
Dann steigen wir ins Auto, setzen den Käfer in Gang und fahren winkend los.
Die Bäuerin, die sich mit einem Tuch die Tränen von der Wange wischt, verschwindet allmählich im Rückspiegel.
Wir sind geknickt, weil wir ahnen, dass dies ein Abschied für immer ist.

Was ihr einst von einer Seherin vorhergesagt wurde, hatte die Bäuerin verschwiegen. Nach dem Auftauchen zweier Fremder, die den Hof noch einmal prächtig schmückten, werde sie einsam ihren letzten Weg antreten.
Doch sie fügt sich ihrem Schicksal still und leise.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now