Sally und ich stehen seitlich von der Tür.
Wir warten darauf, dass die Männer vom SEK jeden Moment hereinstürmen und mit ihren Knarren vor uns stehen.
Doch Sekunden verstreichen, ohne dass etwas geschieht.
Ich erkläre Sally, dass ich die Tür langsam öffnen würde und wir dann - die Hände überm Kopf verschränkt - nach draußen auf den Gang treten sollten.
Eigentlich ist es unnötig, Sally gut zuzureden, denn Angst ist für sie ein Fremdwort.
Ich lege meine Hand an den Drehgriff, bewege ihn langsam nach rechts.
Die Tür springt auf und ist nun einen Spaltbreit offen.
Ich wundere mich, dass die Typen vom SEK nicht hereinplatzen.
Daher öffne ich die Tür noch ein Stück und spähe hinaus auf den Gang.
Ich bin erstaunt, denn dort ist keine Menschenseele zu sehen.
Dennoch treten wir vorsichtig auf den Korridor, blicken uns um und entdecken am anderen Ende des Gangs mehrere mit schwarzen Sturmhauben vermummte Kämpfer, die sich dort - die Maschinenpistolen im Anschlag - formiert haben. Offensichtlich sind die Kerle bereit, jede Sekunde loszuschlagen.
Im Schlafanzug stehen wir verloren im Korridor und schauen belämmert.
Das bemerkt einer der SEK-Leute, gibt den Kollegen ein Zeichen und rennt lautlos auf uns zu.
Im Flüsterton rät er uns, sofort ins Zimmer zu gehen, die Tür von innen zuzusperren und auf keinen Fall in den nächsten Minuten zu öffnen.
Klar machen wir das und sogar gern. Leise tapsen wir zurück.Sekunden später geht es auch schon los. Ein berstender Knall, als flöge etwas in die Luft.
Dann krachen Gegenstände auf den Boden. Ich denke mal, die Typen setzen Rauchbomben oder Blendgranaten ein.
Es folgt ein lautes Ballern, wobei die finsteren Gesellen das Feuer zu erwidern scheinen.
Ein durchdringender Schrei! Einen hat's erwischt.
Die Aktion geht blitzschnell, nach zwei, drei Sekunden ist auch schon wieder Ruhe eingekehrt.An Schlaf ist in dieser Nacht nicht zu denken. Das Adrenalin hat uns fest im Griff. Wir sind hellwach wie nach einer hohen Dosis Speed und warten auf den neuen Tag.
Jetzt erst, am Vormittag, hat die Müdigkeit eingesetzt.
Trotzdem kriechen wir gegen halb elf aus den Federn. Vielleicht gibt's noch Frühstück.Auf dem Weg nach unten fällt uns auf, dass der Gang gegenüber durch ein gelbes Plastikband abgesperrt ist. Dahinter sehen wir Menschen in Weiß. Die Spurensicherung ist bei der Arbeit.
Der Hippie ist wie immer an der Rezeption zu finden.
Er verrät uns, dass der Typ mit dem schwarzen Ledermantel ein Drogenboss der Mafia gewesen sei. Er habe mit seinen beiden Leibwächtern hier in der Stadt Kontakte knüpfen wollen. Es sei wohl um Drogenhandel gegangen. Im Zimmer oben hätten die Rambos vom Einsatzkommando alles kurz und klein geschossen, wobei einer der beiden Bodyguards draufgegangen sei. Durch einen Schuss direkt zwischen die Augen. Das werde einen Riesenfleck auf dem Teppich geben, der wohl nie mehr rausgehe. Und die Kohle für die drei Übernachtungen könne der Hippie auch vergessen. Die Haustür vorn und auch die Zimmertür seien völlig im Eimer. Hier in diesem Irrenhaus sei ja schon einiges vorgekommen, aber so etwas noch nie.
Der Hippie hält inne und meint, jetzt wolle er aber mit dem Gejammer aufhören. Er habe sich ja geschworen, im Leben locker zu bleiben, egal was passiere.
Dann schlägt der Hippie vor, wir sollten uns rüber in den Speisesaal setzen. Das Frühstück komme gleich.Zum Glück sind wir allein im großen Raum.
Das Essen ist grässlich, aber was soll's.
Unter einer Wurstscheibe finde ich einen Fußnagel, noch dazu mit Pilzbefall.
Der krummbeinige Köter hat sich neben uns platziert und wartet gierig darauf, dass für ihn was abfällt. Sein Sabber trieft in einer Tour auf den Boden.
Sally wirft dem verfressenen Sack einige Brocken von dem Brot hin.Nach dem Frühstück flüstere ich Sally zu, ich würde kurz zum Kiosk gehen, Zeitungen besorgen, um zu sehen, ob über uns was drinstehe.
Sally will schon mal nach oben, sich noch ein bisschen auf die faule Haut legen.Einige Minuten später bin ich schon wieder zurück.
Der Kioskverkäufer mit dem wirren weißen Haar sah aus wie Einstein und wollte mir vergeblich ein schlüpfriges Herrenmagazin andrehen.
Für Sally habe ich ein Heftchen mit Geistergeschichten dabei. Ich weiß, dass sie auf so was steht.Als ich in unser Zimmer komme, ist sie nicht da.
Auch unten im Speisesaal nicht.
Ich gehe aufs Gässchen hinaus, schaue in alle Richtungen, doch Sally ist nirgendwo zu sehen.
Besorgt schlendere ich die Gasse entlang, überlege, wo Sally stecken könnte.
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Der Entflohene
Mystery / ThrillerDie Geschichte eines Entflohenen. Er wird gejagt. Doch die Häscher kommen immer näher. Gibt es ein Entrinnen?