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Kommissar Treibel und Paul hatten Quartier in einer preiswerten Hamburger Pension bezogen.

Den Kollegen einer örtlichen Dienststelle war aufgefallen, dass die Beschreibung der Täterin, die bei einem Raubüberfall auf einen Banker eine hohe Summe Bargeld erbeutet hatte, auf die Komplizin eines gesuchten Mörders passte.
Mit Hilfe eines Fahndungsfotos konnte das Opfer diese Vermutung bestätigen.
Treibel wurde über diese Straftat in Kenntnis gesetzt, was seinen Verdacht, dass die Gesuchten vorhatten, sich nach Übersee abzusetzen, stützte.

Der Kommissar und Paul fuhren nun zum Hafen, um sich nach den Flüchtigen umzusehen.
Dort spendierte Treibel seinem hungrigen Praktikanten zunächst an einer Fischbude eine Portion frisch geräucherten Aals.
Genau das Richtige, dachte Paul mit seiner ausgeprägten Vorliebe für fette Speisen.
Während er den Aal hastig in sich hineinschlang, erzählte Treibel von dem nächtlichen Einsatz an der Scheune.
Paul bedauerte, beim Flug mit dem Hubschrauber nicht dabei gewesen zu sein. Besonders die Technik im Helikopter hätte den Praktikanten interessiert.
Doch Treibel war sich sicher, dass Pauls Interesse an den nackten Tänzerinnen noch größer gewesen wäre.
Der Polizeistudent nahm das Gespräch zum Anlass, dem Kommissar für alles zu danken, was er Paul beigebracht habe.
Das hörte Treibel gern und er musste daran denken, was sein Vater immer gepredigt hatte: „Dankbarkeit und Weizen gedeihen nur auf gutem Boden."
Im weiteren Verlauf der Unterhaltung begann sich die Stimmung zu lockern, was Paul überhaupt nicht gewohnt war.
Er wagte jetzt sogar, dem Kommissar von den Krimi-Drehbüchern zu erzählen, die Paul in seiner Freizeit - wenn er nicht gerade mit Videogames beschäftigt war - schrieb. Doch leider war es dem Praktikanten bisher nicht vergönnt, einen Filmproduzenten für die Skripte zu gewinnen.

Kurze Zeit später befanden sich die beiden Ermittler auf der Fahrt in ein Obdachlosenheim, das nicht weit entfernt vom Hafen lag.
Dort war in der Nacht ein Mord an einem der Gäste verübt worden. Mit einer Schädelfraktur war das Opfer am frühen Morgen vor dem Bett liegend aufgefunden worden.
Der Heimleiter, ein Herr Piepenbrink, identifizierte das Verbrecherpaar auf dem Fahndungsfoto als die Personen, die im gleichen Zimmer wie das Opfer übernachtet hatten.
Ebenso überraschend wie dieses Pärchen im Heim aufgetaucht sei und sich mit Kleidung eingedeckt habe, sei es auch schon wieder verschwunden gewesen.
Zeugen für den Mord gab es keine, sodass er theoretisch von jedem, der sich vergangene Nacht im Gebäude befunden hatte oder dort eingedrungen war, begangen worden sein konnte. Selbst ein Unfall ließ sich beim derzeiten Stand der Ermittlungen nicht ausschließen.
Diesen vermeintlichen Mordfall zu untersuchen - es war eine umfangreiche Befragung aller Personen nötig, die sich letzte Nacht im Heim aufgehalten hatten - überließ Treibel den Kollegen vor Ort.
Der Kommissar hatte in seinem Lehrbuch „Die kriminalistische Ermittlung" den Morden im Obdachlosenmilieu ein eigenes Kapitel gewidmet, wo er hervorgehoben hatte, dass es in dieser Schicht zu unverhältnismäßig vielen Mordtaten kam, die Aufklärungsquote hingegen dürftig ausfiel.
Treibel machte seinen Praktikanten auch darauf gefasst, dass es in Millionenstädten wie dieser schwer sein werde, untergetauchte Kriminelle wie das Pärchen aufzuspüren. Vor allem wenn die Täter einen ausgeprägten Riecher für die Gefahr hätten, was man den Gesuchten zweifellos zusprechen müsse.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now