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Wir sind in einer schäbigen Absteige gelandet, ideal zum Untertauchen. Bahnhofsnähe mit viel Trubel.
Ein alternder Typ mit Kinnbart kommt aus einem Hinterzimmer an die Rezeption. Er trägt grüne Flip-Flops mit rosa Blüten und hat sein langes fettiges Haar mit einem Lederriemchen gebändigt.
Die Aufschrift auf seinem zerschlissenen Regenbogen-Shirt „Willst du leben wie ein Hippie, mal ein Blümchen auf dein Pippi" lässt erkennen, dass wir hier an der richtigen Adresse sind.
Ich erwarte ein „Love & Peace, Dude" aus dem Mund des Alt-Hippies, doch es bleibt aus. Stattdessen heißt er uns willkommen in seinem „Fünf-Sterne-Hotel", wie er seine Bruchbude nennt.
Wir erkundigen uns nach einem Doppelzimmer.
Null Problemo, meint der Typ. Unser Auto könnten wir mit in die Tiefgarage quetschen. Frühstück gebe es auch, aber erst ab halb zehn, eher stehe er nicht auf. Wenn wir Fragen hätten, sollten wir uns an ihn wenden und nicht an das Hausmädchen aus Kenia, denn das verstehe kein Wörtchen Deutsch.
Der ausgeflippte Typ gefällt uns. Er lässt's offenbar locker angehen im Leben.
Der mopplige Köter des Hippies sitzt artig neben der Rezeption und beobachtet uns mit seinen schiefen Augen. Offensichtlich eine Kreuzung aus Hunderten von Rassen.
Das sei Bongo, meint der Hippie. Er habe das arme Hündchen vor drei Jahren aus dem Labor befreit. Genexperimente und so was.

Wir parken den Wagen in der Tiefgarage, ganz hinten, wo er kaum zu sehen ist.

Zu unserem Zimmer im dritten Stock nehmen wir den Fahrstuhl. Der ächzt und stöhnt erbärmlich, was in seinem Alter kein Wunder ist. Auf einer silberfarbenen Metallplatte blinken in wirrer Folge verschiedenfarbige Lichter auf.
Wir wundern uns auch nicht, als der Fahrstuhl plötzlich stehenbleibt, einen heftigen Ruck nach unten macht und sich Sekunden später wieder nach oben in Bewegung setzt.

Als wir im dritten Stock aussteigen, sehen wir es als selbstverständlich an, welch finstere Typen da im Gang herumstehen. Einer mit langem schwarzem Ledermantel, daneben zwei kräftige Kerle mit grobschlächtigem Gesicht.
Dies ist eben eine Absteige für Irre und Freaks, und dazu zählen wir uns auch.

Das Zimmer ist erwartungsgemäß unter aller Kanone, doch wir haben uns an Übernachtungen unter Extrembedingungen gewöhnt.
Das kleine Fenster zeigt auf einen Hinterhof, die Möglichkeiten zur Flucht sind mies.
Dieses Zimmer sei ein Friedhof für Fliegen und Ungeziefer, stellt Sally fest und lacht dabei.
Sie knallt sich gleich aufs staubige Bett und möchte ein bisschen dösen.
Ich setze mich auf den Stuhl, nehme den zerfledderten Groschenroman, der auf dem Tisch liegt, und blättere darin.
Die Geschichte von einer armen Sennerin, die am Ende vom Hofbauern gevögelt wird. Wie es eben so ist im Leben.
Dann schalte ich zur Abwechslung das Radio an, das sich in der Konsole über dem Bett befindet. Aber nur leise, um Sally nicht zu stören.
Olala! Lola! The Kinks.
Da hab ich doch glatt Sallys Lieblingssong getroffen, der auf den Partys  ihrer Nachbarin, der namensgleichen Lola, rauf- und runterläuft.
Sally reißt sogleich die Augen auf, steigt aufs Bett und legt zur Feier des Tages mit geschmeidig gleitenden Bewegungen einen atemberaubenden Strip hin. Langsam streift sie die Klamotten herunter und wedelt damit vor meinem Gesicht herum.
So verführerisch zu tanzen, hat Sally im Nachtklub gelernt, wo sie ab und zu ausgeholfen hat.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now