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Wo ist nur Sally?
Dass sie einfach so abhaut, ohne mir Bescheid zu geben, passt nicht zu ihr. Wir sind unzertrennlich, halten zusammen wie die Beulen- und die Lungenpest.
Den Hippie hab ich auch noch nicht gesehen. Dort, wo er sich aufhält, könnte auch Sally stecken.

Ich gehe zurück in unsere Absteige.
Die Tür zum Hinterzimmer ist geschlossen.
Ich klopfe und trete nach einem lauten „Was denn?" ein.
Sally und der Hippie sitzen an einem quadratischen Tisch mit einer Wachsdecke drauf.
Unser Meister raucht einen Joint. Räucherkerzen verbreiten einen orientalischen Duft. Im Hintergrund sind psychedelische Klänge aus einer uralten Stereoanlage zu hören.
Ganz berauscht vom vielen Shit begrüßt der Hippie mich wie einen alten Kumpel, was Sally lustig findet.
Dann faselt der zugekiffte Typ, dass er Sally gerade von der Südsee erzähle. Demnächst werde er dorthin auswandern. Er habe die Schnauze voll von Deutschland. Die Scheiß-Vorschriften und Abgaben, die habe er satt. Sogar an die Albaner hier im Viertel müsse er Schutzgelder zahlen. Auf die Fidschi-Inseln wolle er, vielleicht auch nach Indien, sich die Sonne auf den Pelz brennen lassen und viel Gras rauchen.
Ich stimme dem Kerl zu. Wenigstens habe er dann seine Ruhe.

Die Zigarette, die er mir angeboten hat, hat's in sich. Allmählich setzen sich die Farben hier im Raum voneinander ab und beginnen höchst angenehm zu leuchten. Auch die Musik scheint auf einmal von weit her zu kommen, was sich anhört, als schwebten sphärische Klänge direkt in dieses Zimmer. Ich fühle mich ganz leicht und male mir den Hippie, der mir gegenübersitzt, als indischen Fakir auf einem Nagelbrett aus, worauf ich dämlich zu lachen beginne.
Sally wundert sich über meinen Zustand.

Der Hippie erzählt - wobei er sich immer wieder über den Kinnbart streicht -, dass das Hotel schon seit einiger Zeit nicht mehr gut laufe. Die Touristen würden dieses schäbige Nutten-Viertel meiden. Der Hippie müsse die Zimmer jetzt schon stundenweise vergeben, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Unser Freund steht auf, geht zur Mitte des Raums und zieht eine Bastmatte zur Seite.
Eine Falltür im Dielenboden kommt zum Vorschein.
Der Hippie grinst und verrät, dass er dort unten eine Anlage zum Schnapsbrennen installiert habe. Damit verdiene er sich etwas dazu. Er brenne nur billigen Fusel, aber ein paar Euro bringe es doch.
Der Hippie dreht sich noch 'nen Joint.
Dann holt das Blumenkind ein seltsames Instrument aus dem Schrank. Eine Sitar, wie der Hippie uns aufklärt. Damit begleitet er die Musik, die er lauter gedreht hat.
Jetzt wird der Kerl sentimental und betrauert seine Frau, den ein Gast, so ein Guru, mitgenommen habe in eine Psychosekte, wo's jeder mit jedem treibe. Seine Frau sei stark gewesen, habe den ganzen Laden hier aufgebaut und das Philosophiestudium des Hippies bis zum achtzehnten Semester finanziert.

Während der Kerl sich in einen regelrechten Rededrang katapultiert, koste ich ein paar von den Haschkeksen, die auf dem Tisch liegen.
Wir muntern den psychisch angeknacksten Hippie auf, raten ihm, sich vom Leben nicht unterbuttern zu lassen und am besten in südlichen Gefilden noch mal ganz von vorn zu beginnen.
Die Kekse sind gut, doch der Hippie grinst und klärt mich auf, dass ich da gerade Hundekuchen in mich hineinstopfte.
Der Hippie legt seine Sitar zur Seite, steht auf und schlürft zur Kühltruhe. Er holt zwei Pizzas heraus und schlägt vor, uns die zu Mittag zu machen. Die eine sei mit Meeresfrüchten, die andere undefinierbar. Das gehe natürlich auf Kosten des Hauses. Der Hippie werde uns das Essen später hochbringen.

Wir sind wieder in unserem Zimmer.
Während Sally sich in die Geistergeschichten vertieft, blättere ich die Zeitungen durch und stelle fest, dass wir nicht drin vorkommen.
Ich finde einen Bericht über deutsche Auswanderer in Brasilien.
Hier steht, dass es im Süden des Landes eine deutsche Siedlung mit Namen Blumenau gibt. Das teile ich Sally gleich mit.
Sie findet, Blumenau, das höre sich gut an.  Wie aus „Herr der Ringe", könnte eine Stadt der Hobbits sein.
Ich frage Sally, ob wir uns nicht dorthin aufmachen sollten.
Sie meint, dass sie nichts dagegen habe. Wenigstens müsse sie dann nicht mehr zurück in ihre Wohnung mit dem Schimmel an den Wänden.

Es klopft an die Tür. Es könnte der Hippie sein, aber wer weiß.
Eigentlich liebe ich Geräusche gleich welcher Art. Mich freut das Prasseln des Feuers genauso wie das Sausen eines Sturmwindes. Doch beklemmend empfinde ich seit meiner frühesten Kindheit Klopfgeräusche. Wenn unsere Mutter auf solch ein Pochen hin die Tür öffnete, standen meist verheerende Typen draußen, die die Mutter mit ins Schlafzimmer nahm und mein Brüderchen und mich solange allein ließ.
So schlimm empfinde ich das Klopfen auch dieses Mal.
Nur vorsichtig und bereit, im Ernstfall einen kräftigen Fausthieb an den Mann zu bringen, öffne ich.
Doch es ist tatsächlich der Hippie.
Er scherzt, hier komme der Pizzaservice und wünscht uns einen guten Appetit.


Der EntfloheneWhere stories live. Discover now