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In einem Wirtshaus mit dem Namen „Höllenschlund", das 230 Kilometer von Treibels Büro mitten in den Bergen lag, zog der Hauptkommissar die Blicke der anwesenden Gäste ganz auf sich.
So einen wie den hatten die Menschen, die sich hier zu einem Frühschoppen versammelt hatten, um über die Ereignisse der vergangenen Nacht zu diskutieren, noch nie gesehen, diese Erscheinung mit dem gescheitelten, pomadisierten Haar, dazu der feine Anzug, die korrekt sitzende Krawatte und die lackglänzenden Schuhe. Die Kneipenbesucher konnten sich auf diesen Menschen keinen Reim machen, wussten nicht, was ein so seltsamer Typ hier verloren hatte.
Sie kamen überein, dass es sich nur um einen eingebildeten Fatzke handeln könne, vielleicht jemand vom Gewerbeaufsichtsamt.
Der strenge Blick dieses Lackaffen, der die Anwesenden durch eine dicke Hornbrille musterte, irritierte die Gäste zusätzlich.
Dann erfuhren sie vom Wirt, dass dieser auffällige Mensch und sein Gehilfe von der Kriminalpolizei seien und in einem Mordfall ermittelten, woraufhin die Kneipenbesucher ihre Meinung schnurstracks änderten und Treibel nun als einen ehrbaren Ordnungshüter sahen.

Treibel und Paul verzogen sich ins Nebenzimmer, in dem sich außer zwei Tischen eine kleine, aber gut ausgestattete Bar befand, und vernahmen den Großbauern Joseph Hacklhuber, der das gesuchte Pärchen identifiziert und der Polizei gemeldet hatte.
Der nuschelte, dass es keine Kunst gewesen sei, diesen Hünen und seine Freundin als die Gesuchten zu erkennen. Den ganzen Tag sei ja die Beschreibung des Mörders im Radio gelaufen. Außerdem habe ihn der Mercedes, der abseits geparkt worden sei, verraten.
Treibel nickte, war sich jedoch im Unklaren, wie das Gangsterpärchen rechtzeitig vor den Polizisten fliehen konnte, denn die waren außergewöhnlich schnell zur Stelle. Vielleicht wurden die beiden gewarnt oder hatten die anrückenden Streifenfahrzeuge schon von Weitem bemerkt.
Auch dem knochigen Wirt, der sich - wie Hacklhuber dem Kommissar verraten hatte - wegen der Sperrstunden ein Dauergefecht mit der Polizei lieferte, war es schleierhaft, wie die beiden Gäste so spurlos aus dem Zimmer im ersten Stock verschwinden konnten.
Den Mörder beschrieb der Wirt als blonden Riesen mit Stoppelhaar und markanter Stimme, die Begleiterin als außergewöhnlich hübsch von zierlicher Statur.
Nun bat Treibel den Wirt, sich das Zimmer ansehen zu dürfen, in dem die Gesuchten nur kurze Zeit verbracht hatten, und gab Paul den Auftrag, unterdessen die hier anwesenden Besucher zu befragen, ob sie etwas zu dem Fall aussagen könnten.

Das Zimmer war unansehnlich und dreckig. Treibel konnte kaum glauben, dass ein Mensch - noch dazu gegen Bezahlung - gewillt war, auch nur eine einzige Nacht in diesem Raum zu verbringen. Auf dem Boden krabbelte munter eine Schar von Teppichkäfern, die nach Treibels Ansicht einen Kammerjäger unbedingt erforderlich machten.
Der Kommissar fragte den Wirt, ob ihm irgendwelche Gegenstände auffielen, die hier normalerweise nicht hingehörten.
Der Wirt sah sich um und verneinte, obwohl das blaue Handtuch, das er durch die offene Tür zum Badezimmer sah, mit Gewissheit nicht von ihm stammte.
Treibel trat nun auf den Balkon und war beeindruckt von der herrlichen Fernsicht. Auf dem Boden kullerte eine leere Whiskyflasche, die vermutlich der gesuchte Mörder zurückgelassen hatte. Ein Lehnstuhl lag halb aufgeklappt daneben.
Der Kommissar rekonstruierte, dass der Täter zu nächtlicher Stunde hier gesessen und die heranrückenden Polizeifahrzeuge bemerkt haben musste.

Als der Wirt und Treibel wieder hinunter in die Gaststube kamen, musste der Kommissar zu seinem Entsetzen feststellen, dass Paul zusammen mit den Wirtshausbrüdern an einem Tisch saß und ihnen zuprostete.
Der Kommissar war fassungslos und begann, sich unter Zuhilfenahme der Schleichtechnik dem ahnungslosen Paul von hinten zu nähern.
Dann packte Treibel seinen Praktikanten am rechten Ohr, zog ihn vom Stuhl hoch und weg von dieser lasterhaften Gesellschaft. 
Der erschrockene Paul schrie auf und fuchtelte wie wild mit den Armen.
Die Gäste fanden das theatralische Gebaren der ungleichen Ermittler amüsant und kringelten sich vor Lachen.
Treibel hielt die Reaktion der Saufbolde für dumm und ungezogen und ließ ein lautes Donnerwetter in der Gaststube los, was es denn da zu lachen gebe. Schämen sollten sich die gestandenen Mannsbilder, dass sie einen jungen Menschen zum Alkohol verführten.
Doch diese Vorwürfe des Kommissars erregten nur noch mehr Gelächter, woraufhin Treibel seinen Praktikanten kräftig am Handgelenk packte und ihn mit den Worten, dass die Besucher dieser Gaststätte sich ein schönes Armutszeugnis ausgestellt hätten, zum Ausgang zog.
Hinter dem Rücken der Ermittler begannen die Gäste mit brüllendem Gewieher, allerlei Faxen zu machen und kamen überein, dass man mit der ersten Einschätzung dieses Schnösels recht gehabt habe.

Treibel überlegte sich ernsthaft, ob er das ungebührliche Verhalten seines Praktikanten, der sich während der Dienstzeit einem erotischen Abenteuer und jetzt dem Alkohol hingegeben hatte, nicht der Polizeihochschule melden sollte.
Der Wirt versuchte, den tobenden Kommissar zu beschwichtigen und redete behutsam auf ihn ein, dass er die Sache nicht so ernst nehmen solle.
Dann gab der Wirt dem Kommissar einen Stups mit dem Ellbogen und meinte mit einem versöhnlichen Augenzwinkern, dass sie beide doch in jungen Jahren auch nicht immer Musterknaben gewesen seien, womit der Wirt zweifellos, was Kommissar Treibel anging, unrecht hatte, denn der war früher stets ein artiger junger Mann, wohlerzogen und fügsam.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now