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Die Ermittler fuhren zurück zum Büro, um nachzusehen, ob noch etwas Dringendes anstünde.
Offizieller Dienstschluss war vor zwanzig Minuten, doch gehörten Überstunden zur Tagesordnung.
Treibel konnte sich nun ein erstes Bild von der Persönlichkeitsstruktur des Mörders machen, was er Paul im Wagen erläuterte.
Auf alle Fälle handelte es beim Täter um einen Menschen , der sich ganz und gar nicht nach gesellschaftlichen Normen richtete, sondern nur eigenen Gesetzen gehorchte. Diese Asozialiät konnte entweder auf eine Persönlichkeitsstörung oder aber - was die Fahndungsarbeit erschweren würde - auf einen starken Charakter hindeuten.

Die Dame aus dem Bungalow hatte den Kommissar an seine Exfrau erinnert.
Fünf Jahre war es jetzt her, dass sie sich von ihm hatte scheiden lassen.
Zuletzt hatte sie nur noch gejammert, dass sie das langweilige Leben mit ihm nicht länger ertragen könne. Sie schmiss ihm vor, mit Scheuklappen durchs Leben zu laufen und immer nur die Arbeit im Kopf zu haben.
Obwohl Treibel daraufhin versuchte, mit Theater- und Kinobesuchen Abwechslung in die Ehe zu bringen und seiner Frau Zerstreuung zu bieten, war letztendlich alles vergebens.
Die Gattin reichte beim Anwalt die Scheidung ein, packte die Koffer und brannte mit einem kahlköpfigen, dickwanstigen Multimillionär durch, der angeblich eine Villa in Saint-Tropez einschließlich Luxusjacht im Hafen besaß.
Dass die Ehefrau bereits seit Langem ein Verhältnis mit diesem reichen Playboy hatte, war Treibel nicht entgangen. Zu oft hatte sich die Frau in Widersprüche verstrickt.
Treibel konnte intuitiv spüren, wenn jemand nicht die Wahrheit sagte, und stellte mit dieser Gabe alle Lügendetektoren in den Schatten.
Als der Kommissar vier Wochen, nachdem sich die Frau mit dem schwerreichen Lebemann aus dem Staub gemacht hatte, mit der Post eine Einladung zu einer Scheidungsparty erhielt, auf der sämtliche Freunde und Verwandte des Ex-Paars auftauchen sollten, war es um Treibels Gesundheit geschehen.
Die Einladung seiner Ex zerriss er zornig in tausend Stücke, die er mit genussvoller Betätigung der Spültaste in der Kloschüssel verschwinden ließ. Ein solcher Tobsuchtsanfall war für den Kommissar etwas Neues und ihm bis dato nur aus alten Funès-Filmen bekannt.
Doch verspürte Treibel ab diesem Zeitpunkt regelmäßig nach dem Essen Schmerzen im Oberbauch, die oft stundenlang anhielten. Bei der folgenden Magenspiegelung diagnostizierte der Internist ein Geschwür, das kurz vor dem Durchbruch stand. Diese Erkrankung führte zum ersten und einzigen Mal in Treibels langer Dienstzeit dazu, dass er - wenn auch nur für wenige Tage - krankheitsbedingt im Büro fehlte.
Das schöne Einfamilienhaus mit dem großen Garten ging nach der Scheidung flöten. Stattdessen nahm Treibel mit einer bescheidenen 58-Quadratmeter-Wohnung vorlieb.
Im Nachhinein hat Treibel - wie es seiner Art entsprach - das Scheitern der Ehe analysiert und kam zu dem Schluss, dass der Grund für die Trennung im Dilemma der getrennten Alltagswelten lag.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now