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Als Hauptkommissar Treibel und Paul gegen 7.30 Uhr den Autobahnparkplatz, an dem die Gesuchten der Polizeisperre entkommen waren, erreichten, befanden sich Beamte der „Soko Koloss" bereits vor Ort.
Der Kommissar machte sich gleich daran, den Fernfahrer namens Fred Fröhlich, der das Pärchen auf der Raststätte mitgenommen hatte, zu vernehmen.
Er hatte hier in seinem Truck übernachtet und äußerte den Wunsch, so schnell wie möglich weiterzufahren, da es sonst Ärger mit dem Chef geben werde.

Bei der Befragung gelang es Treibel nicht, dem ausufernden Erzählstil des Fernfahrers, der nichts mehr von der vorhin geäußerten Eile verspüren ließ, Einhalt zu gebieten.
Der Kommissar fand solche Geschwätzigkeit, die sich ins Uferlose verlor, geradezu unerträglich.
Entnervt stieg er aus dem LKW und überließ Paul die mühsame Befragung dieses Märchenonkels. Der Praktikant erhielt den Auftrag, sich das Wesentliche auf einem Block zu notieren, um dem Kommissar anschließend Bericht zu erstatten.

Treibel wandte sich inzwischen den Kollegen zu, die das Gangsterpärchen bei der Kontrolle hatten entkommen lassen und erfuhr, dass bereits eine groß angelegte Suchaktion unter Einsatz von Spürhunden in die Wege geleitet war.

Vor zweieinhalb Jahren hatte Treibel im Rahmen einer kleinen Bürofeier sein 30-jähriges Dienstjubiläum begangen, das den Arbeitskollegen durch den verdorbenen Kartoffelsalat in schlechter Erinnerung geblieben ist.
Die Mitarbeiter hatten damals dem Kommissar in Anspielung auf den Meisterdetektiv Sherlock Holmes eine Sportmütze mit Ohrenklappen, eine Lupe und eine Pfeife geschenkt.
Treibel wurde gar in einer Rede mit diesem fiktiven, doch zweifellos genialen Kriminalisten verglichen und wie damals Dr. Watson seinen Vorgesetzten Holmes verehrt habe, bewundere das ganze Team den Kollegen Treibel wegen seiner unglaublichen Fähigkeiten.
Doch bei all der Lobhudelei schienen die Mitarbeiter vergessen zu haben - vielleicht war es ihnen auch gar nicht bekannt -, dass Sherlock Holmes in den Romanen ein leidenschaftlicher Kokain- und Morphiumkonsument war.

Der Praktikant hatte das Gespräch mit dem Trucker beendet und teilte dem Kommissar das stichwortartig Notierte mit: dass der LKW-Fahrer Aluminiumteile transportiere, gerne Witze austausche und wenn auf der Straße nicht viel los sei, das Linksfahren für den England-Urlaub übe.
Mit einem langen Gesicht fragte der Kommissar, ob das schon alles sei, was Paul mit einem zögerlichen Nicken beantwortete.
Treibel schüttelte nur verdrossen den Kopf und merkte an, dass Paul noch viel zu lernen habe.

Am späten Vormittag erreichten Treibel und Paul die Autobahnraststätte, auf der sich das Pärchen vergangene Nacht aufgehalten hatte.
In einem Nebenzimmer des Tank-Shops vernahm Treibel den Zeugen, der hier in der letzten Nacht als Aushilfe gejobbt und bis jetzt geduldig auf den Kommissar gewartet hatte.
Der Mann hatte bemerkt, dass einer hübschen Frau, die er auf dem Fahndungsfoto als Komplizin des Mörders identifizierte, eine Pistole auf den Boden gefallen war. Es habe sich dabei - als amtierender Schützenkönig kenne er sich aus - um eine Waffe vom Typ Walther gehandelt.
Damit liegt der Tankwart richtig, dachte Treibel, denn ein solches Fabrikat war den Polizisten an der Waldhütte entwendet worden.
Der Mann sagte weiter aus, dass er vom Pärchen mit eben dieser Waffe bedroht worden sei. Doch zum Glück habe er die beiden in die Flucht schlagen können und so das Geld in der Kasse gerettet.
Treibel erkannte gleich, dass dies eine haarsträubende Lügengeschichte und das Bürschchen vor ihm ein fürchterlicher Prahlhans war. So wie gerade beschrieben, hatte sich der Vorfall mit Sicherheit nicht ereignet.
Die nachfolgende Auswertung  des Überwachungsbandes bestätigte dies und zeigte einen bibbernden Angsthasen hinter der Kasse.

Als Treibel und Paul den Verkaufsraum verließen, fiel der Blick des Kommissars auf eine Fachzeitschrift für Botaniker. Treibel war zwar gerade in Eile, denn er hatte sich mit den Soko-Beamten zu einem Treffen verabredet, ließ es sich aber nicht nehmen, die Zeitschrift vom Ständer zu nehmen und einen Blick hineinzuwerfen.
Das Hauptthema war „Die Pflanzenfamilie der Orchideen".
Das fand der Kommissar interessant und ließ ihn an seine Exfrau denken, die eine große Orchideenliebhaberin gewesen war. Im Laufe der Jahre hatte auch Treibel begonnen, sich für die prächtigen Pflanzen zu begeistern. Das Ehepaar baute für seine Pflanzen ein spezielles Gewächshaus, in dem man eine extreme Luftfeuchtigkeit erzeugen konnte, was die Orchideen mit besonderer Farbenpracht dankten.
Und so manche Nacht, wenn Treibel wieder einmal einer der Mordfälle im Kopf herumspukte, ging der Kommissar in das Gewächshaus und machte sich auf die Jagd nach Schnecken, den unerbittlichen Feinden seiner Lieblinge.
Als seine Frau ihn verließ und das Haus verloren ging, riss sie sich die gesamte exquisite Orchideensammlung unter den Nagel.
Von da an legte sich Treibel keine Orchideengewächse mehr zu, denn allein in neuer Wohnung war es ihm nicht möglich, die Pflanzen ordnungsgemäß zu pflegen.
Treibel klappte die Zeitschrift wieder zu und legte sie zurück.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now