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Munter machen wir uns auf den Weg.
Wir marschieren - vorbei an den knorrigen Eichen - den Pfad hinunter.
Am heutigen Tag wollen wir mindestens 40 Kilometer zurücklegen.
Auf einem Hügel blicken wir ein letztes Mal zum stolzen Schloss zurück und bestimmen bei guter Fernsicht die ungefähre Zielrichtung unseres Fußmarsches.
Der Morgennebel, der sich unten im Tal auflöst, verheißt einen trockenen, sonnigen Tag.

Auf den einsamen Feld- und Waldwegen kommen wir gut voran.
Ein wohltuender, sanfter Sommerwind streicht über die fetten Weizenfelder. Libellen tummeln sich in den ersten Sonnenstrahlen des Tages.
Ich erzähle Sally von dem Traum. Vom festlichen Gelage und dass sie ein Kollier aus mehreren Reihen Edelsteinen um den Hals gehabt habe.
Sally lacht und meint, so ein Kollier stehe ihr bestimmt nicht schlecht. Das einzige Schmuckstück, das sie besitze, sei ihr Piercing. Ich wisse ja, an welcher Stelle.

Als wir auf eine Anhöhe kommen, erstarren wir vor Schreck. An einer Straße, auf der der Feldweg endet, steht ein Bullenauto. Zwei Polizisten haben sich daran gelehnt und unterhalten sich.
Hastig, aber leise zerre ich Cap und Sonnenhut aus der Tasche, beides Geschenke der Baronin.
Die setzen wir auf und ziehen sie tief ins Gesicht.
Möglichst unauffällig trotten wir weiter. Wir können nicht mehr ausweichen, müssen da durch.
Die Bullen bemerken uns und sehen immer wieder zu uns herüber.
Sally reagiert - wie immer in brenzligen Situationen - instinktiv und beginnt ein altes Wanderlied zu summen: „Das Wandern ist des Müllers Lust... ".
Das Gesicht der Polizisten hellt sich auf und lächelnd, mit einem freundlichen Kopfnicken, marschieren wir - gut getarnt als fröhliche Wandersleute - an den Gesetzeshütern vorbei.
Als wir die beiden hinter uns haben, gebe ich eine Zugabe und singe: „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach, klipp, klapp... ".
Besser als ein „klick, klack" der Bullen, scherzt Sally.

Nach einem kurzen Picknick geht's weiter.
Wir sind nun gut vier Stunden unterwegs.
Auf einem wackligen Holzsteg überqueren wir eine Schlucht.
Der Weg führt an einer Ruine vorbei. Diese Mauern waren früher einmal mächtig, jetzt sind von ihnen nur noch traurige Reste übrig, die von Brennesseln, meinen Lieblingspflanzen, überwuchert sind.
Unter dem Gestrüpp entdecke ich einen merkwürdig geformten Erdklumpen - für so etwas habe ich ein Auge -, der sich bei genauerer Untersuchung als ein alter Silberring erweist. Seine Innenseite ist mit seltsamen Ornamenten verziert und trägt die Gravur: „perfer und obdura". Keine Ahnung, was das heißt, doch mir gefällt der seltsame Ring, der wahrscheinlich seit langer Zeit hier liegt und so exakt passt, als hätte das Schicksal ihn für mich bestimmt.

Am späten Nachmittag nehmen wir in einem trüben, mit Algen bewachsenen Teich ein Bad. Das kühlt unsere erhitzten Körper und spült den Schweiß von der Haut.
Trotz des Planschens und Plätscherns zeigt ein Graureiher im Schilfrohr gegenüber keine Scheu und schreitet behutsam am Ufer entlang.
Nach dem Bad legen wir uns ins Gras und aalen uns hüllenlos in der Sonne.
Ich blicke zu Sally hinüber und sehe, dass sie die Augen geschlossen hat und pennt. Ich betrachte ihren Bluterguss über die Brust, der allmählich ins Grüne übergeht. Die Schusswunde am Oberarm ist zu einem Grind verheilt.
Zufrieden genieße ich die Sonnenstrahlen, die meinen Pelz wärmen.
Farbenprächtige Schmetterlinge kreisen neugierig um unser Gesicht.

Plötzlich höre ich Frauenstimmen und schrecke hoch.
Ich sehe drei Girlies in Hotpants vor uns stehen.
Sally ist vom Tuscheln der Mädels wach geworden.
Sie kichern und meinen dreist, dass sie gar nicht gewusst hätten, dass es hier einen FKK-Strand gebe.
Dann quatschen sie mit einer solchen Geschwindigkeit durcheinander, dass es uns unmöglich ist, diesem Stimmenwirrwarr zu folgen.
Wider Erwarten kommt es schließlich doch noch zu einer vernünftigen Unterhaltung.
Die Teenies haben einen guten Tipp für uns: eine günstige Übernachtungsmöglichkeit in einer Wanderhütte, keine fünf Kilometer von hier.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now