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Der Hafenkomplex ist riesig.
Wir befinden uns gerade am Stand eines brüllenden Marktschreiers, der mit heiserer Stimme seine frischen Fische anpreist.
Ich bin froh, dass an diesem Vormittag so viel los ist. In diesem quirligen Gewühl kann man wunderbar untertauchen.
Wir sehen uns entlang der Hafenmeile um. Entdecken Frachter, Schlepper, dort drüben ein Trockendock. Barkassen laden zu einer Hafenrundfahrt ein.
Natürlich geben wir bei all dem Neuen, das uns hier begegnet, besonders Acht auf die Bullen. Suspekt finde ich etwa den geschniegelten Kerl an der Fischbude mit dem affigen Seitenscheitel und der Hornbrille. Er hat einen jungen, fetten Komplizen dabei.

Wir machen uns auf die Suche nach einem geeigneten Schiff.
Ich frage einen Kisten schleppenden Hafenarbeiter, ob eines der Schiffe nach Südamerika auslaufe.
Von seiner Antwort auf Platt verstehen wir nichts, doch ist zu vermuten, dass wir dort drüben, wo der Kerl mit einer Kinnbewegung hindeutet, nachfragen sollen. Er meint offensichtlich den Container-Terminal.
Wie wir von Weitem erkennen, herrscht dort reges Treiben. Riesige Kräne hieven die Container kreischend von Bord.

Am Terminal erkundigen wir uns nach einem Schiff Richtung Brasilien.
Doch die Arbeiter kennen keins, manche verstehen uns auch nicht.
Nach sieben vergeblichen Anläufen haben wir Glück.
Ein Käpt'n teilt uns, noch dazu auf Deutsch, mit, dass er morgen früh - sobald die Ladung gelöscht sei - nach Brasilien auslaufe.
Dann fixiert der Kapitän Sally und merkt grinsend in fremder Sprache etwas an.
Wir bitten den Kerl, uns auf die Reise mitzunehmen, woraufhin er sich verstohlen umsieht und uns mit leiserer Stimme mitteilt, dass das für 500 Mäuse drin sei. Wir sollten morgen früh gegen sechs hier sein. Doch eine Zusage könne der Käpt'n uns noch nicht geben. Das Schiff steuere Santos an, den Hafen von São Paulo. São Paulo sei uns doch bestimmt ein Begriff. Die Megacity, wo die Mafia das Sagen habe.
Ich nicke und denke, Volltreffer. Denn ich erinnere mich an die Karte in der Zeitung. Blumenau lag nicht weit von São Paulo weg.

Weil uns die Bullen wegen des Überfalls auf den Bonzen und des toten Penners wahrscheinlich dicht auf den Fersen sind, ist es das Beste, die Zeit bis zum nächsten Morgen in einer unauffälligen Absteige zu verbringen. Schade, in dieser Stadt gäbe es viel zu sehen.
In Hafennähe auf dem Kiez beziehen wir Quartier.
Das Gästezimmer ist bevölkert von einer Schar von Spinnen.
Um Sally zu foppen, bemerke ich, dass es bei Spinnen so sei wie beim Menschen: Die Weibchen seien die Bösen und fräßen nach der Paarung die Männchen auf.
Doch Sally meint, dass sie mir auf der Stelle das Gegenteil beweisen werde.

Sally hat Wort gehalten: Nach einer halben Stunde liege ich erschöpft im Bett, bin aber noch am Leben.
Im Laden, einige Häuser weiter, besorge ich eine Flasche Whisky, Proviant und Lesestoff für Sally.
Während sie eine Runde pennt, setze ich mich in den Korbstuhl am Fenster und beobachte das quirlige Treiben unten in der Gasse.
Bald fühle ich mich wie ein Theaterbesucher, der von seinem Logenplatz aus das komödiantische Treiben dort unten verfolgt.
Das Bühnenbild, eine schummrige Spelunke mit dem Gässchen, der sündigen Meile, davor, ist gut gelungen. Aus dem Bumslokal treten immer wieder neue Akteure, qualmen ein bisschen und zerstreuen sich dann in alle Winde. Die Schauspieler kommen und gehen wie kurz vorbeistreunende Hunde. Den Auftritt der Nutten finde ich famos, wie sie so kaltschnäuzig die Freier abschleppen, von denen einige den Kragen hochgestellt haben, um nicht erkannt zu werden. Der Liliputaner, der an der Ecke unter einer Laterne Koks verkauft, spielt seine Rolle perfekt und ist in diesem Stück der einzige Schauspieler mit Dauerpräsenz. Die anderen Dealer huschen nur gelegentlich vorbei und stecken dem einen oder anderen etwas Pulver zu. Selten tauchen auch Bullen auf. Die behalte ich besonders im Auge.
Aus der Ferne sind im Stundentakt die dumpfen Schläge einer Turmuhr zu hören. Sie leiten jedes Mal einen neuen Akt in dieser Komödie ein.

Am Abend hauen wir uns bald in die Koje.
Doch die grelle Leuchtreklame vor dem Fenster und der grölende Lärm, der von der Gasse hoch in unser Zimmer dringt, erweisen sich als Schlaftöter.

Schon vor sechs sind wir am Hafen und steuern zielstrebig auf das Schiff mit Namen SERTÃO zu, das uns in ein neues Leben tragen soll. SERTÃO ahoi!
Erst später erfuhren wir, dass SERTÃO der Name eines trostlosen Trockengebiets ist, wo sich außer wenigen Dornhölzern nicht viel findet.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now