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Nach einigen hundert Metern taucht das erste Gebäude der Stadt auf: eine Fischmehlfabrik.
Ich bitte Jacques, uns in die Nähe der Arztpraxis zu bringen, jedoch an einen Platz, wo der Wagen von niemandem zu sehen sei.
Unser Lotse kennt so eine Stelle, nämlich direkt vor seiner Haustür, wie er sagt.
Jacques klagt, dass er in dieser Kleinstadt nur als Penner verschrien sei und nicht mal den Job als Friedhofswärter bekommen habe.

Wir schlängeln uns durch die engen Gässchen und Einbahnstraßen der Stadt und sehen kaum Menschen auf der Straße.
Jacques fordert mich auf, nun langsamer zu fahren und dort vorn in die Toreinfahrt zu biegen.
Das tue ich. Die Einfahrt ist eng.
Sally und ich staunen nicht schlecht, als wir unvermutet auf einem riesigen gepflasterten Platz landen, der von einem schroff aufsteigenden Ziegelbau umgeben ist.
Jacques erklärt, dass diese Ruine mal eine Schirmfabrik gewesen sei, jetzt aber leer stehe. Sie sei vor zehn Jahren dichtgemacht worden. In diesem Gebäude gebe es keine Menschenseele, bis auf ihn natürlich. Er nutze die frühere Hausmeisterwohnung gleich hier vorn im Erdgeschoss.
Der Mercedes hat den idealen Unterschlupf gefunden. Und dennoch müssen wir auf der Hut sein, denn die enge Einfahrt ist zugleich der einzige Weg nach draußen, und wenn er blockiert wird, sitzen wir in der Falle.

Jacques lässt uns einen Blick in seine Behausung werfen. Sie wirkt karg.
Strom und fließendes Wasser gebe es nicht, erklärt Jacques, doch sei es immer noch besser als früher, als er unter Tannen im Wald übernachtet habe.
In die beiden Räume, die Jacques bewohnt, dringt kaum Licht, sodass es hier trotz des hellen Sommertags dunkel ist.
Doch wir müssen nun dringend zur Arztpraxis.
Sie sei nur drei Häuser weiter auf der gegenüberliegenden Straßenseite, erklärt Jacques. Er bleibe lieber hier, weil er dort nicht gern gesehen sei, und werde auf uns warten.

In der Praxis zeigt Sally auch gleich den durchgebluteten Verband und gibt sich als Privatpatientin mit falschem Namen und Adresse aus.
Dass es sich hier um einen Notfall handelt, sieht die Helferin ein.
Hektisch eilt sie ins Behandlungszimmer, um uns daraufhin mitzuteilen, dass wir sofort eingeschoben würden.

Wenige Minuten später öffnet sich die Tür zum Sprechzimmer und die kugelrunde Ärztin verabschiedet eine ebenso stämmige Patientin mit den Worten, dass ihr Mann schwache Nerven habe und jetzt dringend Ruhe brauche.
Mit schriller Stimme antwortet die Frau, dass sie genau das ihrem Mann Tag und Nacht predige.

Wir sind im Sprechzimmer.
Die Ärztin drückt uns fest die Hand.
Dann schildert Sally, dass beim Spaziergang im Wald ein großer Ast zurückgeschnellt sei und sie am Oberarm getroffen habe.
Die Ärztin entfernt den Verband und inspiziert die Wunde. Die Frau Doktor scheint zu ahnen, dass es sich so, wie von Sally berichtet, nicht zugetragen haben kann.
Doch die Ärztin fragt nicht nach. Sie desinfiziert die Wunde, näht sie mit sieben Stichen und legt einen frischen Verband an. Dann jagt die Ärztin meiner Sally eine Tetanusspritze ins Fleisch.
Wir bedanken uns und verlassen das Sprechzimmer.
Sally gesteht, dass sie dieses Piksen in die Haut liebe. Je tiefer, desto besser.

Wir sind zurück auf dem großen Platz und sehen in einer Ecke unseren Freund, gelehnt an einen alten Stromkasten.
Als Jacques uns bemerkt, springt er hoch und kommt auf uns zu.
Sally und ich haben einen Plan.
Ich frage Jacques, ob er uns auf Schleichwegen in die Großstadt lotsen könne. Natürlich solle er das nicht umsonst tun.
„Bien! Kein Problem!", meint er. Das seien vierzig Kilometer. Mit den Straßen in der Gegend kenne er sich aus. Und zurück komme er schon wieder.

Der EntfloheneWhere stories live. Discover now