Kapitel 30

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Lautes Treppengepolter weckte mich. Stöhnend vergrub ich mich tiefer in meiner Bettdecke, unwillig schon aufzuwachen. Doch so sehr ich es auch wollte, an einschlafen war nicht mehr zu denken. Die Sonne blitzte grell durch das kleine Fenster in mein Zimmer, welches sehr zu meinem Verdruss keinen Rolladen oder auch nur einen Vorhang hatte.

Ich und schob seufzend die Bettdecke beiseite. Mit einem ungeschickten Sprung landete ich am Fußboden und kramte müde eine Jogginghose und einen Pullover aus meinem Koffer hervor, wobei letzteres mir um Nummern zu groß war. Aber warum sollte ich mich in einem so einsamen Haus um mein Aussehen scheren? Kein Nachbar würde mich hier beim Frühstück hinterlistig beobachten. Da es hier nämlich gar keine Nachbarn gab. Und für einen Jungen, das hatte ich mir bereits vor Ewigkeiten geschworen, würde ich niemals meinen Kleidungsstil ändern, geschweige denn mich selbst. Pech gehabt, Nye!

Also trampelte ich mit dem Aussehen eines Straßenpenners ins Erdgeschoss. Schon von weitem roch ich die süßlich duftenden Pancakes. Mein Magen meldete sich mit einem Mal knurrend zu Wort. Ich legte noch einen Zahn zu, und öffnete schließlich die Tür zur Küche. Nye stand, bekleidet mit einer schwarzen, locker sitzenden Jeans und einem weißen Shirt am Herd und wendete gerade einen der so köstlich riechenden Pancakes. Sein dunkelblondes Haar lugte verwuschelt unter seiner schwarzen Mütze hervor und ließ ihn irgendwie verwegen erscheinen. Verwegen? Hast du das Wort aus irgendeinem Liebesroman geklaut, oder seit wann denkst du so einen Schrott, Betty?

"Hm...", ich schnupperte, "Ich wusste gar nicht, dass du so gut backen kannst." Letzteres war an Nye gerichtet. Er drehte sich zu mir um und zwinkerte mir frech zu. "Das schmeichelt mir ja sehr, aber du hast doch noch gar keinen Pancake probiert!" Auch wenn es kindisch war, konnte ich es mir nicht verkneifen dem spitzbübisch dreinschauenden Nye meine Zunge rauszustrecken. Zum Glück verkniff er sich jeglichen Kommentar über Miley Cyres.

"Ich sehe Pancakes immer an, ob sie gut sind.", bahuptete ich großspurig. "Ich könnte den Teig immer noch ein wenig nachsalzen...so ein paar Hände voll Salz waren noch nie fehl am Platz...", versuchte mir Nye spielerisch zu drohen. Flirtete er gerade mir mir? Ich konnte über diesen Gedanken nur die Augen verdrehen. Genau, und die Erde ist eine Scheibe.

Ich lehnte Nyes 'freundliches' Angebot kichernd ab und begann sämtliche Schränke nach ein paar Tellern abzusuchen. Nye beobachtete eine Weile vergnügt, wie ich einen Schrank nach dem anderen öffnete, nur um ihn dann jedes Mal ein bisschen frustrierter zuzuschlagen.

"Was suchst du eigentlich?", fragte er schließlich und obwohl ich mich einem der viel zu vielen Schränke zugewandt hatte, konnte ich mir gut vorstellen, wie seine Mundwinkel nach oben zuckten, bemüht nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Ich starrte weiterhin auf den Schrank und murrte: "Nach Tellern." "Bist du da nicht irgendwie am falschen Schrank?" Obwohl ich wusste, dass diese Frage allein dazu diente mich zu provizieren, konnte ich mich nicht beherrschen und fauchte: "Wo sind denn dann diese verdammten Teller?!" "Na hier!", sagte Nye und zog zwei Teller aus einer Schblade direkt vor ihm. Er gab sich wirklich alle Mühe ernst zu bleiben, doch er prustete dennoch los.

"Und du lässt mich erst mal ne Viertelstunde herumrennen!", beklagte ich mich, während ich ihm die Teller abnahm. Nye lachte immernoch und drückte mir noch Besteck und Puderzucker in die Hand.

"Du kannst schon mal den Tisch decken.", wieß er mich an. Und obwohl ich mich liebend gerne geweigert hätte dies zu tun, die Pancakes und mein knurrender Magen waren im Moment einfach wichtiger als mein Stolz. Also verließ ich die Küche und deckte den Holztisch, der sich im Wohnzimmer befand. Dort wartete ich dann ungeduldig, bis Nye endlich, die Pancaks auf einem Arm balancierend, hereinkam. Wehe, er lässt sie jetzt fallen!, war mein einziger Gedanke. Dann ich für nichts mehr garantieren! Doch er kam sehr zu seinem Glück MIT den Pancakes bei mir an.

Ich belud mir meinen Teller und verschlang hungrig einen Pancake...und dann noch einen....und noch einen. Nye, der sich mir gegenüber auf einen Stuhl hatte fallen lassen, aß wesentlich langsamer als ich. Er blickte mich ziemlich verwundert an, als ich mir den vierten Pancae nahm.

"Was machst du heute so?", fragte ich, um eine freundliche Konversation bemüht. "Arbeiten." Nye zuckte mit den Schultern und biss herzhaft von seinem Pancake ab. Puderzucker stäubte durch die Luft und ich musste ein Kichern unterdrücken, als ich sah, dass sich einzelne Strähnen, die unter der Mütze hervorquollen, weiß färbten.

"Du spielst meinen Wachhund?", fragte ich, ohne zu wissen, ob ich das gut oder schlecht heißen sollte. Nye lachte. "Außnahmsweise mal nicht. Hier dürfte die nichts geschehen. Ich fahre in die Zentrale des Geheimdienstes Wales, um meine andere Arbeit zu verrichten. Du bist nicht die einzige Aufgabe, die ich in meinem Leben bewältigen muss, wenn auch die schwerste." Ich hatte keine Ahnung, ob ich seine Aussage gut heißen sollte. Vermutlich nicht.

Ich zog eine Schnute. "Außgerchnet, wenn wir am Arsch der Welt sind und ich mich zu Tode langweilen werde, beschließt du, meine einzige Unterhaltungmöglichkeit, einfach mal arbeiten zu gehen! Das ist unfair!", maulte ich, "Ich habe noch nicht einmal Handyempfang!" Nye bläulich graue Augen verengten sich zu vergnügten Schlitzen, während er mich musterte. Auf seinen Mund stahl sich ein kleines Grinsen. "Dort stehen ein paar Bücher. Wenn du willst kannst du gerne welche lesen.", erklärte er und zeigte auf ein Regalbrett. Es hing in der Nähe des Holzofens, oberhalb eines flauschigen Ledersessels. Dicke, verstaubte Wälzer bogen das Brett durch und luden nicht gerade zum Lesen ein.

"Ein Sommernachtstraum.", entzifferte ich die Buchstaben eines Einbandes, "Du willst mir ernsthaft Sheakspear antun?" Nye grinste und zuckte mit den Schultern. "Hast du nicht eine Gitarre, oder so?", hakte ich nach. Sie würde wirklich zu der Atmosphäre hier passen. Außerdem fühlte man sich mit Musik nie so alleine.

"Tut mir leid." Nye hob bedauernd die Schultern. "Das habe ich leider nicht anzubieten." "Und was soll ich denn dann den ganzen Tag über machen?", beschwerte ich mich. "Haus putzen...", murmelte Nye abwesend, auf einmal von der großen tickenden Wanduhr abgelenkt. Gerade als ich Einspruch erheben wollte (Hallo? Ich war schließlich nicht seine Putzfrau!), sprang er gehetzt auf und schnappte sich seine schwarze Lederjacke vom Wandhaken.

"Sorry, ich muss los.", rief er mir zu, während er hektisch seinen Autoschlüssel aus der Schublade eines alten Schränkchens kramte. Noch ehe ich ihm antworten konnte, war er bereits ohne ein weiteres durch die Haustür verschwunden. Die Tür fiel hinter ihm mit einem Krachen ins Schloss. Offenbar hatte er sich in der Zeit vertan und würde zu spät zur Arbeit kommen.

Seufzend starrte ich auf die geschlossene Tür, durch die vor ein paar Sekunden noch ein hektischer Nye gesprintet war. Draußen hörte ich den Motor starten und ein Auto wegfahren - oder viel mehr wegrasen. Wahrscheinlich lag er mit seiner Geschwindigkeit noch höher über der eigentlichen Begrenzung als sonst. Ein Glück musste ich nicht mitfahren! Mit achtzehn ein Nervenzusammenbruch, den ich bei Nyes Fahrstil mit Gewissheit erleiden würde, musste wirklich noch nicht sein! Dennoch hätte ich ihn jetzt lieber hier gehabt, auch wenn er mich noch so nerven würde. Es war alle Mal besser, als alleine in einem Haus mitten im Wald zu hocken.

Die Ruhe, die sich über das Haus senkte, schien mich zu erdrücken. Draußen hörte ich die vereinzelt Blätter rascheln und Vögel zwitschern. Trotzdem kam ich mir furchtbar alleine vor. Und allein gelassen.

Um nicht meinen melancholischen Gedanken nachzuhängen fing ich an den Tisch abzudecken. Fein säuberlich putzte ich das Geschirr und räumte es geordnet in de Schubladen. Das ich mal freiwillig im Haushalt helfen würde, hätte ich vor ein paar Tagen (gestern) noch für unmöglich gehalten. Doch tatsächlich putzte ich jetzt fleißig das Haus, ganau so, wie Nye es mir empfohlen hatte. Innerlich lachte ich über mich selbst. Ich benahm mich wirklich albern. Doch was sollteich sonst tun?

Wirklich alles wurde abgestaubt, vom dicken Wälzer bis zu den Fensterbrettern. Danach wienerte und schrubbte ich den Boden bis er glänzte und mein Rücken vor Anstrengung schmerzte. Doch es war immer noch erst Mittag. Nye wüde vermutlich bis am Abend wegbleiben. Mir blieb also noch ein ganzer halber Tag. Das ich es mal als ätzend empfinden könnte, einen Tag frei zu haben, hätte ich mir nicht erträumen lassen. Dennoch schien die Zeit nur so schleichend langsam zu vergehen, dass ich sogar lieber in der Schule wäre.

Es war, als wäre der Zeiger der Uhr festgeklebt. Also nahm ich tatsächlich eines der mittlerweile abgestaubten Bücher und setzte mich in den Sessel. Es war von Shakespeare. Wär hätte gedacht, dass ich das mal freiwillig lesen würde? Ich jedenfalls nicht!

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