Bereits den gesamten Nachmittag verbrachte ich nun schon hinter einem von Sheakspears Werken. Leider kam ich nur schleppend voran. Es war eine Kunst dieses Buch zu verstehen, so fremdartig klang die Sprache. Und es war wohlgemerkt meine Muttersprache, in der Sheakspeare geschrieben hatte. Angeblich.
Zum Glück musste ich keine Interpretation oder etwas ähnliches dazu abliefern, womit die Deutschlehrer einen liebend gerne quälten, denn es würde Jahre dauern bis ich dieses Buch vollends verstanden hätte. Vermutlich würde ich das nie ganz. Dennoch machte es mich ziemlich stolz, dass ich mich mittlerweile auf Seite siebenundneunzig befand und den Handlungsverlauf sogar einigermaßen nachvollziehen konnte.
Dennoch machte sich mein Nacken mittlerweile schmerzhaft bemerkbar. Die Pose, die ich eingenommen hatte, um das Buch zu lesen, war nicht gerade die Gesündeste für mein Genick. Besonders, da ich schon seit Stunden so verharrte. Meine Augen waren überanstrengt und brannten. Trotzdem legte ich das Werk nicht aus der Hand, sondern las immer weiter. Zwischendurch schob ich mir immer wieder eine Handvoll Fruchtgummis (Habe ich schon erwähnt, dass ich diese Dinger liebe?) in den Mund, als säße ich in einem Kino und die Webung liefe (Während dem Film war das Popcorn immer schon aufgebraucht). Ich hatte die Fruchtgummis beim Aufräumen in einem kleinen Schränkchen in der Küche gefunden und mich sofort über sie hergemacht. Leider gingen sie langsam ziemlich zur Neige.
Das Geräusch eines heranrollenden Autos erklang. Knirschende Geräusche, und der Motor verstummte. Direkt vor der Hütte. Ich konnte nur beten, dass es Nye war... und kein durchgeknallter Mafia-Vater.
Eine zuschlagende Autotür ertönte, stampfende Schritte und schließlich steckte jemand einen Schlüssel in das Schloss. Hoffentlich kein Einbrecher... Die Tür schwang auf. Hoffentlich kein Jack Harras...hoffentlich nicht mein Vater... Ich krallte meine Finger in das Polster des Sessels. Seit wann war ich nur so ängstlich?! Die Antwort war ziemlich einfach und sie behagte mir nicht gerade: Seit ich Nye nicht in meiner Nähe hatte. Himmel, ich benahm mich, als wäre ich abhängig von ihm. Junkie!, schoss es mir durch den Kopf.
Mich über mich selbst ärgernd blickte ich von meinem Buch auf. Erleichterung durchfluetete mich, als ich tatsächlich Nye auf der Türschwelle stehen sah. "Du ließt also doch Sheakspeare?", fragte er mich amüsiert und offenbar bester Laune, während er sich seine Lederjacke abstreifte und aus den Sneakers schlüpfte. Ich warf ihm einen giftigen Blick zu. "Was soll ich den sonst hier den ganzen lieben langen Tag machen?" Ich wusste nicht genau, worüber ich verärgert war. Über die schier endlose Zeit, die ich in einer winzigen Hütte, fernab jeglichem menschlichen Lebens, oder darüber, dass ich Nye den ganzen Tag vermisst hatte und enttäuscht war, dass er nicht bei mir blieb.
"Wie wärs mit Gitarre spielen?", antwortete Nye unschuldig auf meine Frage. Ich verdrehte die Augen und widmete mich wieder dem Buch, auch wenn ich kein einziges Wort las. Er wusste genau, dass es hier keine Gitarre gab und ich liebend gerne eine hätte!
"Willst du etwa keine?", fragte Nye noch scheinheiliger als zuvor. Ich schnaubte und ignorierte ihn. Nye zuckte mit den Schultern und verließ das Haus. Ein kalter Windhauch wehte durch die offene Tür. Fröstelnd vergrubich mich tiefer im Sessel.
Ich wollte Nye gerade hinterherrufen, dass er die verdammte Tür schließen sollte, als er bereits wieder über die Türschwelle trat ... mit einer Gitarrre in der rechten Hand - und einem fetten Grinsen im Gesicht. In binnen Sekunden war das Buch vergessen und fiel unbeachtet zu Boden. Ich sprang auf und lief hastig zu Nye. "Für wen ist die?", fragte ich mit großen Augen, wie eine Süchtige auf Entzug. Natürlich hoffte ich...
Nye amüsierte sich prächtig über meinen Eifer und sagte: "Für dich." Meine Augen wurden noch größer, auch wenn ich bereits gehofft hatte diese Antwort zu bekommen. "Für....MICH?", stotterte ich, "Danke!" Nye winkte bescheiden ab: "Ach, die gehört einem Arbeitskollegen von mir, der sie nicht mehr braucht, da habe ich gedacht, sie wäre was für dich. Ich will schließlich nicht, dass du dich langweilst!" Süß!, zischte es mir durch den Kopf. Innerlich über meine naiven Gedanken schimpfend nahm ich Nye die Gitarre ab und begutachtete sie genauer. Und wow...es war wirklich eine verdammt gute! Fast schon ehrfürchtig zupfte ich probeweise eine Saite. Etwas verstimmt, aber mit ein paar Handgriffen war das geregelt. Schon klang sie wunderbar. Einfach herrlich!
"Gefällt sie dir?", fragte Nye und setzte bedächtig sich auf einen Stuhl. Ich nickte ganz verzaubert und ließ mich ebenfalls auf einen Stuhl fallen. "Spiel mir etwas vor!", forderte Nye mich auf. Er mussterte mich interessiert mit seinen bläulich grauen Augen. Es war ein intensiver Blick. Eine Gänsehaut breitete sich prickelnd an meinem ganzen Körper aus.
Ich weiß nicht, ob ich dafür gut genug bin...", murmelte ich. Es gab für mich nichts schlimmeres, als vor anderen Menschen etwas vorzutragen. "Ich bin sicher, du kannst es.", meinte Nye mit fester und zugleich aufmunternder Stimme. Ein bezauberndes, leichtes Lächelnd zierte seinen Mund.
Also fasste ich mich am Herz und fing bedächtig an ein Lied zu spielen, von dem mir auf Anhieb die Noten einfielen. Es war diese ganz bestimmte Art von Jazz, die einen dazu bewegte mitzutanzen. Das Lied nahm einen vollkommen gefangen. Mit der leicht souligen, peppigen Melodie und den rythmischen Akkorden. Man musste einfach den Takt dazu klopfen. Nicht umsonst war es eines meiner Lieblingslieder.
Man hörte nur die Töne durch den Raum schweben. Nye verharrte still neben mir, während er leise mit der Fußspitze den Takt auf den Boden klopfte. Als schließlich die letzte Saite gezupft war und das Lied im Raum verklang, sagte er: "Von wegen, du bist nicht gut genug! Du toppst alle!" Verlegen starrte ich auf den Holzboden. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Es war nicht so, dass ich es nicht mögen würde, Komplimente zu bekommen, ganz im Gegenteil, aber ich wusse einfach nie, wie ich reagieren sollte. Es war mir peinlich so viel Aufmerksamkeit zu bekommen.
Also wechselte ich einfach das Thema. "Spielst du auch Gitarre?", frage ich Nye. Dieser zucke bedauernd mit den Schultern und verneinte meine Frage. "Und irgend ein anderes Instrument?", hakte ich nach. "Als ich zwölf war, habe ich mal Schlagzeug gespielt.", erzählte Nye, "Allerdings nur für einen Monat - bis mein damaliges Idol behauptet hat, dass Frauen nicht auf so etwas stehen würden. Dann habe ich aufgehört." Ich musste lachen und auch Nye schmunzelte. "Und, stehst du denn auf Schlagzeuger?", fragte er mich neckisch. "Aber klar doch!", grinste ich und strecke ihm die Zunge raus. Trübte mich das Gefühl, oder waren Nye und ich ein wenig vertrauter geworden? Ich beschloss diesen Gedankengang nicht weiter zu verfolgen. Das einzige, das mir solche Überlegungen bringen würden, wären ein paar unnötige Kopfschmerzen. Stattdessen bohrte ich ihm doch lieber weiter Löcher in den Bauch.
"Du spielst also kein Musikinstrument?", vergewisserte ich mich, "Und hörst du wenigstens gerne Musik?" Nye nickte. "Sehr sogar!", antwortete er, "Manchmal spiele ich auf Partys sogar deb DJ." Ich nickte leicht und fragte weiter: "Welche Musikrichtungen magst du eigentlich?" "Dance, Hip Hop, Rock, Electronic.", zählte er auf. Im Gegenzug teilte ich auch meine Musikvorlieben mit. Rock, Country, Pop und manchmal auch Jazz. Nye nickte bedächtig. Nach einer Weile erhellte sich sein Gesicht und er grinste. "So, jetzt darf ich was fragen: Welchen Sport betreibst du?" Ich sah ihn abwägend ab. "Schulsport?", lautete meine vorsichtige Antwort. Mehr Bewegung bekam ich nicht. Zum Glück schien Nye dennoch nicht zu denken, dass ich ein schrecklich langweiler Stubenhocker war, denn er nickte, scheinbar ohne es komisch zu finden. "Ich spiele Basketball, ab und zu Baseball und außerdem betreibe ich Karate und Kraftsport.", erklärte er mir ungefragt. Joa, er war vermutlich ein 'bisschen' sportlicher als ich.
Ich wechselte das Thema und wollte wissen: "Wie sieht es mit deiner Familie aus?" Nye seufzte: "Naja, ich würde grundsätzlich einfach behaupten, der Haussegen hängt schief. Meine ein Jahr jüngere Schwester lebt am anderen Ende der Welt, in Neuseeland, meine Elern.sind geschieden. Mein Vater hat jetzt eine Wasserstoffblondine, die zwanzig Jahre jünger ist, als er, und meine Mutter trauert ihm immer noch hinterher." Dafür konnte Nye wohl kein Verständnis aufbringen, denn er schüttelte mit einer Sorgenfalte auf der Stirn den Kopf. "Jedenfalls ist sie zur Zeit nicht wirklich glücklich. Zudem hat sich gerade auch noch der Rest der Verwandschaft zerstritten.", fuhr Nye fort. "Oh.", murmelte ich. Dieses Gespräch war persönlicher geworden, als gedacht. Er schien kein Problem zu haben sich mir gegen über zu öffnen.
"Meine Familie kennst du ja.", seufzte ich, "Ich liebe meine Mum und zwischen uns ist alles im Reinen, aber ein Vater, der einen umbringen will, ist alles andere als schön. Besonders, wenn man ihn noch nicht einmal persönlich kennt." "Das glaube ich dir gerne.", sagte Nye und warf mir einen unsicheren Blick zu. "Ich mach dann mal Abendessen." Mit diesen Worten richtete er sich auf und verschwand in die Küche. Ich legte die Gitarre beiseite und musste erst einmal nachdenken. Dass ich mich mit Nye neuerdings so gut verstand, empfand ich als ziemlich beunruhigend. Dennoch mochte ich unsere Gespräche. Ich fand es tatsächlich interessant mehr über ihn zu erfahren! Und genau das war das Problem...
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Personal Agent
RomanceKaum ist Betty Havly achtzehn Jahre alt, versteht sie die Welt nicht mehr. Ihre Eltern benehmen sich auf einmal komisch und scheinen Betty irgendetwas zu verschweigen. Dann tauchen auch noch 'gewisse' Personen auf, die ihr Leben ganz schön auf den K...