Kapitel 27

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Das 'Lounas' war brechend voll. Nicht nur unsere gesamte Schule verstopfte die Kneipe, sondern auch noch sämtliche Studenten. Die Bedienungen hetzten von Tisch zu Tisch, vorsichtig darauf bedacht, möglichst niemandem auf die Füße zu treten, keinen umzurennen und nichts zu verschütten. Ich war wirklich froh, dass ich mich nicht, wie ich es mal geplant hatte, hier als Bedienung beworben hatte um mein Taschengeld aufzubessern.

Inmitten der Schülermassen saßen Miranda und ich auf zwei Hockern an die Bar gelehnt. Selbst Miranda fiel heute nicht so auf wie sonst.

Sie rührte mit einem Strohhalm nachdenklich in ihrem Drink herum und wirkte vollkommen normal. "Tja, irgendwie bin ich im Moment der glücklichste Mensch auf Erden." Mirandas Grinsen ging ihr vom einen Ohr bis zum anderen. Vielleicht doch nicht so normal...

Heute morgen hatten sie und Moris offiziell verkündet nun ein Paar zu sein. Seit dem war das Grinsen nicht mehr aus Mirandas Gesicht zu bekommen. Diagnose: Schwerstverliebt.

Sie hatte heute sogar ein relativ wenig ausgeschnittenes Shirt an. Tja, es geschahen eben Zeiten und Wunder! Moris übte offenbar guten Einfluss auf sie aus.

"Warum Sinan das wohl gemacht hat?", wechselte Miranda abrupt das Thema auf das Geschehen letzte Nacht. Ich hatte mich mit dieser Frage schon lange genug beschäftigt und antwortete ironisch: "Ich vermute mal Jack Harras ist nicht allzu arm. Da wird er sich zumindest noch die Loyalität eines Gitarrenlehers erkaufen können."

Miranda nickte abwesend, war geistig bereits wieder in ihrer rosaroten Welt verschwunden. Gerade als ich sie wachrütteln wollte, landete sie zum Glück von selbst wieder in der Gegenwart und schenkte mir zumindest kurz ihre Aufmerksamkeit, nur um mich zu fragen: "Wo ist eigentlich dein toller Bodyguard abgeblieben?" Ich nippte schulterzuckend an meiner Cola: "Vermutlich in Averfield wegen Sinan. Ich glaube nicht, dass er es so glücklich schätzen würde, wenn er wüsste, dass ich hier ohne persönlichen Schatten herumrenne." "Da könntest du eventuell recht haben.", meinte Miranda noch, als sie auch schon wieder in ihre Traumwelt abtauchte. Das war so unfähr! Ich wollte auch einen Freund!

Miranda schien für die nächsten paar Stunden in einer anderen Welt gefangen. Ihr Blick war verträumt in die Ferne gerichtet. Ich hingegen saß gelangweilt auf dem Barhocker neben ihr und stürzte eine Cola nach der anderen runter. Ein Glück befand sich darin kein Alkohol, sonst würde ich jetzt bereits durch die Kneipe taumeln. Allerdings dürfte der Koffeingehalt mich heute Nacht länger wachhalten, als eigentlich nötig.

Gerade als ich mir die siebte Cola bestellen wollte, breitete sich Unruhe unter den Gästen aus. "Oh mein Gott!", stieß Pamela mit riesigen Augen und sperrangelweit offenem Mund (eigentlich wollte ich ihr Abendessen nicht zwangsläufig sehen) aus. "Das ist er! Ich habe ihn gefunden!" Ich blickte zur Tür und musste leider feststellen, dass soeben Nye und Moris eingetreten waren. Oh ja, ich konnte mir denken, wegen wem sie hier waren. Mir um genau zu sein. Und ich war alles andere erfreut. Nun gut, Moris war vermutlich mehr auf Miranda fixiert, zumindest, wenn man ihm eine genause rosarote Brille aufgesetzt hatte, wie ihr.

Die beiden musterten suchend die Menschmenge, die sich in der Kneipe staute und versuchten vermutlich mich zwischen all den schmachtenden Mädchen ausfindig zu machen. Ich wollte mich ducken, doch zu spät! Nye fixierte mich mit schmalen Augen und bahnte sich grob einen Weg durch die Masse.
Oh,oh!

Ich sprang von meinem Barhocker und drängte mich durch die Menge auf den Hinterausgang zu. Doch ich war nicht schnell genug, Nye holte weiter und weiter auf.

Hastig riss ich die Tür auf und landete in einem kalten, kargen Flur. Ich rannte den Gang entlang. Hinter mir hörte ich Schritte näher kommen. Kurz bevor ich die Tür ins Freie aufreißen konnte, wurde ich gepackt und gegen eine muskulöse Brust gezogen.

"Hier geblieben, Fräulein!", zischte eine Stimme hinter mir. Warmer Atem traf mich im Nacken. Gegen meinen Willen bekam ich eine Gänsehaut. "Wer hat dir erlaubt alleine fortzugehen?", fragte Nye. "Verdammt!", rief ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, "Ich bin ERWACHSEN! Nur weil du deinen Job als Bodyguard nicht richtig machst, heißt das nich lange nicht, dass du mir vorschreiben kannst zuhause zu bleiben!" Ich wurde umgedreht und starrte direkt in das wütend verkniffene Gesicht von Nye. Eine steile Falte hatte sich auf seiner Stirn gebildet und seine Blicke schienen mich aufzuspießen. Ich schluckte.

"Dir hätte alles mögliche passieren können! Begib dich nie wieder in solch lebensgefährliche Situationen!", knurrte Nye. "Ich bin doch nur in eine Kneipe gegangen!", sagte ich und verschränkte störrisch meine Arme vor der Brust. "Das werde ich wohl gerade noch schaffen!" Nye seufzte, mehr frustriert als verärgert: "Ich wäre aber Schuld daran gewesen, wenn dir etwas passiert wäre!" Ich stöhnte: "Nein! Dann wäre der Täter schuldig gewesen, nicht du! Außerdem bin ich noch quicklebendig!" Nye lächelte zaghaft: "Stimmt! Und störrischer denn je." Bei seinem letzten Satz guckte er allerdings bereits nicht mehr so glücklich wie zuvor.

"Jaja!", grinste ich. Nye schüttelte nur den Kopf. "Wir sollten einfach nur froh sein, dass du noch hier bist.", meinte er, "Auch wenn du unwahrscheinlich viel Glück hattest!" Warum fing mein Herz an wie verrückt zu pochen, nur weil er sich um meine Gesundheit sorgte? Verräterisches Stück! Er war schlißlich mein Bodyguard! Das war doch logisch! Alles andere wäre auch ziemlich schlecht. Innerlich verdrehte ich die Augen über mich selbst.

"Aha, der Herr sorgt sich also um meine Gesundheit!" Ich sah Nye herausfordernd an. Diese Worte konnte ich mir einfach nicht verkneifen, auch wenn mir durchaus bewusst war, dass ich flirtete. Dieser erwiderte nichts, sondern sah mir nur tief in die Augen. Verunsichert starrte ich zurück. Und wow! Wieso hatte jch nie bemerkt, was für umwerfende Augen er hatte? Seine Iris strahlte n einem hellen und klaren Blauton, der um die Pupille silbrig wurde. Einfach bezaubernd.

Nye legte einen Arm um meine Tallie und zog mich näher zu sich heran. Ich wollte protestieren, doch stattdessen versank ich immer tiefer in seinen Augen.

Ohne Vorwarnung presste Nye mir seine Lippen auf den Mund und fing an mich zu küssen. Seine Lippen waren samtweich und schmeckten wundervoll. Voller Hingabe erwiederte ich seinen Kuss. Heiße Schauer durchfuhren meinen Körper, während mein Herz so laut klopfte, dass ich glaubte jeder Mensch in ganz Großbritannien müsse es hören.

Sanft fuhr Nye mit seiner Hand über meinen Rücken, meine Hüften und meine Arme. Er hinterließ flammende Spuren auf meiner Haut. Ich vergrub meine Hand in seinen samtweichen Haaren und presste mich noch fester an ihn.

Das Gefühl war einfach unbeschreiblich. Ich könnte Stunden damit verbringen Nye zu küssen, auch wenn ein kleiner Teil in mir immer nich zaghaft darauf hinwies, wie falsch es war.

"Betty?", hörte ich Miranda rufen. Eine Tür ging auf. Kurzes Schweigen, dann hörte ich Miranda kichern: "Oh...sorry!" Widerwillig nahm ich meine Lippen von Nyes und sah Miranda böse an. Was fiel ihr ein, den schönsten Moment meines Lebens zu zerstören? Der Kuss war einfach unbeschreiblich gewesen.

"Eigentlich wollten wir Betty nur vor Nyes Fäusten beschützen, doch ich denke das hat sich jetzt geklärt.", brachte Miranda zwischen zwei Lachanfällen hervor, "Ihr habt anscheinend eine andere Lösung gefunden, um euren Streit zu begraben." So langsam wurde mir meine Stellung doch peinlich und so löste ich mich von Nye, der mich frech angrinste. Ich verdrehte nur die Augen. Der sollte sich bloß nichts darauf einbilden, dass ich ihn zurückgeküsst hatte! Aber welches Mädchen auf der Welt hätte bitteschön bei so einem gutaussehenden Typen nein gesagt? Genau! Keines!

Zugegeben, ich machte mir etwas vor. Denn ich hatte ihn längst nicht nur wegen seinem Aussehen geküsst (Auch wenn das durchaus eine Rolle gespielt hatte). Sehr zu meinem Entsetzen fing ich jetzt auch noch an seinen Charakter zu mögen. Ich mochte es, wenn er sich um mich sorgte und mich beschützte. Wie ein Fels in der Brandung.

Ich sollte mich schleunigst aus dieser Sache retten, so lange ich noch konnte! Das konnte einfach nicht gut gehen!

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