Kapitel 22

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Jetzt saß ich tatsächlich auf meinem Bett, fertig angezogen und traute mich nicht runter, aus Angst meinem persönlichen Schatten, Nye, zu begegnen. Und das nur, weil ich gestern auf seinem Schoß gesessen und es mehr genossen hatte, als ich eigentlich durfte.

Ich fand mich selbst albern, wie ich mich nicht traute Nye entgegen zu treten. Wie ein hormongesteuerter Teenie blieb ich lieber verkrampft auf der Bettkante sitzen.

Am liebsten würde ich den gestrigen Abend einfach aus meinem Gedächtnis streichen. Dann müsste ich mir jetzt keine Gedanken darüber machen, wie ich mich wieder mit Miranda vertragen konnte und ich es schaffte den Klauen einer viel zu gutaussehenden Leibwache zu entkommen. Ich war zwar nicht in Nye verliebt, aber ich fand ihn ziemlich gutaussehend. Eigentlich nicht weiter schlimm. Das würde jedes andere Mädchen dieses Planeten ganz genauso sehen. Dennoch schrillten bei mir die Alarmglocken. Wieder einmal benahm ich mich lächerlich. Robert Pattinson fand ich schließlich auch heiß!

Man muss erst den Charakter einer Person kennen und vorallem mögen, um sich in sie verlieben zu können. Deshalb musste ich mir eigentlich auch keine Sorgen machen, dass mir das passierte. Eigentlich...

"Kommst du jetzt?", fragte eine Stimme, die ich nur allzu gut kannte. Vor Schreck fiel ich von der Bettkante und knallte mit einem lauten Aufprall auf den Fußboden, sodass ich Nye buchstäblich zu Füßen lag. Mit einem leider hochrotem Kopf erhob ich mich wieder und nahm nahm mir leise fluchend meine Schultasche.

"Ja, ich komme!", antwortete ich Nye aufgrund meines 'Unfalls' (eigener Ungeschicklichkeit) leicht verspätet. Es war so peinlich, wie ich mich aufführte!

Nye nickte nur und stapfte wortlos die Treppen hinunter. Eigentlich hatten doch nur Schwangere Stimmungsschwankungen, oder? Sollte ich mir da langsam Sorgen machen, oder war das normal bei ihm? Am einen Abend total lieb und freundlich und am nächsten Tag so fröhlich wie Frankenstein höchstpersönlich!

Seufzend packte ich meine Schultasche und sprintete Nye keuchend nach. Verdammt war der schnell!

Ich musste ihm durch das ganze Haus in einer abnormal hohen Geschwindigkeit hinterherrennen. Zumindest für meine Verhältnisse abnormal hoch. Nye schien sich überhaupt nicht anstrengen zu müssen. Tja, vielleicht würde es helfen ab und zu mal Sport zu machen..., spottete meine herzallerliebste innere Stimme. Völlig aus der Puste kam ich schließlich an Nyes Auto, oder vielmehr Schrottkarre, an. Kaum hatte er es entriegelt ließ ich mich auf den zerfetzten Beifahrersitz plumpsen und verschnaufte erst einmal.

Nye hatte sich sein Auto vorgestern auf unseren Parkplatz umquartiert, was in Anbetracht der Tatsache, dass Miranda im Moment (oder auch für längere Zeit) wütend auf mich war, gar nicht so unpraktisch schien.

Nachdem Nye mit quietschenden Reifen und ratterndem Motor losgefahren war stellte er seinen Radio ein. Dupstep dröhnte aus den eingebauten Musikboxen des Auto und ich musste mich schwer beherrschen nicht auf jeden Knopf des Amturenbretts zu schlagen, damit ich endlich meine Ruhe hatte. Aus Anstand ließ mich meine Hände zu Fäusten geballt in meinem Schoß liegen und ließ die Tortur über mich ergehen.

Sehr zu meiner Verwunderung kamen wir dennoch ohne einen größeren Gehörschaden vor meiner Schule an. Nyes zukünftige Freundin ,falls er das mal eine haben sollte, tat mir jetzt schon leid, denn ich war mir sicher, dass diese Musik auf Dauer trotzdem ziemlich ungesund war.

Sobald Nye das Auto geparkt hatte und wir ausstiegen waren, fing das große Tuscheln wieder an.Glücklicherweise leise genug, um mir nicht sämtliche Verschwörungstheorien anhören zu müssen. Dennoch war mir die Aufmerksamkeit unangenehm und ich beeilte mich möglichst schnell in der Schule zu verschwinden.

Auch für Nye waren die schwärmenden Blicke der Mädchen, die zu verschlingen schienen, wohl etwas zu viel, denn er folgte mir hastig. "Was hast du denn für komische Mädchen an deiner Schule?!", knurrte er verständnislos. "Hysterische Girlies mit Hormonproblemen.", murmelte ich und musterte abwesend den Vertretungsplan. Leider entfiel mal wieder keine Stunde. Mir schien es fast so, als wären Lehrer kein bisschen krankheitsanfällig, denn sehr zu meinem Verdruss fehlten sie einfach NIE!

"Ich hab jetzt Schule.", seufzte ich, "Was machst du in der Zwischenzeit?" Lahmer Versuch, um einen Smalltalk aufzubauen, aber in so etwas war ich einfach nicht gut. "Geht dich nichts an!", schnauzte Nye und wandte sich ab. Scheinbar war ich charismatisch noch unbegabter, als ich bisher gedacht hatte. Resigniert drehte ich mich weg. Seine unfreundliche Art schmerzte mir mehr, als es sollte.

Miranda fehlte heute in der Schule. Es wunderte mich nicht wirklich. Sie schwänzte immer, wenn sie Ärger oder Stress mit jemandem (in diesem Fall mir) hatte. Dank ihrem nicht gerade unbekannten und einflussreichen Vater musste Miranda sich keine Sorgen wegen einem Schulverweis, oder ähnlichem machen. Den würde sie nicht mal dann bekommen, wenn sie die Schule abfackeln würde.

Nach acht schier endlosen Schulstunden trat ich endlich auf den Parkplatz hinaus. Die Sonne stand bereits schräg am Himmel und außnahmsweiße verzichteten die Wolken darauf sich über unserer Stadt zu entleeren.

Ich überquerte den Pausenhof, um auf Nye zu warten. Sobald ich an irgendjemandem durchlief, fing dieser an zu tuscheln. Bei Teenagern zählte eben nur Aussehen. Sobald ein gutaussehender Mann dich zur Schule begleitet bist du Gesprächsthema Nummer eins. Besonders, wenn du ab diesem Zeitpunkt dich mit deiner Freundin zerstritten bist, die an der ganzen Schule den Ruf einer 'Bitch' hatte. Dann brodelten die Gerüchte geradezu.

Als ich an Nyes Schrottkiste (also seinem Auto) ankam, bemerkte ich stirnrunzelnd den noch steckenden Schlüssel. Entweder er hatte ihn heute morgen vergessen abzuziehen oder er war hier irgendwo.

Mit zusammengekniffenen Augen suchte ich die Schülermasse nach ihm ab. Schließlich fand ich ihn sogar...knutschend mit Miranda. Die beiden standen engumschlungen unter dem weit und breit einzigstem Baum, der im hintersten Eck des Hofes stand. Allerdings ließ er die Szene nicht gerade romantischer wirken, denn seine kahlen Äste ragten wie Speere in den Himmel.

Rings um Nye und Miranda, die sich gegenseitig die Zungen tief in den Rachen schoben,  stand eine riesige Schülerhorde, die fleißig fotografierte.

Der Anblick der beiden kam mir vor, wie ein Schlag in den Magen. Oder ins Gesicht. Oder beides zusammen. Ich fühlte wie Übelkeit in mir hochstieg. Diese Szene brannte sich geradezu in meine Augen. Auch wenn ich wusste, dass diese Reaktion absolut nicht angebracht war, ich konnte es nicht verhindern und noch weniger verleugnen. Ich war verdammt noch mal eifersüchtig!

Ich wusste genau, warum Miranda das tat. Sie war nicht in Nye verliebt sondern in Moris. Und mit verliebt meinte ich auch tatsächlich verliebt. Keine körperliche Sache. Es hatte ihr kräftig imponiert, dass Moris nicht auf das eine mit ihr aus war, sondern tatsächlich an ihrem Charakter interessiert war.

Nun handelte sie also nach dem Motto, wie ich dir, so du mir. Grimmig musterte ich die beiden. Am liebsten wäre ich zu ihnen rüber gerannt und hätte sie auseinander gezogen, doch ich wusste, dass dies eine hirnrissige Idee war.

Also beschloss ich schnellst möglich nach Hause zu fliehen. Abhauen lautete hier die Devise. Fragte sich nur, wie?

Plötzlich fiel mir der Schlüssel im Türschloss des Autos auf. Ohne lange nachzudenken stieg ich in Nyes Auto und startete den Motor. Mit einem Knattern und Stottern sprang er an.

Nye schien das Geräusch seines Autos wohl erkannt zu haben, denn er löste sich irritiert von Miranda. Im Rückspiegel konnte ich seinen fassungslosen Blick sehen.

Mit einem fetten und triumphierenden Grinsen im Gesicht fuhr ich los. Das Lächeln hielt sich aber nicht lange, da im nächsten Nyes Dupstep-Musik anging. Anders als heute Morgen wiederstand ich dem Drang nicht und hämmerte so lange wild auf dem Amaturenbrett herum, bis die Musik ausging.

Hochgefühle breiteten sich in mir aus. Besonders, als Nye mir nachrannte, sein Auto allerdings nicht mehr bekam. Tja, vielleicht war Miranda ja so nett und brachte ihn nach Hause.

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