Hinzberg. Das ist sie. Verflucht. Ich wollte sie doch nicht in eine so missliche Lage bringen! So'ne Scheisse.
"Wieso beschäftigt dich das so?", fragt mich nun der Typ, der seitdem alle Schüler vom Kunstraum weggeschoben wurden wie Kleber an mir hängt.
"Wieso nicht? Wär doch cool, dieses Kunsttalent mal zu Gesicht zu bekommen!", versuche ich meine Grübelei auf irgendwas banales zu schieben.
Leider ohne den gewünschten Effekt. Er schaut mich aus vergrößerten Augen an und legt dann die Stirn in Falten.
"Was denn?", frage ich daraufhin etwas genervt.
"Gar nichts," gibt er mit verzerrter Miene und seitlich weggezogenem Mundwinkel grummelnd und herablassend zurück. Wenn er mich als so widerwärtig empfindet, wieso folgt er mir dann? "Ich hätte nur nicht gedacht, dass du auf Kunst stehst."
"Weil?"
"Du siehst nicht so aus."
"Und wieso nicht?", frage ich weiter.
Wie sehen denn Menschen aus, die sich für Kunst interessieren?"Weil du nicht so aussiehst," erwiedert er nur.
Wow, noch ein Supergenie auf Erden, denke ich und sehe ihn biestig an.
"Na dann ist das ja jetzt geklärt. Bis dann," gebe ich gelangweilt von mir und wollte ihn eigentlich stehen lassen, doch er folgt mir leider weiterhin, bis ich mich in AR15, den Raum in dem ich gleich Unterricht habe, an einen Gruppentisch setze, den ich jetzt schon aufgrund seiner Oberfläche verachte und sofort von Liz auf den Typen angesprochen werde."Der? Keine Ahnung," antworte ich leise. "Aber er folgt mir jetzt schon die ganze Mittagspause."
Trotz meines Versuches, das möglichst unpräzise zu formulieren und mit einer großen Portion Langeweile zu füllen, leuchten ihre Augen auf und sie quiekt total mädchenhaft: "Oouuu, sooo niedlich! Hey, der Typ hat sich zu einhundert Prozent in dich verliebt!", meint sie, woraufhin ich sie skeptisch mustere. "Was denn?"
Ich seufze. "Nichts, schon gut."
Daraufhin fängt Liz an, mich vollzuquatschen. Irgendwas von wegen was für ein Glück ich habe oder so ... wobei ich ihr da echt nicht zustimmen kann.
Da fällt mir etwas ein: "Hast du das Bild gesehen?", frage ich sie ernsthaft interessiert.
"Das, weshalb die heute so'n Aufstand gemacht haben?" Ich nicke. "Ja, ich hab sogar ein Foto." Liz beginnt, in ihrer Tasche zu wühlen und findet schlussendlich ihr Handy. Kurze Zeit später hält sie es mir mit einem Kichern vor die Nase.
Trotz dass das Bild von sehr weit weg geschossen wurde, kann ich doch sehen, was das Motiv ist:
Auf grau-weiß-blauem Hintergrund, welcher dem Stil einer Farbpuderschlacht ähnelt, sind einzelne Pflanzen positioniert, welche alle unterschiedliche Farben, Formen und Größen haben. Unter ihnen sind rot schimmernde Pfützen erkennbar, die durch die von den Pflanzen herunter laufende rote Flüssigkeit genährt werden. Mitten unter diesen Pflanzen liegt eine attraktive junge Frau, ihre Hand mit einiger Distanz über ihrem Kopf haltend und anstarrend. Ihr Körper ist übersäht von Striemen bestehend aus derselben roten Flüssigkeit, die sowohl Blut als auch Sand ähnelt. Ihr Blick wirkt gleichermaßen starr wie leer. Der Blick einer Leiche. Und doch scheint sie lebendig. Irgendwie. Ihre Haut ist so hell, wie die eines Engels, Licht umspielt ihr Haar und das dunkelrote Kleid, dass sie trägt, wird durch helle Ranken geschmückt. In Kontrast dazu stehen ihre Augen und Füße, welche mit intensivem dunkelbraun und schwarz aussehen, als strahlten sie irgendeine Art dunkles Licht aus.
Jetzt weiß ich auch, was mit Skandal gemeint war. Und die Bäume sehen tatsächlich so aus, als würden sie verbluten... obwohl das gar nicht die Absicht dahinter war. Auch egal.
Als ich gerade das Bild an mich weiterleiten will, ist das Handy, das sich Millisekunden zuvor definitiv noch in meiner Hand befunden hat, verschwunden.
Als ich rechts neben mir einen überraschten Laut höre, weiß ich auch, wohin.
"Hey!", rufe ich reichlich verspätet aus.
Er sieht auf und guckt mich leicht zweifelnd an. Von der ganz schnellen Sorte..., dürfte das sein, was ihm gerade durch den Kopf geht.
Dann wendet er seine Aufmerksamkeit wieder Liz' Smartphone zu. Er betrachtet das Bild und scheint irgendwann eigentlich nicht mehr ansprechbar, bis die Besitzerin ihr Eigentum zurück fordert. Darauf reagiert er jedoch auch nur mit einem Schnaufen bei erhobener Hand.
Zynisch lächelnd beuge ich mich schlussendlich nach vorne und sehe ihm von der Tischkante aus in die Augen. "Was ist denn? Is doch nur 'n Bild..." Da kommt mir ein weiterer spontaner Einfall: "Moment! So sieht also jemand aus, der auf Kunst steht! Dann ist das Mysterium ja geklärt!", scherze ich auf ihn zeigend, worauf er ein Murren von sich gibt und mich herablassend von oben anstarrt.
War wohl doch keine so gute Idee!Ich bin auf alles gefasst; ein fieser Spruch, ein Blickduell, ein verächtlicher Laut, dass er sich abwendet, er aufsteht und geht - obwohl... das ist nur Wunschdenken - dass er Liz ihr Handy wieder gibt und wieder auf seinem Stuhl gammelt, dass er mich in irgendeiner peinlichen Art und Weise bloßstellt... wie gesagt: auf alles, außer auf das, was passiert.
Kurz später wendet er sich nähmlich wieder dem Handy zu und beginnt zu reden:"Ich finde das Bild echt cool und kann den Ansturm vorhin jetzt tatsächlich verstehen, aber irgendwie kapiere ich nicht, was dieses Skandalgerede soll. Ich finde, es sieht aus, wie gefallener Engel: Göttlich und dennoch im Sterben. Einsam in einer wilden Landschaft, die nur so trieft von Melancholie. Ich finde, es ist ein Bild des Gefühls, nicht des Skandals. ... Was denkst du?"
Im Versuch, mir nichts anmerken zu lassen, hatte ich bis jetzt den Kopf etwas gesenkt und hebe ihn überrascht, als er mich anspricht.
"Wieso sollte ein Künstler unseres Alters einen Skandal als Motiv wählen? Das ergibt für mich keinen Sinn. Daher muss ein Denken in diese Richtung durch den Eindruck von Blut entstanden sein. Vielleicht denken einige einfach, dass ein Mord dargestellt wird, was mir irgendwie beim Betrachten des Bildes ausgeschlossen scheint ist-... Sorry, ich denke wieder viel zu analytisch."
Beim letzten Satz zucken meine Mundwinkel nach oben und er guckt sogar noch grimmiger. Dann starrt er wieder das Bild auf dem Handy an.
"Vince, Handy weg!" ...
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Das Geheimnis der drei Bücher
RandomDrei Bücher, sieben Geheimnisse, Gedankenleserei und zu viele Wesen, die eigentlich nicht existieren sollten - und sie mittendrin: Carolin, ein eigentlich unauffälliges Mädchen, vermeidet näheren Kontakt mit den meisten anderen Schülern und versucht...