25 - Freigesprochen

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"Was willst du damit sagen?", frage ich, merke aber leider sogar selbst, wie ich innerlich dicht mache.

Beruhigend hebt Kurama die Hände. "Nichts, ich denke nur, dass sich an dem Tag irgendwas geändert hat. Du hast entschieden etwas offener zu sein und warst deshalb für mich besser zugänglich," meint er beschwichtigend mit vor Schreck geweiteten Augen. Hat er wirklich solche Angst, ich könnte mich wieder verschließen? Aber: Moment! Wenn ich einige der wenigen bin, die er nicht sofort hören konnte, bin ich dann sowas wie ein Versuchskaninchen?! Ist er nur deswegen an mir interessiert? Weil er seine Fähigkeit erforschen will? Natürlich würde ich auch darüber nachdenken, aber doch nicht so. Ich hasse Hintertücke. Was, wenn er wirklich nur auf nett tut? Und was, wenn er eigentlich nicht nur mit jemandem interagieren kann, sondern auch seine Gedanken manipulieren? Was, wenn ich bereits von ihm gesteuert werde? Kam er deshalb gerade im richtigen Moment? Sagt er die Wahrheit oder will er mich das nur glauben lassen?

"Nein, bitte nicht," höre ich es erstickt von Kurama. Als ich aufsehe, bemerke ich , dass er seinen Kopf in den Händen vergraben hat. Seine Körperhaltung ist geknickt und alles in allem wirkt er am Boden zerstört. Etwas übertrieben, wenn man mich fragt, vor allem, weil Kurama bisher immer so ruhig und duldsam gewirkt hat. Ist das jetzt also doch Manipulation?

Immernoch sitzt er auf seinen Schienbeinen, aber anders als bisher ist sein Rücken gekrümmt, ohne jede Spannung. Er wirkt verzweifelt, fast schon am Boden zerstört, aber das passt so wenig zu seinem ganzen Wesen, dass ich Probleme damit habe, ihm das abzukaufen. Wenn das aber tatsächlich das ist, wie er sich in Wahrheit gerade fühlt, dann... Ich könnte mir nicht verzeihen, ihn so im Stich gelassen zu haben. Selbst, wenn das hier alles eine Täuschung sein sollte, ist dieser Moment für mich echt. Er ist etwas, an das ich mich erinnern werde und das ist, was für mich zählt. Selbst wenn er abgrundtief Böse sein sollte, könnte ich zumindest ein gutes Bild von ihm behalten.
Das ist ein Gedanke, den ich schon länger verfolge: Wenn ein Mörder stirbt, so zornen ihm bereits seine Opfer, aber seine Komplizen und seine Familie, wie verändert sich deren Bild dieser Person? Kann man jemanden noch nach seinem Tod lernen, zu hassen? Stellen wir uns vor, seine Familie kennt ihn nur gutmütig und liebenswert - sollte man ihnen dann dieses Bild nicht auch lassen? Wenn ich einer unwissenden Frau und ihren Kindern irgendwann sagen müsste, dass ihr Mann als Mörder starb und ihr noch dazu meine Vorstellung seines Charakters über Details, die an dem Ergebnis dennoch nichts ändern, aufzwinge, dann ist nicht er das Böse, sondern ich. Zumindest war so mein Gedankengang.
Natürlich hat dieser Gedanke noch reichlich Lücken und ist vielleicht auch nicht ganz logisch: Ich würde bestimmt gefragt werden, ob ich denn jeden in guter Erinnerung behalten wollen würde, der sich als jemand anderes herausgestellt hat, ob ich so nicht auf jeden reinfallen könne, oder, ob ich es nicht falsch fände, einen Mörder nicht schlecht zu finden. Aber ich finde es absolut logisch, jemanden so gut es geht in guter Erinnerung behalten zu wollen. Denn auch wenn sie über ihren wahren Charakter hinweg getäuscht haben, so haben sie doch Mühe in ihren Gegenüber gesteckt. Dieserl Person muss ihnen wichtig genug gewesen sein, um ihr ein falsches Bild zu präsentieren. Für mich ist jede Person es Wert, sie nach ihrem Tod vor Urteil zu schützen. Niemand kennt das wahre Ich dieser Person; sie beurteilen nur eine Facette seiner selbst, eine Maske, die eigentlich keinen Charakter haben dürfte. Und doch wird er über eine Tat definiert. Als böse definiert. Niemand wird mir mein Bild eines Toten nehmen!
Für's Erste wird Kurama genau der für mich bleiben, der er aktuell ist. Sollte sich das Gegenteil herausstellen, so ist der alte Kurama für mich ein Toter und der neue ein Feind, den ich hoffentlich aus meinem Geist werde fern halten können.

Kurama, ich weiß, das du gerade alles gehört hast - und das ist gut so! Ich vertraue dir, bis du mir höchstpersönlich dieses Vertrauen nimmst, kapiert?!

Kurama starrt wie paralysiert auf seine Hände, die sich mittlerweile einige Zentimeter vor seinem Gesicht befinden. Sein verweintes Gesicht wirkt viel zu gerötet im Vergleich zu seiner leichenblassen Haut und seine Augen sehen aus, als würden sie gleich zu zittern anfangen. Er scheint nicht an das zu glauben, was ich gerade gesagt oder eher gedacht habe, also lege ich meine Fingerspitzen auf seine Handfläche. Letztenendes habe ich vielleicht nur seine Finger umschlossen, aber das ist mir egal. Mir ist gerade alles egal - nur Kurama zählt und das soll er auch wissen.
"Vielleicht bin ich zu naiv, aber du hast mein Vertrauen - und wirst es auch nicht so schnell los," sage ich mit allem Selbstbewusstsein, das ich aufbringen kann und drücke seine Finger. "Du wirst mich so schnell nicht los."

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt