32 - Deshalb?

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Auch nach vier Versuchen geht immer nur die Mailbox ran. Immer Tut, tut, tut, meld dich doch später. Tut, tut, tut, meld dich doch später. Tut, tut, tut, meld dich doch später...
Man, wie mich das ankotzt!!

Irgendwann reicht es mir und ich sage Vince, ich wäre nochmal kurz weg, bevor ich mich auf mein Rad schwinge und zu meinem Onkel fahre. Er ist der Bruder meines Vaters und deshalb zurzeit der perfekte Ansprechpartner.

* * *

Ein paar Kilometer, dreimal Klopfen, einmal warten und genau sechsundzwanzig Stufen später finde ich mich in Davids noch sehr geräumigen Neubaus wieder, der mich immernoch offenkundig verwirrt fixiert.

"Kakao? Tee?", fragt er, schaltet auf mein Achselzucken hin den Wasserkocher an und kommt mit zwei Tassen Tee zurück.

"Also. Was ist denn so wichtig, dass meine kleine Nichte mich an einem Freitag Abend um," er sieht kurz auf seine Armbanduhr, "halb elf besucht? Ich dachte, du hast Männerbesuch?"

Bitte was soll ich haben?! "Er schläft nur bei uns, weil er sonst nachts erfrieren würde. Außerdem kann Vincent sehr wohl auf sich selbst aufpassen," gebe ich zickig zurück. Er weiß doch garantiert schon, was ich von ihm will! Und überhaupt: Ich und Jungs? Eher friert die Hölle zu. Ich tue mir ja schon schwer damit, Vincent als Freund näher an mich ran kommen zu lassen.

David hebt abwehrend die Hände "Okay, okay, schon gut. Ist deine Mutter Zuhause?"

Deine Mutter. So nennt er sie immer, nimmt ihren Namen nie in den Mund, auch, wenn er mit ihr direkt redet. Als würde dann ein böser Geist erscheinen.
"Nein und genau deshalb bin ich hier." Ich mache eine kurze Pause und versuche, mir meine Worte zurecht zu legen, allerdings ohne wirklichen Erfolg.
"Mama ist ständig weg. Wieso will sie so dringend jemand neuen finden? Ich verstehe das nicht. Und sowieso: Sie geht noch nicht einmal zu seinem Grab!" Toll, jetzt kommen mir doch die Tränen. "Und ihre Eheringe..." Ich unterbreche mich schluchzend, als ich daran denke. Dann krame ich in meiner Jackentasche. "Sie hat sie in den Kamin geschmissen!", schluchze ich und halte ihm die verkohlten Ringe entgegen. Ich konnte sie noch nicht einmal säubern, weil man dafür angeblich spezielle Chemikalien braucht, um sie nicht nachhaltig zu schädigen.

David holt tief Luft und nimmt darauf die Ringe aus meiner Hand, sitzt nur da und betrachtet die Ringe. Dann, ohne ersichtlichen Grund, steht er auf und zieht mehrere Schubladen aus dem großen Wihnzimmerschrank. Dann stellt er diese vor mir auf den Tisch und reicht mir einen der Ringe und ein Tuch.

Die nächste halbe Stunde vergeht stillschweigend. David nimmt sich eine Flasche, ich nehme genau so eine. Er putzt, ich putze. Er nimmt die nächste, ich tue es ihm gleich. Zuletzt nimmt er eine Tube, von der es nur eine gibt und streicht vorsichtig den dünnflüssigen Inhalt auf den Ring. Irgendwann streckt er die Hand aus und macht mit dem von mir weiter. Gedankenverloren beobachte ich seine Hände dabei, wie sie diese fremde Flüssigkeit auf dem Ring verteilt.

"Nimm es ihr nicht übel," höre ich ihn irgendwann murmeln.

"Wieso nicht? Sie verleumdet meinen Vater und will sich einfach einen neuen Mann schnappen! Das macht sie schon seit seinem Tod so!"

"Das ist ihre Art, damit umzugehen: Vergessen." Ich sehe ihn ungläubig an. Man vergisst dich nicht einfach den Mann, den man liebt!

"Sie kann es nicht akzeptieren. Sie hat Angst davor. Deshalb ignoriert sie diese Tatsache einfach."

Diese leisen Worte sind es, die mir auch Stunden später noch im Kopf herumschwirren...

* * *

"Schlaf doch einfach!"

"Wenn ich das könnte würde ich!"

"Und warum ,bitte, kannst du das nicht?!"

Ohne ihm eine Antwort zu geben, drehe ich mich um. Ob sie jetzt schon bei ihn Zuhause sind? Bestimmt, ist immerhin schon fast eins. Oder lieber ein schickes Hotelzimmer? Von wegen, damit nicht umgehen können. Sie will ihre Vergangenheit bewusst hinter sich lassen. Papa gehört nicht mehr in ihre Welt und ist damit vom Teller - er interessiert sie schlicht nicht mehr.

Vincent seufzt hinter mir. "Wenn du..." Er bricht ab und setzt sich auf.

"Was?", gifte ich. Wenn er jetzt sagt, was ich denke, dann bin ich weg!

Aber Vincent sagt nichts mehr. Stattdessen steht er von seiner Matratze auf. Ich will mich schon umdrehen, als ich merke, wie die Matratze meines Bettes such hinter mir absenkt.
Panisch rücke ich in Richtung Wand. Nein! Du weißt, dass ich da Platzangst bekomme! Überhaupt, man legt sich doch nicht einfach zu irgendwem ins Bett!

"Ist ja gut, ich sitze!"
Sitzen. Das ist gut. Das heißt, er wird mir nicht näher kommen, solange ich nicht auf ihn zukomme.

Ich drehe mich auf den Rücken. "Was ist?"

Das Lächeln in seinem Gesicht - das scheinbar schon die ganze Zeit da war - wird noch ein Stück breiter.

Langsam nervt's, schnaube ich innerlich.

"Carolin, ich will gar nicht, dass du mir erzählst, was los ist - nicht, wenn du das nicht willst. Ich kann das verstehen, wirklich." Als er mich jetzt anlächelt wirkt er traurig. Innerlich fertig und so zerbrechlich, dass ich zu dem Schluss komme, dass das, was ich hier veranstalte ein solches Affentheater ist, dass er mich eigentlich schon längst hätte auslachen müssen.

Aber das tut er nicht. Er ist hier und versucht, mir zu helfen. Dem Mädchen, dass weint, weil ihre Mutter versucht, nach dem Tod ihres Mannes wieder glücklich zu werden.

"Caro..." Wieder dieses Zögern. Will er mich jetzt doch noch ausquetschen?
"Ich muss dir was sagen. Ic-"

Schnell unterbreche ich ihn: "Musst du nicht. Jeder hat seine Geheimnisse und das ist gut so." Trotzdem gute Strategie, Vince. "Also chiao. Schlafen kannst du ja wohl ohne mich."

Er funkelt mich zwar aus den Augenwinkeln an, sagt aber nichts weiter zu meinem mutigen Ablenkmanöver.

"Leg dich wieder hin. Ich stör' dich schon nicht," versuche ich es noch einmal.

Als er darauf immernoch nicht aufsteht drehe ich mich einfach wieder auf die Seite. Kurz darauf merke ich, wie sich die Matratze hinter mir wieder hebt. And the winner is...CAROLIN!

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt