28 - Heimweg

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"Also, sind die Beiden alte Kameraden von dir oder...," fragt Vincent gerade verächtlich. Das Thelepathen 1x1 hat Kumba auch ihm kurz erklärt, aber Vince war zu stur ihm zuzuhören und lässt es sich daher wohl lieber später von mir erklären.

"Nein, leider nicht, sonst wüsste ich viel mehr über sie. Ich kenne nicht einmal ihre vollständigen Namen, habe nur davon gehört, dass sie mich verfolgen und hin und wieder ihre Präsenz bemerkt."

In dem Moment schnaubt Vince verächtlich. "Gehört," murrt er unzufrieden und ermahnt Kumba, nicht zu lügen. Darauf weiß wohl auch Kurama keine zufriedenstellende Antwort, denn sie zanken - entschuldigung, sie bekriegen sich natürlich - noch weiter, während ich mich aus dem Schneidersitz nach hinten sinken lasse und den Wolken dabei zusehe, wie sie vorbei ziehen. Dabei fällt mir auf, dass die Wolken aus Vincents Erinnerung rekonstruiert sein müssen, denn ich erkenne alle Formen, die ich vorhin darin gesehen habe, wieder. Das gibt mir ein Gefühl von Zeitlosigkeit, obwohl ich weiß, dass es mittlerweile bereits dämmern dürfte.

Irgendwann - um genau zu sein als dieselbe Wolkenfront zum siebten Mal über uns vorbei zieht - erscheint ein dunkler Haarschopf über mir. Fast hätte ich mich zur Seite gerollt und wäre weggelaufen, aber ich erkenne rechtzeitig, dass es nur Vince ist. "Hey," lächelt er. Kumba ist also weg, schlussfolgere ich und setze mich auf.

"Hey," grüße ich zurück und setze ein Lächeln auf, das aussagt: Bin müde, können wir gehen?

Just in dem Moment verklärt sich meine Sicht, bis sie schließlich erst nebelweiß und dann rabenschwarz ist.

Ich spüre wieder einen Boden im Rücken. Einen kalten Boden. Als ich die Augen aufschlage, sehe ich allerdings auch nicht mehr. Es ist stockezappeduster, über mir leuchten vereinzelt Sterne und ein Arm ist beschützend um mich gelegt. Ein Arm... Um mich!!! Erschrocken weiche ich von der Person neben mir zurück, nur um im selben Moment festzustellen, dass ich Vincent dabei in den Bauch getreten habe. Das scheinbar mit einer Wucht, dass er sich stöhnend und seinen Bauch umklammernd krümmt.

"Entschuldige," flüstere ich in die Stille, während eine Dampfwolke in die kalte Nachtluft steigt. Erst da bemerke ich Vincents und mein eigenes Zittern. Fröstelnd setze ich mich auf und sehe mich in der menschenleeren Umgebung um. Die Baumkrone über uns raschelt in einer sachten Briese und das kalte, feuchte Gras unter uns ist platt gelegen. Als ich erneut aufsehe erkenne ich einzelne Sterne, die aussehen, als hätten sie such gezankt. Woran ich das festmachen kann? Sie liegen jeweils so weit von den anderen Sternen, wie nur möglich. Wie ein klar strukturiertes Netz. Sterne, die irgendwie alle zusammen gehören, aber dennoch immer so weit voneinander entfernt sein wollen, wie es nur geht. Wie Vince und Kumba, denke ich lächelnd, bevor ich wieder zu Vincent sehe.

"Tu nicht so, das hast du absichtlich gemacht," grollt dieser mich an, während er mir - nun ebenfalls sitzend - aus blau schimmernden Augen entgegen blickt.

Ich studiere innerlich noch seine Augen, als ich antworte: "Dann stell du nicht so an." Genauso grummelig, genauso ernst - und doch wissen wir beide, wie es gemeint ist. Schon erstaunlich, wie schnell sich zwei Menschen an einander gewöhnen. Noch vor wenigen Tagen, vielleicht zwei Wochen, war ich schon von seiner bloßen Anwesenheit genervt, während ich mittlerweile auch in seiner Gegenwart entspannen kann.

"Vince, sei ehrlich," fange ich auf dem Heimweg an und will eigentlich fragen, was der Grund für sein mieses Verhalten Kurama gegenüber ist, sehe dann aber, wie er sein Gesicht leicht verzieht. Wohl nicht das beste Thema. Egal, hab ja noch zwei andere auf Lager, denke ich schadenfroh.

"Was denn?", fragt er da mürrisch. Seine Stimme trieft nur so vor Unmut. Und trotzdem redet er mit mir! Wir machen Fortschritte! Mein inneres Lachen scheint irgendwie nach außen zu dringen, denn er sieht mich verwirrt an und versucht sich dann ebenso unwillig wie zuvor an einem kleinen Lächeln, das ihm mehr schlecht als recht gelingt.

"Wieso schicken deine Eltern dich einfach so in eine neue Schule und wundern sich dann noch nicht einmal, wenn du sie nicht anrufst? Machen sie sich denn gar keine Sorgen? Oder ist ihr Vertrauen in dich so riesig, dass sie denken, das nicht zu brauchen?" Und das ist erst der Anfang. Jedes Mal, wenn er mit den Schultern zuckt bringe ich ein neues Argument hervor, aber als ich fertig bin erklärt er mir drei simple Dinge:
Die Nutzung des Festnetz-Anschlusses ist unmöglich, da die Hauptleitung durch ein Loch unterbrochen wurde.
Seine Eltern haben ihn schon immer sehr viel allein gelassen und er bezweifelt, dass sie wegen eines kleinen Umzugs nun ständig da wären.
Umgezogen sind sie schon oft, aber seine Eltern haben seit er dreizehn ist nicht mehr verlangt, dass er ihnen andauernd schreibt oder sie anruft.

Tja, und damit bin ich dann wieder bei der Frage, wieso er seine Eltern noch nicht angerufen hat. Er sagt zwar, er hätte es getan, aber ich habe im Telefonbuch nachgesehen. Die Nummer, die er angerufen hat, gehört einer Lucy Timm aus Frankfurt. Und Vincent heißt Wyonne. Selbst wenn seine Mutter seinen Vater nicht geheiratet hat, wäre sie ja wohl jetzt nicht einundzwanzig! (Ja, ich war auf ihrem Facebook Account, aber nur kurz!)
Ich verstehe einfach nicht, wieso Vincent sie nicht anruft. Was verschweigt er vor mir?

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