34 - Verständnis

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"Siehst du? Ihr Kleid ist soo schön! Irgendwann will ich auch so eins tragen!"

"Hast du denn schon jemanden, für den du es anziehen willst?"

"Nö, ich heirate einfach mich selbst. Auf mich kann ich zumindest immer zählen."

Auch nicht immer. Aber ganz schön erwachsene Gedanken für so ein kleines Mädchen.

"Und ich will, dass alle Gandamstyle tanzen!"

Und eine ganz schön untraditionelle Heiratsplanung.

"Echt? Wen lädst du denn ein?"

Als ob Katie sich dafür interessieren würde, wer da ist. Sie will nur ihren Spaß.

"Weiß nicht... Jeder der will!"

Jetzt muss ich trotz meines Missmutes lächeln.

Leider kontert meine Mutter ziemlich skeptisch: "Und woher wissen die alle, dass zu heiratest? Willst du deine Eltern nicht unbedingt dabei haben?"

Um ehrlich zu sein könnte ich Katie verstehen, wenn sie die beiden nicht bei einem Tanz im Gandamstyle sehen wollte.

Katie reagiert wie erwartet mit einem brummigen "Egal" und wendet sich wieder dem Puzzel auf dem Tisch zu.

Vincent neben mir betrachtet die beiden stirnrunzelnd, aber mit einem Lächeln. Mittlerweile wünsche ich mir schon, er würde einfach weiter hier wohnen. Zu meinem Pech schreiten die Bauarbeiten an der Durchbruchstelle des Hauses jedoch prächtig voran, sodass Vince bald wieder dort wohnen kann. "Freu dich schon Mal warm, bald bist du mich los!", hat er gewitzelt.

Ich vermisse dich jetzt schon.

"Ach quatsch. Wir sehen uns ja trotzdem mindestens fünf Mal die Woche."

Überrascht sehe ich auf. Shit, das habe ich laut ausgesprochen?!

"Nein, aber es ist offensichtlich, woran du denkst." Also doch!
"Gerade lynchst du dich dafür, deinen traurigen Blick nicht verbergen zu können." Naja, fast.
"Ich verspreche dir, was du willst, wenn du jetzt mit der Melodramatik aufhörst."
Bitte?!

"Melodramatik?!"
Vince nickt bestätigend.
"Stimmt ja gar nicht!" Wütend hacke ich auf den Apfel vor mir ein.

"Du zerhackst das Teil schon seit geschlagenen fünf Minuten! Drei sind schon viel, aber fünf?! Mal ehrlich, Caro."

"Stimmt gar nicht," murre ich mit einem Blick in Richtung der vier Schüsseln zu meiner Rechten. Alle voll. Oh. Ups.

Mühsam verteile ich die restlichen Apfelstücke auf die jetzt überquellenden Schüsseln.
"Hast du eigentlich Mathe schon fertig?", fragt Vince mich, als er sich zwei der Schüsseln schnappt und mit mir zu Mama und Katie trägt.

"Nein, du?"

Das "Dankeschön, Carolin" meiner Mutter ignoriere ich und gebe Vincent eine der anderen Schüsseln, während ich mich mit meiner auf das Sofa neben dem Nachbarsmädchen plumpsen lasse.

"Ich hatte gehofft, du könntest mir helfen," kommt es von Vincent. "Ich komme mit dem neuen Thema noch nicht ganz klar. Außerdem hat Kura doch gesagt, er würde einige Zeit nicht mehr kommen. Solange wollte ich meine Materialien in Schuss bringen."

Kurama. Was er wohl gerade macht? Es ist immerhin schon drei Wochen her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.

"Carolin, woher kennst du diesen.. Kura noch gleich?" Sie spricht seinen Namen aus, als sei er das eigenartigste, was sie je gehört hat und mittlerweile macht mich das richtig sauer. Ständig diese verständnislosen Seitenblicke und die Nase rümpft sie mittlerweile auch. Dabei haben wir uns mal so gut verstanden.

"Kurama war im deutsch-japanischen Austauschprogramm unserer Schule. Seine Eltern wollten eigentlich hier her ziehen. Schade, dass es nicht geklappt hat, sonst könnten wir uns jetzt zumindest hin und wieder sehen."

Eigentlich habe ich den letzten Teil eher laut gedacht, aber meine Mutter antwortet trotzdem mit einem heuchlerischen "Sicher, das wäre bestimmt toll geworden". Dass ich den brandneuen Hohn in ihrer Stimme ganz offensichtlich heraushöre bemerkt sie nicht.
Ich weiß nicht, was zwischen uns ist, aber es fühlt sich an, als seien meine Mutter und ich Welten von einander entfernt.

Da es momentan sowieso nichts bringen würde, meine Mutter umstimmen zu wollen, wende ich mich direkt wieder an Vincent: "Also setzen wir uns gleich an Mathe?"

"Und Physik," erwidert er halb kauend, halb sprechend. Als ich zu ihm rüber sehe folgt dem letzten Apfelstück schon ein weiteres und ein zufriedener Ausdruck liegt auf seinem Gesicht.

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt