35 - Entscheidungsfreude

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"Sonst noch was?" Meine Stimme trieft vor Sarkasmus.

"Nein. Es reicht mir schon, wenn du für einige Zeit von der Bildfläche verschwindest," erklärt Menos dennoch. Es verwundert mich, wie entspannt er vor mir steht. Bisher hat jeder gezittert. Selbst die taffe kleine Caro würde das. Und dennoch sieht er mir einfach zu, als sei es das Normalste auf der Welt, mal kurz nicht menschlich auszusehen. Er muss schon einmal Kontakt zu einem von uns gehabt haben.

"Wozu? Wirst du jetzt zum Massenmörder? Kinder bedrohen kannst du ja schon."

"Ach nein. Es ist einfach einmal an der Zeit, ein wenig auszuspannen. Ich will nicht, dass deine Wachen hier herum streunern wie kleine, dreckige Straßenköter. Gönn mir doch eine Woche Ruhe, dann kann unser Spielchen weiter gehen." Menos zieht kräftig an der Zigarette in seiner Hand und bläst mir darauf einen Schwall Rauch entgegen.

Leider weiß ich, dass es nicht bei 'ein wenig Ruhe' bleiben wird. Hätte ich auch nie vermutet. Menos würde sich nicht ohne triftigen Grund zeigen. Irgendetwas wichtiges muss vor sich gehen und es ist jetzt an mir, herauszufinden, was das ist, bevor es sich gänzlich meiner Kontrolle entziehen kann.

"Was willst du denn in der Zeit machen?" Ich erwarte keine Antwort. Eher erhoffe ich mir einen Anhaltspunkt von ihm - sowas wie einen unterschwelligen Selbstverrat - gleichwohl das sehr unwahrscheinlich ist.

"Nur einmal einkaufen gehen ohne deine Schatten im Rücken."

"Dafür brauchst du nur einen Tag."
Außer er redet nicht von Nahrungsmitteln.

"Lass mich raten: Du hast mich nicht Überwachen lassen, um mich jetzt zu verlieren," grollt Menos angriffslustig und doch erfolglos. Ich lasse mich weiterhin nicht beeindrucken - das wäre unter meiner Würde. Leider weiß ich auch, was Menos mir alles antuen könnte, wenn er es nur wirklich versuchen würde.

Als Menos Finger sich verkrampfen bin ich auf einen Einbruch des Bodens gefasst. Ich springe zur Seite, aber nichts passiert. Wohl doch nicht so mächtig, hm?

Provokant sehe ich zu Menos herab. Mittlerweile bin ich zwei Köpfe größer als er und Menos zeigt nichtmal den kleinsten Anflug von Angst. Stattdessen zieht sich jetzt sein linker Mundwinkel immer weiter nach oben.

"Du fürchtest dich? Der große Kurama fürchtet sich vor einem solch niederen Wesen wie mir?! Oh man, und du willst deine ganze Art schützen? Das will ich sehen!" Aus seinem Lachen ist weder Angst noch Respekt heraus zu hören - reiner Spott trieft aus seinen Worten und spiegelt sich in seinem zum Grinsen gewordenen Lächeln wieder. "Versteck dich in deinem Loch und ich zeig' dir, wie das geht," sagt er dann wieder angriffslustig in Normallautstärke.

Ich verschränke meine Arme und schließe meine Augen, was mich zugegebener Maßen einiges an Überwindung kostet. Dann schüttle ich tadelnd meinen Kopf. "Du denkst also wirklich, ich würde bereits all meine Kraft auf etwas so simples anwenden. Wie töricht von dir." Ich spreche leise, als ob ich nicht wollte, dass Menos es auch versteht. Er soll denken, er sei eine Spielfigur und keine Bedrohung. Allerdings muss ich zugeben, dass er für einen seiner Art eine immense Kraft besitzt und für mich nicht so ohne weiteres zu bändigen wäre.

"Also gut. Ich sage dir, was ich machen werde." Werde. Als ob er mich schon vertrieben hätte. Noch dazu dieser lächerlich arrogante Tonfall. Er redet, als sei es realistischer, um seine Gnade zu winseln.

"Ich werde bei einem Umzug helfen."

* * *

Das ist jetzt drei Tage her. Da ich so etwas großes nicht selbst entscheiden kann habe ich einen Rat einberufen, der über das weitere Vorgehen entscheiden soll.

Eigentlich sollte mir gefallen, wie ausführlich sie alle Möglichen in Betracht ziehen, doch das tut es nicht. Menos stuft sich bereits höher und wenn er jetzt sieht wie ich zögere, wird er in seinem Glauben noch bestärkt. Im Gegensatz zu uns hat er einen großen Vorteil, was das anbelangt; Je mehr er sich vertraut, desto stärker werden seine Kräfte. Und das darf ich einfach nicht riskieren.

Meine Leute haben noch immer Bedenken, was seine Intentionen betrifft. Sie befürchten alles mögliche und spinnen Fäden, so weit, wie ich alleine gar nicht hätte denken können. Dennoch sehe ich auch eine Chance in seinem Vorschlag.

"Ein tritt Kurama Moriata mit der Bitte, sprechen zu dürfen." Sage ich laut an, als ich sofort nach dem Klopfen die Tür zum Ratszimmer öffne. Nach Tag Eins der Ratssitzung war ich nicht mehr hier, was mir die letzten beiden Tage schon nicht geschmeckt hat. Immer nur die Protokolle zu lesen ist für mich keine echte Beteiligung.

"Moriata, was verschafft uns die Ehre?" Die Vorstehende blickt von ihrem Rednerpult aus auf mich herab, sieht mich jedoch nicht feindselig sondern sehr offen an.

Um wenigstens an ihren Brustkorb zu reichen, lasse ich mein Rückgrad ein wenig anwachsen , sodass ich insgesamt an Körpergröße zunehme. "Werte Vorsitzende, ich möchte heute einen Vorschlag vorbringen, der sowohl die weitere Überwachung des Subjekts als auch ein Eingreifen im Notfall ermöglicht. Ich teile eure Bedenken, erhoffe mir allerdings auch viel von den Informationen, doe wir aus dieser Aktion ziehen könnten." Ich gebe mir Mühe, möglichst unterwürfig zu klingen, doch immerhin bin ich Befehlshaber und rein gar nicht an die Entscheidung dieses Rates gebunden und das wissen wir alle.
Mit einem Nicken gibt sie mir die Aufforderung, zu sprechen und das tue ich dann auch.

"Nun, ist ein solcher Plan denn durchführbar?"

"Ja, absolut. Er ist jedoch mit dem Risiko verbunden, ein halbes dutzend unserer Spione zu verlieren. Viele von ihnen sind unentschlossen und könnten sich von uns abwenden, sollte unser Vorgehen bemerkt werden."

Man kann sehen, wie die Majoran mit sich ringt.
'Sechs. Das sind einfach zu viele, versteh das doch,' lässt sie mich gedanklich wissen.
Meine Antwort dürfte ihr nicht gefallen, denn mit Trotz in den Augen sehe ich auf und übermittle furchtlos: 'Sind es nicht.'

Ihre Augenbrauen schnellen nach oben bevor ich überhaupt den Mund aufmachen kann. "Das sind zu viele."

"Ich verstehe, doch die meisten von ihnen werden sowieso schon verdächtigt. Drei von ihnen sind bereits nicht mehr in ihre Angelegenheiten eingeweiht. Und die anderen stellen sich momentan auch nicht sonderlich geschickt an. Ich denke einfach, dass die gefährdeten Leute nicht zwingend erforderlich sind. Ich habe eine Liste angefertigt und in Kontext gesetzt. Nur um einen wäre es wirklich schade, wenn er ausgestoßen würde." Ich lege die Akte auf den Tisch der Vorsitzenden Majoran und verlasse den Raum mit einem "Ich erwarte Ihre Antwort".

'Versprich dir bitte nicht zu viel davon.'

'Tue ich nicht. Ich will nur eine Entscheidung.'

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt