"Viiiiinceeeeennnt!!! Beweg' gefälligst deinen Hintern hier runter!"
Ich höre es rumsen. Dann ein Murmeln: "Scheiße, diese elende Sklaventreiberin..."
"Ich fahre dann schon vor!!", rufe ich und schließe die Haustür hinter mir.
Icb höre ihn fluchend die Treppe runter rennen und mit einem großräumigen Schwing der Haustür steht ein unordentlich gekleideter Vince vor mir. Er will schon gehetzt an mir vorbei rennen, kommt dann aber ruckartig zum stehen und starrt mich böse an. "Verdammte Mistkuh, hast du eine Ahnung, wie früh es ist?!", giftet er mich an und sieht dabei vielsagend auf die Uhr an meinem Handgelenk.
"Fast halb sieben," antworte ich ohne auf die Uhr zu sehen. Ich bin schließlich die, die dich geweckt hat, Hirnie.
"Wenn du das weißt, wieso, in Gottes Namen, WECKST DU MICH DANN?!"
Ich laufe bereits in Richtung meines Fahrrads, als mir auffällt, dass er tatsächlich nichts zu wissen scheint. "Hatte ich dir das nicht erzählt? Wir treffen vor der Schule noch jemanden," erkläre ich stirnrunzelnd und erwarte eigentlich, dass er sich gleich an die Stirn fasst und entschuldigend murmelt, er habe es vergessen, aber das passiert nicht.
Verdattert sieht er mich an. "Wen denn bitte?"
"Das siehst du, wenn wir da sind," erwidere ich grinsend und schwinge mich auf mein Rad. Sofort trete ich in die Pedale und fahre in - für mich - gemäßigtem Tempo voran, während von Vincent wüste Beschimpfungen zu mir herüber wehen.
* * *
"Und jetzt?", fragt Vince gelangweilt.
"Er ist bald da."
"Wann ist bald?"
"In ein paar Minuten."
"Wie viele Minuten?"
"Mensch, Vince! Ich weiß es doch auch nicht!"
...
"Na gut.""Ja, gut."
"Auf wen warten wir?"
"Siehst du gleich."
"Kannst du's mir nicht jetzt schon sagen?"
"Nein." Ich trinke einen Schluck von meinem lauwarmen Kakao und starre weiterhin auf die Tür hinter Vincent. Sera, wo bleibst du? Du hast es doch versprochen!
"Warten wir nicht schon etwas lange? Oder dachtest du, ich sei so lahmarschig, dass wir nicht rechtzeitig hier gewesen wären?"
"Gar nichts dachte ich! Sie kommt schon noch!"
"Sie?"
"Ja, sie."
Vincent seufzt und vergräbt die Hände noch weiter in den Taschen seiner Bomberjacke, die ja eigentlich meine ist.
"Ist dir nicht kalt?", fragt er dann."Nein. Meine Jacke ist recht warm." Außerdem ist mein Kakao schön warm.
Stillschweigend sitzen wir uns gegenüber, während um uns herum bunte Blätter mal langsamer, mal schneller zu Boden sinken. Ein Windzug weht mir meine Haare ins Gesicht. Sie verheddern sich im Reisverschluss meiner Jacke und ich habe Mühe, sie wieder daraus zu entfernen. Einmal trägt man die Haare offen...
Ich zupfe weiter an meinen Haaren herum, während Vince vor sich hin gluckst. Irgendwann reicht es mir und ich ziehe die letzte Sträne mit Gewalt heraus."Ob ich lieber wieder gehen sollte? Du wirkst geladen," höre ich eine Stimme von rechts. Und da ist sie: "Sera! Wo warst du denn?!", rufe ich freudig aus und laufe auf sie zu. Eine kurze Umarmung - mehr ist nicht drin, das weiß sie - und einmal Vorstellen später sitzen wir alle drei am Tisch.
"Also, du bist Vincent mit den Loch im Wohnzimmer?", fragt Sera jetzt.
Überrascht sieht Vince mich an, während er gleichzeitig mit "Ja" antwortet.
"Wird da nicht alles gestohlen? Sowas wie der Fernseher et cetera?"
"Nein, oder zumindest noch nicht. Die Polizei hat das Loch mit Baufolie verklebt. Ich denke, das schreckt die Leute ab. Sieht aus, wie 'ne Tatortabsperrung," erklärt Vince gelassen lächelnd.
Sera lächelt zurück, scheint aber gedanklich bereits bei einem anderen Thema zu sein. Als Vince weiter ausführt, er übernachte bei einem guten Freund, müssen wir uns jedoch beide kringeln.
"Der ist echt gut, Caroline! Kannst du ihn bitte behalten? Das ist ja herzerwärmend!", strahlt sie mir entgegen. Carolin. Ohne E., korrigiere ich bei mir.
Vince dagegen scheint weniger erfreut. Missmutig murmelt er, das habe geklungen, als sei er ein Haustier. Dann nimmt er einen großen Schluck von seinem Kakao.
"Vincent, vielleicht sollte ich Sera nochmal richtig vorstellen," ich setze meine Tasse ab und deute auf Sera. "Das hier ist Serafina Hess. Wir kennen uns von Geburt an, weshalb sie für mich wie eine jüngere Schwester ist. Sie weiß so gut wie alles, was bei mir passiert - du brauchst dir also keine Sorgen machen, dich in ihrer Gegenwart irgendwie zu verplappern. Sie weiß so oder so schon, dass du im Moment bei mir wohnst."
Verdattert sieht Vincent Sera an: "Achso... Wenn das so ist weißt du ja sicher auch von Kurama??", fragt er vorsichtig. Wartet ihre Reaktion ab. Scheiße! Zum Glück ist Vince nicht gleich auf die vollen gegangen! Natürlich habe ich Sera nicht von einem Thelepathen und meinem Kontakt zu ihm er zählt! Für wie blöd hält er mich denn bitte?!
Ich versuche, Vincent mit den Augen zu signalisieren, dass er nicht weiter reden soll, erhalte jedoch keinerlei Reaktion. Merkt er's nicht oder ignoriert er mich??
"Ja, schon, aber nicht sonderlich ausführlich. Erzähl mir von ihm," beginnt die Schrechensherrschaft meiner Schwester im Geiste ohne dass ich irgendwelchen Einfluss darauf gehabt hätte.
"Ach, was weißt du denn schon?"
Misstrauen. Das ist gut, er scheint doch zu merken, dass Sera keinen Plan hat, wovon er redet."Ich bin nicht sonderlich gut darin, Dinge auf den Punkt zu bringen," erwidert Sera.
Vincent sieht auf sein Handy. "Ist okay, die erste Stunde fällt bei uns heute aus."
Frustriert seufzt Sera. Ihr unzufriedener Blick schweift zu mir, ihre Lippen beginnen sich zu kräuseln und ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen. Wie ein bockiges Kleinkind. Ich lache in mich hinein. Erst leise, dann lauter. Vincent, du Schwein! Du bist echt zu fies!
Murrig sieht Sera mich aus den Augenwinkeln an. "Wer ist Kurama?", fragt sie mich beleidigt.
Als ich nur mit der Hand wedle und krampfhaft versuche, mit dem Lachen aufzuhören, springt Vince gnädiger Weise für mich ein: "Niemand. Ich wollte dich nur ein wenig ärgern."
Seine Worte beruhigen mich ungemein, sein spitzbübisches Lächeln jedoch lässt mein Lachen augenblicklich verstummen. Vielleicht ist 'Männerbesuch' doch nicht der falsche Ausdruck?
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Das Geheimnis der drei Bücher
RandomDrei Bücher, sieben Geheimnisse, Gedankenleserei und zu viele Wesen, die eigentlich nicht existieren sollten - und sie mittendrin: Carolin, ein eigentlich unauffälliges Mädchen, vermeidet näheren Kontakt mit den meisten anderen Schülern und versucht...