17 - Treffen

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Den Rest des Tages hat Vince so getan, als ob er unsere Auseinandersetzung komplett vergessen hätte. Er ist mir zwar weiterhin auf Schritt und Tritt gefolgt wie ein kleiner Schoßhund, hat mich aber nicht mehr angesprochen.

Gerade sitze ich im Bus und sehe Liz und ihrem Freund Jonathan dabei zu, wie sie sich voneinander verabschieden. Niedlich... naja, zumindest wenn man außer Acht lässt, dass sie sich spätestens morgen früh wiedersehen. Hoffentlich werde ich nicht auch so, wenn ich mal einen Freund haben sollte...
Als sie sich küssen drehe ich mich weg und schreibe nochmal meiner Mutter: Hey, Mama 🙃 Kurze Erinnerung: Ich bin bis heute Abend bei Liz. Ich schreib dich an, wenn ich auf dem Rückweg bin. 🙋♥️

"Na, Mutti beruhigt?", fragt Liz links immer noch überglücklich neben mir.

"Noch keine Antwort."

"Wollen wir eigentlich heute schon das Plakat machen?"

Plakat... Plakat... Ach, das! "Können wir. Hatten wir schon gesagt, welche Spezifikation wir nehmen?"

"Ne, aber das können wir dann ja noch gucken, oder?" Jetzt wirkt sie irgendwie abgelenkt.

"Sag mal, Liz, wie sind Jonath und du eigentlich zusammengekommen?" Irgendwie schien es mir bisher, als ob sie schon immer zusammen gewesen sind und ich habe nie viel darüber nachgedacht.

Daraufhin fängt Liz an, mich damit zu zu texten, wie toll ihr Jonathan - darauf legt sie besonders Wert und ist stets erbost darüber, dass ich ihn Jon oder Jonath nenne - doch ist und schon immer war. Irgendwo zwischen den Zeilen meine ich mitbekommen zu haben, dass Jonath Liz' Kindheitsfreund ist und sich ihre Beziehung im Laufe der Zeit daraus entwickelt hat. Noch ein Grund, wieso ich mir keinen Freund wünschen sollte: Nicht nur klammernd, sondern auch mit rosa Brille durch die Welt zu laufen ist echt nicht mein Ziel.

Der Nachmittag verläuft so ereignislos, wie nur irgend möglich und das ist auch gut so.
Mit Liz habe ich wirklich nie Streit, das scheint bei ihr auch irgendwie unmöglich, sie redet viel und ist dabei sehr fixiert auf ein Thema, was die Quintessenz viel kürzer als ihren eigentlichen Monolog macht, und merkt somit gar nicht, wenn jemand ihr nicht zuhört. Somit habe ich genug Zeit, für mich nachzudenken und genieße es, jemanden bei mir zu haben, der nichts groß von mir fordert, sondern einfach nur einen Zuhörer will. Jemand, bei dem sie über Gott und die Welt reden kann, ohne Kontra zu bekommen oder sich schämen zu müssen. Sie weiß, dass ich sie für nichts, was sie hier sagt, zur Verantwortung ziehen werde und ich weiß, dass ich bei ihr so abwesend sein darf, wie ich will, so ausfallend sein darf, wie ich will, ohne dass sie Böse auf mich ist. Wir wissen eben beide, dass der andere uns nie ins Bockshorn jagen würde, dass egal, was wir tuen, es keine Konsequenzen für unsere Freundschaft oder sonst irgendwas haben wird und das tut wirklich gut.

Auf dem Nachhauseweg entscheide ich mich, nicht den Bus zu nehmen. Dennoch schreibe ich Mama: Bin auf dem Weg, könnte aber länger dauern, als sonst.

Es ist bereits zehn, der Himmel ist ungewöhnlich dunkel und lässt so die Sterne heller wirken. Als ich mich nochmal zu Liz' Elternhaus umdrehe, sehe ich einen Schatten auf dem Dach des Carports, der sich gerade unter einem hell erleuchteten Fenster hinweg duckt und geradewegs auf Liz' Fenster zusteuert. Ich pfeife leise und winke. Zuerst erstarrt Jonathan, doch dann erkennt er mich und winkt zurück. Dann klopft er ebenso leise wie ich gepfiffen habe an das Fenster, welches sich kurz darauf öffnet und Jon hereinschlüpft. Als sich küssen drehe ich mich wieder weg und laufe in Richtung meines Hauses los.

Was machst du denn noch?, fragt Mama.

Nichts, ich schaffe nur den letzten Bus nicht mehr, schreibe ich, füge dann allerdings noch an: Ich laufe - bald da. 😙

Ich liebe Nächte wie diese. Kühl, ruhig und entspannend. Selbst die Luft scheint komplett anders zu sein... besser, denn sie riecht so gut, wenn es dunkel ist!

Ich laufe an der Bundesstraße entlang und genieße die kühle Nachtluft und die himmlische Ruhe. Das ist genau die Richtige Uhrzeit; kein Auto in Sicht und ein wunderschöner Himmel über der friedlichen Landschaft.
So kann es gerne immer sein.

Gestört wird dieses Erlebnis nur von meinem Telefon: Soll ich dich abholen?, fragt Mama.

Nein, schon gut, ich laufe gerne.
Damit stecke ich mein Handy wieder ein und richte meinen Rucksack. Wirklich was geschafft haben Liz und ich nicht. Weder das Plakat noch die Aufgaben für morgen sind fertig. Zum Glück sind die erst in der sechsten Stunde gefragt, sodass ich sie während der Pausen schnell fertig machen kann.

"Hey," höre ich es plötzlich von rechts und springe kurz aufschreiend zur Seite. Das mache ich allerdings schnell rückgängig, weil ich dadurch auf der Fahrbahn gelandet bin.
An die Bushütte gelehnt sehe ich eine Person, die nicht unwesentlich größer ist als ich es bin. Ich überlege schon wegzurennen, als die Person sich zu mir dreht und mich mit strahlend blauen Augen ansieht. Wow, dass man die selbst in der Dunkelheit sieht... Der Typ in Jogginghose und losem T-Shirt trägt eine braune Bomberjacke von Review. Meine braune Bomberjacke von Review.

"Hast du den letzten Bus nicht gekriegt?"

"Der kommt gleich erst," antwortet Vince emotionslos und kalt. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.

"Dann ist ja gut." Ich will gerade weitergehen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spüre.

"Was?" Man hört, dass ich im Moment eigentlich nichts von ihm will außer dass er mich in Ruhe lässt.

"Wo musst du hin?"

Ich überlege, ihn anzulügen oder einfach nichts zu sagen, entscheide mich jedoch dagegen: Ich sage ihm gerade heraus, dass ich nach Hause laufe. Als er dieses Wort hört tritt ein minimaler Ausdruck von Mitleid in seine Augen und er will gerade zu sprechen ansetzen, als ich ihm meine Busfahrkarte ins Gesicht klatsche - Okay, eigentlich halte ich sie ihm nur in Augenhöhe, aber ich kann mich ja auch mal cooler darstellen, als ich bin... - und ihn böse anfunkle. "Guck gefälligst nicht so mitleidig," knurre ich, "Ich will laufen."

Damit drehe ich mich dann tatsächlich um und gehe.

Und höre kurz danach Schritte hinter mir.

"Was soll das werden?", schnauze ich ihn an.

"Wonach sieht's denn aus?", meint er desinteressiert und folgt mir weiterhin wie ein Schatten.

"Geh bitte."

"Tue ich gerade."

"Ich meine weg von mir."

"Und wenn ich nicht will?"

Es hätte so ein schöner Abend sein können. Wieso muss er jetzt hier sein?

"Bitte," wiederhole ich mit fester, aber abwertender Stimme. Wow, ich wusste nicht, dass ein solches Biest in mir steckt. Seit letzter Woche wird das immer extremer und dennoch steht eins fest: Ich mag mein neues Ich.

"Sag mal, warst du schon immer so?", fragt Vince.

"Geht dich nichts an," spucke ich und lege einen Zahn zu.

"Oh, du bist ja gar nicht so langsam, wie du aussiehst," ärgert er mich.

Ich bleibe stumm. Mein inneres Biest ist weg. Am liebsten würde ich mich jetzt in einen Kanninchenbau retten oder mich gleich begraben. Ängstlich tänzle ich neben Vince her, der mittlerweile zu mir aufgeschlossen hat und mich verwundert ansieht: "Alles okay?"

"Ja. Ja, alles in Ordnung," antworte ich schnell und leise. Zu schnell. Zu leise.

Darauf erwidert er nichts.
Stumm gehen wir nebeneinander her und ignorieren den jeweils anderen.

"Caro?", fragt Vincent nach einiger Zeit.

"Ja?" Meine Stimme ist ruhig und gefasst und doch klinge ich mutiger, als zuvor.

"Wieso hast du nach Telepathie gefragt?"

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt