Mir ist klar, wie irre das klingt. Als ob Stolz und Vorurteil sich in meinem Kopf verändert und ich mir neues Aussehen sowie Inhalt selbst ausgedacht hätte. Komplett geisteskrank eben.
Logische Erklärung? Nie gesehen.
Also doch nur eine halluzinogene Geisteskranke.Leider stimmt beides letzten Endes nicht, denn als ich auf dem Weg nach Hause meinen Block aus meinem Rucksack holen will, berührt meine Hand sofort ein leinartiges Gewebe. Nicht der Ernst!
Okay, ich könnte jetzt schwören, das Buch nicht eingesteckt zu haben, aber das hätten die Sensoren der Bücherei beim rausgehen eigentlich bemerkt und es wäre mir sofort wieder abgenommen worden. Außer es ist kein Büchereibuch... Hoffentlich bilde ich mir das alles tatsächlich nicht ein, sonst sollte ich mal die Nervenheilanstalt besuchen.
Im Endeffekt komme ich dann gar nicht mehr zu meinem eigentlichen Vorhaben, da ich die ganze Zeit überlege, ob ich das Buch hier raus holen sollte oder ob, falls ich tatsächlich so geisteskrank sein sollte, das zu komischen Blicken anderer Fahrgäste führen könnte.
* * *
An dem Buch vorbei greifend hole ich meinen Collegeblock raus und fange an, ein Gesicht auf die Pappe zu malen:
Sein schlankes Gesicht und die filigrane Nase sind schnell erledigt, ebenso der schlichte Mund, dessen schmale Lippen bisher immer angespannt gewirkt haben. Schwierig wird es bei Augen und Haaren. Weder den coolen braunorangen Ton bekomme ich wirklich hin, noch die spezielle Einrahmung des Gesichts durch seine weißen Haare.
Wie gestern trägt Kurama auf dem Papier ein verwaschenes, hellblaues T-Shirt sowie eine schwarze, lockere Lederjacke.Als ich das fertige Bild nochmal ansehe, wirkt es, als ob irgendwas fehlt, aber ich komme einfach nicht darauf, was es ist. Als meine Mutter mich dann von unten ruft, entscheide ich, das später zu machen, und schiebe den Block in das Register, das ich unter meinen Schreibtisch angebracht habe.
"Mama?", rufe ich, als ich die Treppe runter komme.
"Küche!"
Als ich eintrete landet eine Gabel fast in meinem Auge.
"Vorsicht!", quietsche ich und hebe meine Hände vor mein Gesicht."Oh, Entschuldigung. Alles okay?", fragt sie, während sie die Gabel immernoch in meine rechte Hand bohrt.
Ich ziehe meine Hand weg und streiche über die Stelle, an der die Gabel mich lieber hatte, als ich sie. Verstimmt brummend drehe ich mich weg und nehme mir auch eine Gabel.
"Welches willst du?"
Trotz meiner Frage, lade ich die Küchenstücke aus dem Kühlschrank auf zwei Teller und trage beide an den Tisch im Wohnzimmer, wo ich sie auf den Couchtisch abstelle."Such du aus," höre ich währenddessen hinter mir meine Mutter sagen.
"Das willst du nicht," meine ich und schiebe ihr das Stück Eierlikörtorte hin. Ich selbst nehme einen Möhren-Sahne-Kuchen.
"Danke für's mitbringen," meine ich abgelenkt.Vielleicht hat es etwas mit Kurama zu tun? Immerhin ist er Telepath, da sind weitere Fähigkeiten ja nicht soo unwahrscheinlich... Aber was bezweckt er damit? Und wenn er das war: Hat er das Buch in der Bücherei nur verschwinden oder auch erscheinen lassen? Will er, dass ich recherchiere oder nicht?
"Alles okay? Du wirkst so abwesend," fragt Mama, scheint jedoch keine Antwort zu erwarten. Umso überraschter ist sie, als ich die Gabel weg lege und anfange, ihr zu erklären, was mich bewegt, ohne mich als irren Psychopathen darzustellen.
"[...] Ich hab einfach Angst, mir dieses Mädchen in der Schule nur eingebildet zu haben. Weißt du? In der einen Sekunde redet sie noch mit mir und in der Nächsten ist sie wieder weg."
Zumindest nah an der Wahrheit.
Mädchen, Buch, Feder, Stein... ist doch alles dasselbe."Ach komm, sie musste schnell weg. Das ist alles," versucht Mama mir zu helfen.
Nach einiger Zeit der Stille fragt sie dann doch: "Was ist an ihr nicht wie bei anderen?"
"Außer der Teleportation?", erwidere ich nach kurzer Verwirrung. Das eindringliche Nicken meiner Mutter ist jetzt noch neugieriger.
"Weiß nicht, vermutlich gar nichts..."
Leider wissen wir beide, dass ich das schnelle Verschwinden eines Mädchens nicht ohne Grund derart auseinander nehmen würde, weshalb ich ergänze: "Ich glaube, sie war mir einfach sympathisch."Meine Mutter dreht sich unzufrieden brummend wieder zu ihrem Kuchenstück.
War wohl nicht die erhoffte Antwort.
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Das Geheimnis der drei Bücher
RandomDrei Bücher, sieben Geheimnisse, Gedankenleserei und zu viele Wesen, die eigentlich nicht existieren sollten - und sie mittendrin: Carolin, ein eigentlich unauffälliges Mädchen, vermeidet näheren Kontakt mit den meisten anderen Schülern und versucht...