37 - Verschwunden

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Der mittelgroße Mann mit raspelkurzen Haaren und Stoppelkinn sieht meinem Freund und mir aus moosgrünen Augen entgegen. Sein Ausdruck ist verbissen, bereit sich an unsere Fersen zu heften und ja nicht abschütteln zu lassen. Mit einigem Abstand zu ihm bleibe ich stehen, während Maltino sich einen Schritt hinter mich stellt. Er weiß, dass das wohl eigentlich als Gespräch für vier und nicht für sechs Ohren gedacht war, ignoriert diese Tatsache aber schlicht.

Der Wachmann räuspert sich. "Entschuldigen Sie, Herr Moriata, ich wurde angewiesen, Ihnen das hier zu geben." Er greift an seinen Rücken und holt einen dünnen Umschlag hervor. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Wer gibt denn bitte einen Brief für mich einfach an irgendeine Wache weiter??

"Von wem, wenn ich fragen darf?" Mein Ton ist misstrauisch, aber freundlich und das scheint bei dem Wachmann Panik auszulösen. Ich kann nicht sagen, ob es Angst vor mir, der Situation, Verlust der Arbeitsstelle oder eher vor dem unbekannten Absender ist, aber plötzlich weicht alle Farbe aus dem Gesicht des Mannes und ein flehentlicher Ausdruck liegt in seinem Gesicht. "Ich weiß es nicht!", krächzt er beinahe in Tränen ausbrechend und haucht nach Atem ringend ein "Es tut mir leid!"

Ich zeige keinerlei Regung, starre ihn nur weiter an. In mir herrscht absolute Kälte, als ich jetzt wieterhin misstrauisch den Umschlag öffne.
Zum Vorschein kommt ein dünnes Stück Papier, dass geradezu zwischen meinen Fingern zu Zerfallen droht. Es ist beidseitig bedruckt, wohl eine Seite aus einem alten Buch. Die Schrift jedoch lässt sich kaum entziffern, so verlaufen ist sie. Zusätzlich ist der Text auf Englisch, eine Sprache, die ich bis heute nicht wirklich beherrsche.

When the Saaw be -nein, Moment- When I saw the the scenery befire me, the moon... the stars... the sparkles in his eyes, every little sparkle, was gone.
Also eine Szene vor dem Hauptcharakter lässt jedwedes Licht verschwinden.
Everything was dark.
Ja, das ergibt sich. Wenn Licht weg, dann dunkel.
My eyes hurt, burned like fire. My stomach twisted and tears ran down my face.
Okay, Hauptcharakter komplett am Ende, weil wahrscheinlich der Geliebte getötet wurde oder sowas. Wieso schickt mir jemand sowas? Und was war nochmal ein stomach?

Ich halte das Papier gegen die Sonne, aber es sind weder Wasserzeichen zu erkennen noch gibt es eine Seitenzahl oder eine Überschrift. Ich stecke das Papier wieder in seinen Umschlag und will gerade noch einmal die Wache nach dem Absender fragen, doch er ist fort. Maltino hat ihn einfach gehen lassen?!

Als ich mich umdrehe, um ihn anzusprechen ist jedoch auch er weg. Suchend sehe ich mich nach meinem Freund um und warte eigentlich nur darauf, dass ich ein gelachtes "Hey, was machst du denn da noch, du Tagträumer?" höre. Doch es kommt nichts. Maltino ist nicht vorgegangen. Beide sind weg.

Verdattert rufe ich Maltino. Keine Antwort. Ich laufe den Gang entlang, doch auch die anderen Wachen sind fort. Es scheint, als sei die Burg komplett leergesaugt. sie wirkt kalt und leblos. Nicht einmal der Wind, bei dem wir früher immer dachten, es sei ein Wolf im Schloss, ist noch zu hören.

Verzweifelt renne ich durch das Gemäuer, auf der Suche nach irgendjemandem, egal wem, doch ich finde niemanden. Auch auf dem Feld ist keine Menschenseele in Sicht. Langsam fühlt es sich an, als sei ich ganz alleine auf der Welt. Das kann aber nicht sein.

Der Druck auf meinen Ohren, den ich vorher gar nicht wahrgenommen habe, nimmt zu. Ein Rauschen wird durch ein Piepen ersetzt.

Kraftlos lehne ich mich an eine Wand. Was kann das sein? Sinnestäuschung? War auf dem Papier irgendein Stoff, der das hier verursacht?? Dafür ist es eigentlich zu stark. Alle mir bekannten Mittel würden so effizient nur mit hoher Dosis wirken, das hätte ich dem Papier angesehen. Und weniger könnte nur Elemente hinzufügen, nicht aber aus meiner Wahrnehmung entfernen, wie hier der Fall.

Mein Kopf dröhnt mittlerweile so stark, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann. Meine Finger zittern auf dem Boden vor mir, auf den mich die plötzlich verflucht große Schwerkraft gezwungen hat. Ich knie hier wie ein Häufchen Elend und habe trotzdem noch keine Ahnung, was hier passiert. Wenn das so weiter geht bin ich tot bevor ich auch nur eine gute Vermutung aufstellen kann!

Irgendwann, als ich gerade aufgeben will, höre ich etwas. Ein Lachen. Verdammtes, glockenhelles Lachen!
Ich nehme alle Energie, die mir geblieben ist, all die Willenskraft, die ich sonst tief in mir verschließe und renne mit geballter Kraft in Richtung dieses Geräuschs. Das einzige weit und breit.

Ich brauche ungewöhnlich lange, den Gang entlang zu laufen und verfluche mich gerade dafür, das Laufen so lange für weiterführende Trainingseinheiten vernachlässigt zu haben. So etwas darf nicht passieren - nicht mir, nicht jetzt!

Ich laufe weiter, biege um eine Ecke, dem Lachen entgegen, stolpere. Meine Sicht verschwimmt und zwingt mich, mein Tempo zu drosseln. Ich schleiche fast schon an der Wand gestützt den Korridor entlang, als der Boden unter mir nachgibt. Ich spüre, wie ich kippe, als mein Gleichgewichtssinn zeitgleich mit meinen Muskeln den Geist aufgibt und bekomme nur gerade so mit, wie alles um mich herum schwarz wird. Dann falle ich. Bin ich durch eines der Fenster gestürzt? Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, gar nichts mehr zu wissen.

Ich versuche die Augen zu öffnen, doch es funktioniert nicht - sie sind es längst. Um mich herum ist alles schwarz. Ich weiß nicht, wie, aber ich spüre, wie sich die Geschwindigkeit erhöht, meine zu sehen, wie sich das Schwarz, das mich umgibt schneller bewegt. Und dann passiert es: Ich schlage auf.

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt