36 - Burg

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"Deine Entscheidung?"

"Wenn es nach mir ginge wären sie schon längst alle tot."

"Was hält dich davon ab?"

"Ein Rat, dessen Zustimmung mir fehlt."

"Was fragst du auch?" Maltino lächelt mich kopfschüttelnd an.

"Es ist mir nunmal wichtig, nicht als Herrscher, sondern Verteidiger aufzutreten."

"Herrscher?! Du bist mir ja einer!" Und schon wieder werde ich ausgelacht.

"Ich will nicht alles selbst entscheiden dürfen. Es geht immerhin um unser aller Schicksal."

"Ich sage auch gar nicht, dass das falsch ist. Es ist nur so, dass der Feind nicht die falschen Schlüsse aus unserem Zögern ziehen darf. Wir wissen doch, woher sie ihre Kraft beziehen." Sein Gesichtsausdruck vermittelt Nachsicht, doch wäre er nicht mein bester Freund wäre ich jetzt vielleicht wortlos gegangen.

"Und auch das könnte eine Finte sein! Wir wissen nicht, worauf wir uns da einlassen. Wenn ich anfange, sie zu bekämpfen, dann muss ich es such zu Ende bringen. Zusätzlich sind wir danach angreifbar," murmle ich stattdessen.

"Hm," kommt es nur von ihm, während er erneut sein Holster richtet.

Es ist ein unglaublich schöner Tag, eigentlich zu schön, um ihn in einer alten Burg mit dem Geruch von Schießpulver in jeder Ritze des Gesteins zu verbringen. Überall hört man Vögel zwitschern und immer wieder verweht eine sanfte Briese das Blattwerk der Ranken, die sich an die Südseite der Bug schmiegen und durch die Schussluken hin und wieder zu erahnen sind. Mit guten Augen lässt sich dort sogar das Gras, das auf dem unteren Teil des Gemäuers hinauf wächst und sanfte Wellen schlägt, erahnen.

Kurzentschlossen biege ich auf eine Treppe ab, anstatt unsere Mittagsrunde durch die Mauer zu vollenden. Schon nach ein paar Stufen streicheln Sonnenstrahlen mein Gesicht und die Kälte, die sich hier immer weiter in die Knochen der Soldaten schleicht weicht um ein paar Millimeter aus meinen eigenen. Ich schaue hinauf in den wolkenlosen Himmel und breite meine Arme aus. Langsam schließe ich die Augen und genieße dieses wunderbare Gefühl. Als ich den Blick eines Sicherungspostens bemerke, höre ich damit auf, mich zu sonnen und winke ihm zu. Verdattert hebt sich auch seine Hand und mein Lächeln wird noch breiter.

Ruckartig drehe ich mich wieder um und laufe gut gelaunt die Treppe runter, wieder zu Maltino, der am Fuß der Treppe bereits zu trippeln begonnen hat.
"Schnöseltheater," murmelt er und nimmt wieder seinen Laufschritt auf, sobald er mich sieht. Schnell hole ich zu ihm auf und lächle. "Du hättest auch mitkommen können, Grumpy."
Darauf erwidert er nichts. Stattdessen hält er seinen Schritt und starrt stur geradeaus. Für Maltino kommt es einer Straftat gleich, eine Patrouille nicht ordnungsgemäß und im Zeitplan zu absolvieren, was meinen Abstecher zu einer Schandtat macht.

Zum Ende unserer Runde nähern wir uns einer Gruppe von Soldaten. Schon von weitem erkennt man, dass sie getrunken haben. Feierlich heben erneut ein paar ihre Gläser und rufen: "Kailo Karrixis!"
Maltino neben mir verspannt sich. Diese Männer feiern einen Ratsbeschluss, auf den ich seit fünf Tagen gewartet habe.

"Alles okay?", frage ich mit leiser Stimme.

Bach kurzem zögern zischt Maltino: "Nein. Die tun ja gerade so, als wären die in Karrixis großer Schlacht dabei gewesen!"

Es ist schon komisch, meine Abreise wie einen Sieg zu feiern, da gebe ich ihm Recht...aber Karrixis Schlacht? "Jetzt übertreibst du ein wenig."

"Hey!", ruft einer.
"Muriata?", ruft ein anderer.
Dann rufen sie alle wild durcheinander entweder meinen Namen oder etwaige Begrüßungen. Ich bin also quasi gezwungen zurück zu grüßen und winke ihnen im vorbeigehen zu, schenke ihnen in meiner Großzügigkeit sogar ein kleines Lächeln - dass die sich nicht verarscht fühlen ist immer wieder erstaunlich. Maltino folgt mir ohne sie eines Blickes zu würdigen und wir gehen weiter unseres Weges.

Ich stoße ihm meinen Ellebogen in die Seite, worauf er ein Schnauben von sich gibt. "Lass das, du Promi," stupst er zurück. Leise lachen wir, als wir nun über eine schmale Brücke ins Innere der Burg laufen.
Kurz darauf sitzen wir unter zwei an die Brücke angrenzenden Bäumen.

"Was hast du jetzt vor? Holst du dir einen Pagen?"

"Witzig. Ich brauche keinen Sidekick."

"So war das gar nicht gemeint." Maltino sieht sich kurz prüfend um, beugt sich dann aber zu mir und flüstert: "Du hast doch auch schon von ihm gehört...?"

Verwirrt sehe ich ihn an. "Von wem denn bitte?"

"Na, hör mal! Was hast du eigentlich die ganze Zeit über hier gemacht?" Zweifelnd sieht er mich an, erklärt dann aber: "Es gibt einen neuen Pagen, der an seinem ersten Tag meinte, er habe keine Ahnung, was er hier soll, er wolle doch nur die Verwandlung lernen." Bei dem Wort 'Verwandlung' zog er eine Grimasse. "Er schleicht nachts an der Mauer rum und macht sich Notizen. Einmal soll jemand seinen Block an sich genommen haben, meinte später aber, er habe kein Wort verstanden, nur die Zeichnungen von Spinnen auf jeder zweiten Seite hat er erkannt." Maltino sieht mich vielsagend an, erklärt dann aber doch: "Er hat jede Spinnenart in der Burg festgehalten."

"Und wozu?"

"Das weiß ich leider nicht. Aber in seinem Zimmer brennt immer ein komisch bräunliches Licht. Die ganze Nacht über. Und dann wirkt er im Training so ungewöhnlich kampferprobt. Als wäre er kurz vorm Ritterschlag."

Das klingt in der Tat sehr eigenartig. Nur wieso habe ich davon nichts gehört? Soetwas sollte man doch mitbekommen!
Nachdenklich lehne ich mich an einen Baum, während Maltino sich wieder seinem Baguette zuwendet.

"Wieso denkst du, ich würde ihn mitnehmen wollen?", frage ich schließlich. Bei so komischem Verhalten müsste ich schon verrückt sein, ihm einfach zu vertrauen, oder?

"Hast du nicht zugehört?" Er wedelt mir mit der Hand vorm Gesicht herum, als wäre ich total plemplem. "Verwandlung lernen. Braunes Licht. Komische Notizen. Hört sich das nicht irgendwie vertraut an?"

Kurz zögere ich. Irgendwie klingt es schon bekannt, dann aber irgendwie auch nicht. Hmmm... Ich komm nicht drauf.
"Nein, wieso?"

Maltino schlägt sich die flache Hand mit einem Klatschen an die Stirn. "Man, der Typ ist ein Gestaltwandler!"

Oh.
...
Ooh! Scheiße, stimmt! Das hat Lyl doch mal erzählt: "Die Jäger unter den Wandlern zeigen außerordentliches Interesse an Insekten und anderem kleinen Getier." Das hat sie mir im Vertrauen gesagt, also sollte Maltino davon nichts wissen. Oder doch?

Ich sehe Maltino mit großen Augen an. "Meinst du wirklich?" Was sollte ein Jägerwandler denn hier wollen? Sucht er nach seinesgleichen?

Der zuckt nur mit den Schultern, steht auf und setzt sich wieder in Bewegung. Deutlich genug: Thema beendet.

Seite an Seite laufen wir jetzt schweigend durch die Burg. Jeder hängt seinen eigenen Gedanken nach, bis sich eine Wache aus ihrer Position bewegt, um auf uns zu zu kommen.

Das Geheimnis der drei BücherWo Geschichten leben. Entdecke jetzt