21.Kapitel: Aussprache

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[Sichtwechsel: Erzähler]

Auf dem Weg zu Jan, versuchte Nina sich ihre Worte ein wenig zurecht zu legen. Doch wenn sie noch einmal nachdachte wurde ihr klar, dass sie ohnehin alles wieder verwerfen würde, wenn sie Jan gegenüber stehen würde. Nervös knetete sie ihre Hände. Je näher sie dem Haus von Jan kam, desto mehr stieg die Nervosität in ihr auf. Obwohl sie sich sicher war, dass sie ihn zur Rede stellen wollte, hatte sie Angst vor der Antwort.

Nachdem sie nach dem, ihr viel zu kurz erschienenen, Weg endlich ankam musste sie sich überwinden, damit sie überhaupt erst die Klingel betätigen konnte. Als ihr Finger, der bis eben noch auf der Klingel geruht hatte, langsam hinunter sank, machte sich noch mehr Angst in ihr breit. Nervös kaute sie auf ihrer Lippe je länger sie wartete, desto mehr fürchtete sie, dass niemand da war, und sie sich um sonst überwunden hatte. Doch da hörte sie wie jemand die Treppe hinunter gepoltert kam und sich die Tür mit einem Ruck öffnete. Dies hatte so viel Lärm mit sich gebracht, dass Nina kurz zusammen zuckte, dann aber schüchtern zur Tür sah in der Jan stand und ihr geradewegs in die Augen sah. Seine Haare waren wild durcheinander, und seine Klamotten waren noch dieselben, wie gestern Abend. Anscheinend war er einfach ins Bett gefallen und hatte bis gerade eben geschlafen, denn seine Kleider waren alle samt zerknittert. Aufgrund der Tatsache, dass er so viel geschlafen hatte musste er eigentlich ziemlich fit aussehen, doch im Gegenteil, seine Gesichtszüge waren schlaff und es hatten sich deutliche Schatten unter seinen Augen gebildet. Sein Anblick ließ Nina erschaudern. Dennoch wollte sie das machen, wozu sie hergekommen war. „Hey“, flüsterte Jan schon fast und wollte Nina einen Kuss geben, diese blockte jedoch ab. Aber sie konnte riechen, dass Jan trotz der vergangenen Zeit immer noch eine ziemlich starke Fahne hatte. „Hey, wir müssen reden“, sagte sie so, dass ihre Stimme so fest wie möglich klang und sie das Zittern so gut es ging verbergen konnte.

Jans Miene verhärtete sich und er presst seine Kiefer aufeinander. Er war jetzt schon überfordert mit der Situation. Sein Kopf nickte leicht auf die Treppe, als Zeichen, dass sie hinauf gehen sollte. Nina lief Jan hinterher, der den Weg zu seinem Zimmer antrat. Nina versuchte während er sie nicht ansah, ihren Atem zu normalisieren. Sowohl ihr Herzschlag als auch ihr Atem hatten ihre Geschwindigkeit um einiges gesteigert, weswegen ihr ein kleines bisschen schlecht wurde.

In Jans Zimmer ließ Nina sich auf sein Bett fallen woraufhin er sich dicht neben sie setzte und seinen Arm um sie legen wollte, doch wieder blockte sie ab. Traurig seufzte er. „W-worüber willst du d-denn reden?“, fragte er, ebenfalls das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken, weil er gemerkt hatte, dass etwas nicht stimmte. Nina gelang es jedoch wesentlich besser, als ihm. Auch sein Herz schlug etwa dreimal so schnell wie normal und er fürchtete, dass Nina es merken könnte, und ihn deswegen für schwach halten würde. Das könnte er nicht ertragen, vor dem Mensch, den er so sehr liebte, als Schwächling dastehen!

„Kannst du dich noch an gestern Abend erinnern, als wir Draußen standen?“ Sie legte ihren Kopf schief und betrachtete ihn. Ein klitzekleines, fast unkenntliches, Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, eben weil es so wunderschön war. Bis Jan dann gestanden hatte, was er Andre und Cengiz vorhatten und die Stimmung zerstört war. „Ein bisschen“, antwortete er wahrheitsgemäß. „Aber nur in Bruchteilen“, fügte er noch schnell hinzu. Nina nickte uns betrachtete wieder ihre Hände die ihre Knie umschlossen. „Erinnerst du dich noch daran, was du mir gesagt hast?“, fragte sie. Nun konnte man hören, dass sie traurig war. Er schüttelte traurig den Kopf. „D-du hast mir von eu-euren Plänen erzählt. Dass ihr nach Hamburg gehen wollt.“ Jetzt fiel es ihm auch wieder ein. Wie er ihr es voller Freude erzählt hatte. „Und was ist damit?“, erkundigte sich Jan ein wenig ängstlich. „Was damit ist?“, wiederholte sie entsetzt. „Wie hast du dir das vorgestellt? Willst du alles zurück lassen? Ihr könnt doch nicht von YouTube-Videos leben. Das geht nicht. Was wird sein, wenn ihr das alles nicht stemmen könnt, wenn euer Kanal nicht so läuft wie ihr euch das gedacht habt? Habt ihr schon mal daran gedacht wie die Zukunft aussehen wird?“ Ihre Stimme war lauter geworden, jedoch liefen ihr schon einzelne Tränen die Wange hinunter. „Es wird schon alles gut gehen. Wir dürfen nur nicht so pessimistisch denken. Das ist der Schlüssel des ganzen, aber ich hab’ so das Gefühl, dass das nicht allein der Ursprung für die Abneigung gegen unsere Entscheidung ist.“ Nina sah ihn erstarrt an. „Natürlich ist das nicht der einzige Grund. Immerhin liebe ich dich ja! Da kannst du doch nicht einfach hunderte von Kilometern weit weg ziehen. Du darfst mich hier nicht allein lassen!“- „Dann komm’ doch mit! Dir steht nichts im Weg“, sagte er voller Enthusiasmus. „Nein, so einfach ist das nicht. Und außerdem ist das alles viel zu leichtsinnig, als das ich einfach mitkommen würde. Wie, oder von was sollen wir in Hamburg leben? Das ist eben nicht so leicht wie du dir das vorstellst!“

So entfachte eine Diskussion, die schier Stunden lang erhalten wurde. Nina beruhte auf ihrer Meinung. Jan jedoch auch, weswegen sie so lange für eine Lösung für das Problem brauchten. Wenn man sich das alles vor Augen hielt, war die einzige Lösung, jetzt und hier einen Schlussstrich zu ziehen. Nun lag es in Jans Hand was er machen würde und welche Tür er schließen würde, die mit der Aufschrift ’Hamburg’ oder die mit der Aufschrift ’Nina’. Für ihn war die einzige Möglichkeit, die Tür mit Nina zu schließen, weil ihm so weniger Leid zustoßen würde. Er würde seine Freunde nicht verlieren und ihnen auch nicht in den Rücken fallen, schließlich war er ein wichtiger Teil von ’ApeCrime’. Dennoch wollte er Nina nicht verlieren. Sie war ihm so unglaublich wichtig. Verzweifelt schlang er seine Arme um sie. „Ich will dich doch nicht verlieren.“ Seine Stimme glich einem Schluchzer, dennoch konnte er es unterdrücken, vor ihr loszuweinen. Auch sie umschlang ihn mit ihren Armen und drückte ihn fest an sich. „Ich dich doch auch nicht“, sagte sie mit bebender Stimme. So standen sie eine ganze Weile da und genossen einfach nur die Nähe des jeweils anderen. Bis Nina einen Entschluss fasste. Sie wollte ihm nicht ihm Weg stehen! Das wollte sie schon von Anfang an. Also musste sie wohl oder übel den Kürzeren ziehen. Aber wenn Jan glücklich war, so war sie es ebenfalls. Egal ob er jetzt mit ihr glücklich wurde, oder mit seinem ’Beruf’. Auch wenn diese Erkenntnis mehr schmerzte, als es Nina ertragen könnte, war das wohl der klügste Ausweg aus dem ganzen Gefühlschaos. Dennoch wollte sie ihm mit ihrer Entscheidung vermitteln, dass sie ihn so sehr liebte, dass sie ihr seine Zukunft wichtiger war, als alles andere, dass sein Glück wichtiger war, als alles andere, dass er seine Chancen ergreifen sollte, ohne dabei Rücksicht auf Nina zu nehmen und eben nicht, dass er ihr so wenig bedeutete, dass ihr egal war, ob er nun weg wäre oder nicht. Denn das war es gewiss nicht. Es würde ein so endlos großes Loch in ihr Herz reißen, wenn er gehen würde. Heißt es nicht, wenn man etwas liebt, dann soll man es loslassen? Ja, so wurde dieser Spruch überliefert, aber war etwas Wahres daran? Vielleicht würde ihre Beziehung daran wachsen oder sie würde eingehen. War es der richtige Weg?

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