22.Kapitel: Schlussstrich?

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„A-Also, ich halte es für das Beste, wenn du nach Hamburg g-gehst“, flüsterte Nina leise. Jan verstand es trotzdem und sah sie erstaunt und auch ein kleines bisschen verletzt an. „Ich liebe dich mehr, als alles andere auf dieser Welt. Genau darum habe ich beschlossen, d-dass es das Beste für uns ist, wenn du deine Träume verwirklichst. Wenn du das machst, was sich für dich richtig anfühlt, und ich weiß das es sich für dich richtig anfühlt nach Hamburg zu gehen.“ In ihren Worten schwang ein wenig die Hoffnung, dass Jan, Andre und Cengiz mit diesem Plan auf die Schnauze fallen würden und sie, vor allem Jan, wieder nach Statthagen zurückkehren würden. Diese Tatsache konnte man allein am Klang, oder der Wortwahl jedoch weder eindeutig erkennen noch auf irgendeine Weise deuten. Nina lächelte aufmunternd zu Jan hinüber, der sie immer noch erstarrt anblickte. Er hatte seinen Atem angehalten und sah sie einfach nur an, was Nina beunruhigte, zum Glück aber nur so wenig, dass ihr Lächeln immer noch stand hielt. Diese Entscheidung war ihr so schwer gefallen, doch jetzt, wo sie es ausgesprochen hatte, fühlte es sich auf einmal richtig an. Auch wenn dieses Gefühl von Schmerz verfolgt wurde, so wurde es stets von dem Gefühl die Richtige Wahl getroffen zu haben übermannt.

Sie trat auf Jan zu und legte ihre Stirn an seine. „Ich liebe dich!“, hauchte sie. Er regte sich und umschloss ihr Gesicht mit seinen Händen. Für einen Moment schloss sie die Augen. Sie wollte, das alles auf sie wirken lassen und den Moment mit allen Sinnen wahrnehmen, zu guter Letzt mit den Augen, als diese sich öffnete und Jans Gesicht betrachteten, vor allem aber seine Augen. Dies taten sie nur, um sich kurz darauf wieder zu schließen. Danach legte sie ihre Lippen vorsichtig und behutsam auf seine. Sie wusste, dass das der letzte Kuss sein könnte, deswegen wurde sie etwas traurig. Und auch wenn der Kuss ein wenig nach Alkohol schmeckte, war es ein besonderer Kuss, ein besonders Schöner. „Ich liebe dich auch“, flüsterte er und lächelte Nina traurig an.

„Wie wird es weiter gehen?“, fragte er dann nach und sah Nina mit einem Hauch von Verzweiflung an. Ja, wie würde es jetzt weiter gehen. Schließlich würde das Schuljahr erst in etwa zwei Monaten enden. „A-also, ich würde sagen wir lassen das mit der Beziehung für die nächste Zeit, vielleicht f-fällte d-d-dann der A-abschied nicht so schwer“, äußerte Nina ihre Gedanken. Sie hatte wahrhaftig Angst vor dem Abschied von Jan, aber wenn sie sich in den nächsten Wochen nicht sahen, würde die Sehnsucht vielleicht ein wenig schwinden. Jan nickte traurig, aber verständnisvoll. „Das wird wohl das Beste sein“, sagte er leise. Man konnte ihm ansehen, dass seine Augen langsam glasiger wurden. Nina nickte ebenfalls und wies dann auf die Tür hinter sich. „Ich werde dann wohl gehen.“ Wieder brachte Jan nur ein Nicken zu Stande, bevor sich Nina umdrehte und schließlich den Raum verließ. Behutsam schloss sie dir Tür hinter sich, auf die Jan danach gebannt starrte. Er hoffte, dass sie wieder zur Tür herein kommen würde und mit nach Hamburg kommen würde, aber das Warten war vergeblich, denn auch nach Minuten, geschah rein gar nichts. Er biss sich auf die Unterlippe, um das Zittern dieser zu unterdrücken. Die Tränen liefen ihm schon fast in Strömen das Gesicht runter. Er realisierte nicht wirklich, was sie gerade eben entschieden hatten.

Nina war aus dem Haus gestürmt bevor sie nach Hause rannte. Sie rannte, weil sie niemandem auf der Straße begegnen wollte. Sie wollte niemandem, wirklich niemandem, begegnen, nicht in ihrem Zustand. Auch ihr liefen, ähnlich wie bei Jan, die Tränen am Gesicht herunter. Sie jedoch versuchte nicht das Zittern ihrer Gesichtsmuskeln zu unterdrücken. Die Schluchzer dagegen hörte man nur gedämpft und erstickt, da sie diese im Gegensatz zu dem Zittern, unterdrückte. Sie wollte so schnell, wie es ihre Beine zuließen nach Hause. Sie wollte die wohlige Wärme ihres Bettes spüren und sich darin verkriechen, da sie einfach so fertig mit ihren Nerven war. Sich ihrem Willen beugend, tat sie all das, als sie ihr trautes Heim schließlich erreichte. Kurz, für einen klitzekleinen Moment schweiften ihre Gedanken zu einer Option die, sie hätten wählen können, nämlich die Fernbeziehung. Aber so schnell wie der Gedanken gekommen war, war er auch wieder weg. Zum einen war es schon zu spät dafür und zum anderen war die Entscheidung, die sie getroffen hatten definitiv die Richtige, denn eine Fernbeziehung würde schon im Vorneherein zum Scheitern verurteilt sein, da ihre Liebe von der Nähe genährt wurde und daran wuchs. Wenn sie sich nicht sahen, würde das kein gutes Ende nehmen und ihre Liebe würde deswegen ’verhungern’ und schließlich eingehen, wie eine vertrocknete Blume.

„Nina?“, konnte sie die dumpfe Stimme ihrer Mutter verstehen. Kurz darauf folgte ein leises Klopfen. Müde hob setzte sie sich auf, sie musste wohl eingeschlafen sein. Müde rieb sie sich die Augen und gab ein schläfriges „Ja“ von sich. Keinen Wimpernschlag später öffnete ihre Mutter die Tür und trat ein. „Ist alles in Ordnung? Oder wieso schläfst du schon so früh am Nachmittag? Wirst du etwa krank?“, ihre Mutter setzte sich zu ihr ans Bett und legte ihr die Hand auf die Stirn, um ihre Körpertemperatur zu überprüfen. Auf Ninas Gesicht schlich sich ein Lächeln. Es machte sie auf eine gewisse Weise glücklich, dass ihre Mutter sich Sorgen machte und für Nina da sein wollte. Nina lächelte und schlang ihre Arme um den Körper ihre Mutter um sie in eine Umarmung zu verwickeln. Ungewollt fing sie auf einmal an zu weinen. Es war ein gespaltenes, und verschieden aufgefächertes Weinen. Zum einen, wegen der ganzen Sache mit Jan, zum anderen, weil sie sich so furchtbar geborgen und sicher fühlte wie lange nicht mehr. Ihre Mutter war verständnisvoll, wenn auch etwas verwirrt. Sie strich ihrer Tochter über den Rücken und flüsterte ihr beruhigende Worte zu. „Shh, alles ist gut“, konnte man sie flüstern hören. „Möchtest du mir nicht sagen, was los ist?“

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