9.Kapitel: Wehleidigkeit

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Nina wunderte sich. Etwas von dem, was er spielte war anders. Die Melodie war abgewandelt, aber dennoch wunderschön.

Diese Melodie. Diese eine Melodie. Für Nina schien es so, als ob er ihr seine Gefühle durch sein Klavierspiel übermitteln wollte. Jedenfalls kam es ihr so vor.

Das Lied war wunderschön. In ihrem Unterbewusstsein verband sie dieses Lied mit Liebe. Liebe? Sie fragte sich ob Jan damit Liebe ausdrücken wollte.

Mit einem Mal glaubte sie ihm mehr, als sie es sowieso schon tat. In diesem Moment spielten ihre Gefühle verrückt. Einerseits war sie glücklich, da sie wieder vertrauen schöpfen wollte, andererseits hatte sie Angst. Wenn sie sich in ihn verliebt, was sie sich nie eingestehen würde, sie hatte es bis jetzt ja auch noch nicht getan, würde sie nur weitere Verlustängste haben, schließlich hatte sie ihn schon einmal verloren.

Sie wollte nicht weiter darüber nachdenken! Ihr Kopf hatte sie schon so oft zum verzweifeln gebracht, aber dieses mal nicht! Sie wollte einfach ihre Gedanken, die sie die ganze Zeit plagten, loswerden und den wundervollen Klängen von Jans Klavierspiel lauschen.

Schon fast vergaß sie die Zeit. Alles um sie herum glich einer Traumwelt. Für sie wirkte es wie eine Seifenblase, in der nur Jan und sie existierten, umgeben von der wundervollen Musik.

Doch auf einmal hörte die Musik auf. Die Seifenblase schien wie zu zerplatzen und Nina wieder zu fallen. Sie wurde wieder in die Realität geholt und merkte wie sie von Jan angeschaut wurde.

Vielleicht tat er es unbewusst, aber die abgewandelte Version der Melodie, die er komponiert hatte, spielte eine eigene Geschichte mit Höhen und Tiefen. Diese Geschichte, die die Novelle erzählte klang, wie ihre Geschichte. Zuerst fröhlich dann traurig und das eine ganze Weile. Aber schlussendlich wieder Glücklich. Doch bevor der höchste Punkt erreicht war, hatte er aufgehört zu spielen.

Die ganze Zeit sahen sie sich schweigend an. Unbewusst und stockend näherten sich ihre Gesichter. Ninas Hände zitterten, sie war aufgeregt. Obwohl sie ihn schon einmal geküsste hatte, war es ein neues Gefühl, das in ihr aufkam, unterdrückt von ihrer Nervosität. Jans Hand, die ebenso zitterte legte sich behutsam auf ihre. Das gab ihr ungemein viel Kraft.

Ihr Atem stockte leicht und ging recht flach. Sie hatte Angst, dass sie zu laut atmen könnte und mit der Lautstärke den Augenblick ruinieren würde.

„Aber will er mich überhaupt küssen?“ Dieser Gedanke beängstigte sie wieder ein Bisschen. Bevor sie sich hätte anders dafür, oder dagegen entscheiden konnte wurde ihr die Entscheidung abgenommen, als ihre Mutter sie rief. Die Stimme wurde lauter und ihre Mutter kam näher, betrat aber noch lange nicht den Raum.

Ninas Augen, die bis zu dem Zeitpunkt auf Jans Lippen gerichtet waren, widmeten sich wieder seinen Augen. Genauso stockend und langsam zog sie ihren Kopf zurück. Zwar hatte ihre Mutter den Moment versaut, dennoch war Nina ihr in diesem Moment dankbar, denn sie fühlte sich noch nicht bereit dazu. Sie hatte ihn erst seit ein paar Tagen wieder gesehen und in diesen Tagen hatte Jan so viel Leid verursacht, dass Nina es langsam angehen wollte. Nicht überstürzen. Das war das, was sie am aller wenigsten wollte.

„Kannst du mir kurz-“, ihrer Mutter stockte, als sie sah, wie Nina da händchenhaltend mit Jan auf dem Hocker saß. „Ich wollte nicht-“, schon wieder wurde ihr das Wort abgeschnitten. „Nein, ist schon gut, Jan wollte sowieso gerade gehen“, sagte Nina mit fester Stimme. Jan sah sie daraufhin nur noch enttäuschter an, zog seine Hand zögernd zurück und stand auf. Nina tat es ihm gleich. „Dann kannst du ja mal Oma, nach der Butter fragen“, bat ihre Mutter. „Einen Moment, ich bring Jan nur noch schnell zur Tür.“

Sie trottete ihm hinterher. Er kannte den Weg. „Dann, tschüss“, flüsterte er fast. Man merkte ihm seine Enttäuschung und Traurigkeit richtig an. Es stand ihm wie ins Gesicht geschrieben. Nina sah in wehleidig an und hauchte ein leises „Tschau“, bevor Jan die Tür zu zog und die Kälte verschwand.

Auch wenn sie ihn so gerne geküsst und seine Lippen auf ihren gespürt hätte ging das alles für sie zu schnell. Ihr Kopf hatte die Gefühle, die aufgekommen waren noch gar nicht richtig verarbeitet, da kamen schon wieder irgendwelche anderen Gefühle dazu, die alles in einen unübersichtlichen Chaoshaufen verwandelten. Nina wollte sich über ihre Gefühle im Klaren sein, bevor sie irgendetwas überstürzt…

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