So offenbarte sie letzten Endes auch ihrem Vater den ganzen Verlauf ihrer nicht ganz so schönen Liebesgeschichte. Sie wollte nicht wahrhaben, dass das alles jetzt zu Ende sein sollte und in gewisser Weise fühlte es sich auch nicht an, als ob es so wäre. Für sie schien das alles so irreal. Ebenso die jetzige Zusammenkunft mit ihrem Vater.
Nichts desto trotz war ihre klar, dass das die verdammt harte Realität war und so breitete sich ein Gefühl der Erleichterung in ihr aus. Die Vertrautheit zwischen ihr und ihrem Vater fühlte sich so gut an, als ob sie alle Differenzen überwunden hätte. Dabei gab es nur eine und die war ganz und gar nicht überwunden. Obgleich ihr das klar war, ganz so dumm war sie nun auch nicht, sah sie es als das Beste, wenn sie weiterhin in dem Glauben leben würde. Ja, das war sogar mit Abstand der klügste Ausweg. Das ganze Gespräch endete damit, dass ihr Vater Nina aufmunternde Worte zusprach, da sie während ihrer Erzählung die eine oder andere Träne verdrückte, und sie in den Arm nahm. Diese Umarmung schenkte ihr so viel Geborgenheit, das es ein Leichtes für sie war, zu Glauben, dass alles gut war. Normalerweise war sie ja eher die Realistin, die sich nicht hinter irgendwelchen Einbildungen versteckte, aber sie war eben nicht dumm und wusste, wie sie sich gewieft aus so einer Gefühlslage herausmanövrierte. Ihr war unterbewusst klar, dass es am Ende vielleicht mehr Verluste geben würde und es nur eine Handlung aus dem Affekt heraus war. Aber über diese Tatsachen, die ihren Plan vereiteln könnten, sah sie gekonnt hinweg, zu sehr genoss sie die Zuneigung ihres Vaters. „Ich lass dich dann besser alleine. Du bist bestimmt erschöpft von der Anreise“, lächelte er und erhob sich. Nina nickte, ebenfalls lächelnd. Sie wollte es nicht so offensichtlich erscheinen lassen, dass sie mehr als froh darüber war, dass er jetzt gehen würde. Nicht, dass sie seine Anwesenheit nicht genießen würde, aber Zeit für sie alleine und ihre Gedanken klang einfach nur schön für sie. Als ihr Vater das Zimmer verlassen hatte machte sie sich bettfertig. Als sie schließlich ihre Zähne geputzt hatte legte sie sich in das weiche Bett. Eines musste man ihrem Vater, oder wer auch immer dieses Haus eingerichtet hatte, musste ein sehr schlauer Mensch gewesen sein, sonst hätte er bestimmt nicht diesen Traum von Bett in diesen Raum gestellt. Eigentlich hatte Nina vor sich Gedanken über das alles zu machen, sie konnte es immer noch nicht richtig verarbeiten, aber dieses Traumbett machte ihr da einen fetten Strich durch die Rechnung und so schlief sie direkt. Die Anreise, oder allgemein dieser Tag, hatte sie doch mehr ausgelaugt, als sie gedacht hatte.
Alles war dunkel. Überall nur schwarz. Als auf einmal, wie aus einem Scheinwerfer, ein Lichtpunkt erschien. Neugierig blickte Nina darauf, da sie mit der Situation sonst nichts anzufangen wusste. Doch auf einmal geschah etwas, was ihr nie im Leben in den Sinn gekommen wäre. Denn plötzlich stand Jan in diesem Lichtpunkt. Es wäre eine Lüge, wenn sie verleugnet hätte, dass sie sich so sehr nach ihm sehnte. So lief sie, ohne auch nur einen Gedanken außer Jan, los auf ihn zu. Doch je näher sie kam, desto mehr entfernte er sich, als es auf einen Schlag dunkel wurde und nur das spärlich beleuchtete Gesicht von Jan zu sehen war, der seinen Kopf schüttelte und Nina gequält ansah. „Nein“, sprach seine raue Stimme. Sie klang erschöpft, ausgelaugt, oder mit anderen Worten einfach fertig. Seine Mimik änderte sich zu einem schmerzverzerrten Gesicht mit zum stummen Schrei geöffnetem Mund. Dann wurde wieder alles Schwarz.
Nina schreckte hoch. Sie konnte einzelne Schweißperlen ihre Stirn hinunterlaufen spüren. Ein Traum. Das war alles nur ein dämlicher Traum. Trotz dessen fühlte sich ihre Kehle staubtrocken an. Nachdem sie sich von dem Schreck erholt hatte tapste sie in die Küche, um sich ein Glas Wasser einzuschenken, was sie dann auch tat. Als sie an die Kücheninsel gelehnt ihren Blick schweifen ließ erblickte sie einen Flügel. Ihr Vater hatte doch tatsächlich einen Flügel in seinem Haus stehen. Ein glückliches Lächeln schlich sich auf Ninas Gesicht und ihre Finger begannen zu kribbeln. Langsam hielt sie auf das eindrucksvolle Instrument zu. Für einen Flügel eher unüblich konnte sie eine sehr starke Holzmaserung erkennen. So gut wie alle Flügel, die sie in ihrem Leben betrachten durfte, waren in dem klassischen schlichten schwarz lackiert. Dieser hier war es allerdings nicht. Sie konnte kleine Schnitzereien auf der Klappe erkennen. Ihre Fingerkuppen strichen vorsichtig darüber, so bedacht, als ob dieses Holz unter ihren Fingern das kostbarste in ihrem Leben wäre. Lautlos ließ sie sich auf den samtenen Hocker fallen und öffnete die Klappe. Sie vermutete, dass dieses Instrument ein halbes Vermögen wert und wohl auch recht alt war. So schloss sie darauf, dass die Tasten aus echtem Elfenbein bestanden.
Vorsichtig drückte sie einige Tasten hinunter, um zum Anfang einer Melodie anzusetzen. Fast automatisch entschied sie, oder eher ihre Finger, sich dazu Jans Lied zu spielen. Es war als wäre in ihr die Veranlagung für genau dieses Stück. Als würde sie sich unter tausenden immer nur für genau dieses Stück entscheiden. Nach einigen Minuten fand ihr Klavierspiel jedoch ein jähes Ende, als das Licht angeknipst wurde und Nina aus Schreck zusammenzuckte. „Sag’ mal bist du verrückt? Uns um diese Uhrzeit mit diesem grässlichen Gedudel zu wecken! Ich brauche meinen Schönheitsschlaf!“, ertönte die nervige, und hörbar aufgebrachte, Stimme von Mareike. Innerlich schnaubte Nina, Mareike könnte Jahre schlafen und würde trotzdem nicht hübscher werden. Und überhaupt was bildete sich diese Trulla ein, ein derart schlechtes Wort über Jans Komposition zu verlieren! Die hatte doch keine Ahnung! Auch wenn wundervolle Musik direkt vor ihr stehen würde, würde sie sie nicht erkennen, dieses etwas von Leihe! Nina wusste, dass sie nur so ausfallend gedacht hatte, weil sie Mareikes Existenz an sich schon hasste und das sie jetzt auch noch so geschwollen daherredete gab Nina erst recht den Grund diese Gestalt zu hassen. Sie seufzte, als sie aufstand, um in ihr Zimmer zu gehen. Gerade noch so konnte sie es unterdrücken einen Kommentar wie „Mach dir mal nicht ins Hemd“ abzulassen, obwohl es ihrer Meinung nach mehr als angebracht gewesen wäre.
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Alte Erinnerungen
FanficWas würdest du tun, wenn du denkst, dass du schon mit einem Teil deines Lebens abgeschlossen hast, aber der ohne Vorwarnung wieder in dein Leben eintritt? Wenn du völlig überrumpelt bist, weil alles so schnell ging? Und auf einmal stehst du wieder...