Das Kapitel in dem ich kurzzeitig zum Fußgänger werde

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>Pferde ohne Reiter sind immer Pferde... Ein Reiter ohne Pferd ist immer nur ein Mensch.< Stanislaw Jerzy Law

Frustriert saß ich am Küchentisch, fluchend...
Ich hatte gerade erfahren, dass meine Reitbeteiligung nun nicht mehr meine Reitbeteiligung war.

"Camilla, du musst das verstehen..." versuchte meine Mutter mich zu besänftigen.

Ja, ich verstand es. Nur zu gut. Es gefiel mir nur nicht! Ich hatte so hart gearbeitet mit Esperanza, hatte Schweiß und Muskelkater, hartes Training und frühes Aufstehen in Kauf genommen um an dieses Ziel zu kommen... Nur damit sie mir Esperanza wegnehmen. Esperanza... Diese wunderbare, kleine, braune Stute. Bis vor kurzem war sie noch meine Reitbeteiligung gewesen.
Ich hatte mich mit ihr für den Jugend-Fördercup qualifiziert. Melanie, die Tochter von Hans und Miriam, denen Esperanza gehörte, leider auch. Nun hatte sich Melanies Pferd Daylight eine böse Sehnenverletzung zugezogen und fiel bis auf weiteres aus. Dummerweise waren Melanie und ihre Eltern den Weg des geringsten Widerstandes gegangen und haben sie mit Esperanza angemeldet. Die ich ausgebildet hatte...

"Dass du für dieses Turnier qualifiziert bist heißt doch nicht, dass du auch genau dieses Pferd reiten musst. Oder nicht? Warum suchst du dir nicht eine neue RB?" fragte meine Mutter.

Ich seufzte:" Gute Turnierpferde stampft man leider nicht so einfach aus dem Boden.. Und ich weiß nicht ob ich bis September einfach so irgendein Pferd auf das Niveau bringen kann. Es ist so schwierig..."

"Vielleicht weiß dein Opa wen, der dir ein Pferd zur Verfügung stellt. Der kennt doch Hunz und Kunz."

Mein Großvater kannte wirklich viele Leute, immerhin war er früher selbst einmal erfolgreich auf Turnieren geritten.
Nachdem ich das Internet und einige Kleinanzeigen erfolglos nach einer Reitbeteiligung durchstöbert hatte beschloss ich zu ihm zu gehen.

Meine Großeltern wohnte auf einem kleinen Hof, zehn Minuten mit dem Fahrrad entfernt. Leider besaßen sie keine Pferde mehr, aber dafür einen Hund und einen schönen Garten.
Oma und Opa saßen auf der Terrasse und tranken Tee als ich mich dazugesellte.

"Kamille," begrüßte mich meine Großmutter mit ihrem harten Akzent, sie stammte ursprünglich aus Litauen, "wie schön, dass du uns wieder besuchst. Tee?"

Ich nickte. Meine Großmutter war eine wie viele, sie las einem jeden Wunsch von den Lippen ab und ständig versuchte sie mich zum Essen zu überreden, weil ich nach ihrem Dafürhalten zu schlank geworden war - was natürlich nicht stimmte, ich wog noch immer genauso viel wie bei unserem letzten Treffen. Aber so waren Großmütter wohl einfach, fürsorglich. Meine war jedenfalls so und ich fand sie großartig.
Nach einigen Gesprächen über Befinden und Schule kamen wir auch schon zum Thema Pferd.

Mein Großvater schüttelte den Kopf, nachdem ich meine Situation geschildert hatte.

"Das ist Bockmist, Camilla," sagte er mitfühlend," aber es ist nicht Aussichtslos. Sagt dir der Name 'Chapman' was? Will ist ein wirklich guter Kerl und ein fähiger Reiter. Weißt du, früher als ich noch aktiv im Sport war, da sind wir oft in Mannschaftsprüfungen zusammen gestartet. Er hatte immer starke Pferde, dafür hab ich ihn beneidet."

"Chapman? Na klar! Mit dem bist du zusammen geritten?! Wahnsinn."

Großvater lachte. "Ich kann ihn anrufen. Vielleicht weiß er Rat."

Primo Victoria - Von Hengsten und MädchenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt