16. Kapitel (2/2) Unter dem Meer

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„Du wolltest zurückkehren? Vergiss das gleich wieder."

Das Wasser rauschte an meinen Ohren vorbei, als sie mich in die Tiefe riss. Es brannte mir in den Augen und in der Nase. Doch es dauerte nicht lange. Wir landeten auf Grund. Ich versuchte, die Augen zu öffnen, um zu erkennen, wo wir waren, doch alles war sehr verschwommen und das Wasser brannte mir in den Augen. Obwohl ich im Dunklen gut sehen konnte, stieß ich im Salzwasser an meine Grenzen. Es war mir zumindest möglich, zu erkennen, dass wir von irgendeiner baulichen Struktur umgeben waren. Möglicherweise befanden wir uns in einem gesunkenen Schiff. Sie riss mich weiter, durch eine Luke, an deren Holz der Ärmel meines Hemds hängenblieb und zerriss. Meine Beine stießen gegen etwas Hartes, Holzkanten, an denen sich meine Strümpfe verfingen. Sie riss mich eine Treppe hinab. Nun bestand kein Zweifel mehr. Wir befanden uns im Bauch des Schiffswracks. Zu meiner Erleichterung gewöhnten meine Augen sich auf mir unerklärliche Weise an die Sichtverhältnisse. Etwas war hier anders. Das Wasser fühlte sich anders an. Es schien irgendwie weicher und brannte nicht mehr so.

In einer Ecke des Raumes erkannte ich Cassandras Gestalt. Sie lümmelte am Bauch liegend auf dem Boden, den Kopf in die Hände gestützt. Ihre Haare wiegten sich in den Wellen und sie blickte missmutig zu mir und dann wieder zu Melsunia, die uns mit anmutigen Schwüngen ihrer Schwanzflosse umkreiste. Zum ersten Mal konnte ich sie richtig sehen. Sie sah nicht aus, wie ich mir eine Sirene vorgestellt hatte. Ihre Haut schimmerte in einem dunklen Grün, ihr Oberkörper wirkte kleiner als der einer menschlichen Frau, jedoch kräftig und drahtig. Besonders hübsch fand ich sie nicht. Natürlich wusste ich, dass Künstler sich in ihren Darstellungen immer bemühten das Auge zu erfreuen. Deshalb war es ihnen nicht möglich, eine naturgetreue Sirene wiederzugeben. Selbst, wenn sie jemals selbst eine gesehen hätten. Jetzt wo ich eine leibhaftige Sirene vor mir hatte, konnte ich nicht verstehen, was man nur an ihnen finden konnte. Ihr Haar glich einem von Glasperlen und Muscheln durchsetzten Wischmopp, und was war das? Sie trug sogar eine von Milicas Haarspangen in ihrer verschlungenen Frisur ... Meine Gedanken schienen sie zu amüsieren. Ich erkannte, dass es ihr völlig egal war, ob ich sie schön fand.

Ich blickte um mich und fragte mich, wie es sein konnte, dass Cassandra hier unter Wasser immer noch atmen konnte. Dass etwas in diesem Raum anders war, hatte ich schließlich bereits festgestellt. Wir schienen uns in einer geräumigen Kajüte zu befinden, aber vielleicht war es auch eine Art Laderaum. Ich hatte wenig Ahnung von Schiffen. Was ich an Einrichtung sehen konnte, war ein halb vermoderter Schrank an einer Wand. Sonst war der Raum leer. Bis auf ein großes Tongefäß, das in der Mitte auf dem Holzboden stand. War es eine Vase oder ein Topf? Und etwas Leuchtendes floss aus diesem Topf, es durchdrang die Finsternis des nächtlichen Meeres und erfüllte den Raum mit einem sonderbaren Glanz.

„Ist das Magie?", wollte ich wissen. Ich hielt mich an einem morschen Holzpfosten fest, um in diesem schwerelosen Unterwasserzustand nicht ständig durch den Raum getrieben zu werden.

„Ja, so kann man es nennen. Aber du bist nicht hier, um mir Fragen zu stellen. Tu, was du mir versprochen hast!"

Die Sirene schwamm knapp an mich heran und als ich ihr Gesicht so vor mir hatte, sah ich, dass sie an den Wangen und am Hals seltsame Schlitze hatte, die sich kaum merklich zusammenzogen und dann wieder öffneten. Kiemen.

„Ich werde gewiss nicht tun, was du von mir verlangst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das bei Sirenen überhaupt funktionieren kann. Du könntest sterben."

„Dann probieren wir es aus. Wenn ich dabei nicht sterbe, bin ich die erste vampirische Sirene."

„Du hättest dir jemanden aussuchen müssen, der weniger Prinzipien hat als ich."

Die Musik auf dem Wasser - Historischer VampirromanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt